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Triumphe, gelenkschonendes Laufen und die Hoffnung auf eine zweite Chance

Oliver Roggisch beendet seine Spielerkarriere – am Sonntag treffen die Löwen in der SAP Arena auf die DHB-Auswahl

Nach dieser Saison zieht Oliver Roggisch einen Schlussstrich unter seine aktive Laufbahn, der 35-Jährige bleibt aber den Rhein-Neckar Löwen und der deutschen Nationalmannschaft in anderer Funktion erhalten. Doch zunächst einmal steht sein Abschiedsspiel an, am Sonntag (15 Uhr) in der Mannheimer SAP Arena (es gibt noch wenige Restkarten) treffen die Badener auf die DHB-Auswahl. Vor dieser Partie sprachen wir mit dem Abwehrchef der Löwen und dem Kapitän der Nationalmannschaft.

Oli, vier Mal hast du dir in deiner Karriere die Nase gebrochen. Gibt es schon einen Termin, um sie richten zu lassen?

Oliver Roggisch (lacht): Ich habe mit der Berufsgenossenschaft auf jeden Fall schon darüber gesprochen, die müssen ja die Kosten tragen. Aber einen Termin habe ich noch nicht gemacht. Jetzt warten wir mal erst einmal mein Abschiedsspiel ab, danach fahre ich in den Urlaub. Würde ich mich vorher operieren lassen, dürfte ich nicht tauchen gehen. Danach steht der Eingriff allerdings an.

Stört dich deine krumme Nase?

Roggisch (lacht): Nein. Ich lasse sie aber trotzdem operieren. Es geht dabei aber weniger um ästhetische Gründe. Ich bekomme einfach keine Luft mehr durch die Nase.

Wie macht sich das im Alltag bemerkbar?

Roggisch: Beim Abendessen fange ich schon sehr an zu schnaufen, wenn ich den Mund voll habe. Das will ich meinen Kollegen, meiner Familie und meiner Freundin nicht mehr antun.

Was sagt denn den Zimmerkollege Andy Schmid dazu?

Roggisch: Es soll spektakulär sein, was nachts von mir zu hören ist (lacht). Ich selbst habe es ja noch nie gehört. So wie es aussieht, werden wir uns auch in Zukunft ein Zimmer teilen. Wir passen ganz gut zusammen und ich bin schon gespannt auf die erste Nacht, in der ich nicht mehr schnarchen werde. Vielleicht ist ihm das dann zu leise und er kann nicht mehr schlafen.

Dein ehemaliger Göppinger Trainer Christian Fitzek schätzt noch heute deinen Ehrgeiz – und dein Talent, Laufstrecken abzukürzen.

Roggisch (lacht): Oh ja, diese Geschichte zieht sich durch meine komplette Karriere. Ich habe mal irgendwo aufgeschnappt, dass es für die Gelenke besser ist, auf Rasen zu laufen. Und egal, in welchem Stadion wir waren, bin ich immer nicht auf der Laufbahn, sondern einen Meter weiter innen auf dem Rasen gelaufen. Natürlich aus medizinischen Gründen. Pro Jahr wurde es immer ein Meter mehr Richtung nach innen. In dieser Saisonvorbereitung hat mich Gudmundur Gudmundsson dann auch mal darauf angesprochen, warum ich nicht hinter den Toren des Fußballfeldes herlaufe und nicht außen herum. Ich hatte eigentlich gehofft, dass er das aus der Entfernung nicht sieht. 

Du kamst nach  Göppingen und Trainer Fitzek zog dich gleich einmal Pascal Morgant vor.  Wie war das für den jungen Oliver Roggisch?

Roggisch: Das war eine sehr mutige Entscheidung, die mich selbst ein bisschen überrascht hat. Morgant war in der Zweiten Liga einer der besten Kreisläufer und absoluter Publikumsliebling. Doch Christian stand zu seiner Entscheidung und hat mich unheimlich unterstützt. Durch ihn bin ich dann auch Nationalspieler geworden. Ihm habe ich viel zu verdanken. Er war nicht nur ein guter Trainer, sondern fast wie ein Vater für mich, der mich auch ein bisschen erzogen hat.

Das musst du erklären.

Roggisch: Ich habe mit Bruno Souza in einem Haus gewohnt. Sprich: Ein Brasilianer und ein junger Deutscher, die beide ein bisschen viel Quatsch im Kopf hatten. Wir beide waren zusammen keine einfache Kombo. Wir wollten nur Handball spielen, Spaß haben – Gedanken haben wir uns nicht so viele gemacht. Christian Fitzek hat dann irgendwann verlangt, dass wir uns zwei separate Wohnungen suchen. Damals habe ich das nicht unbedingt verstanden. Im Nachhinein muss ich sagen, dass er damit genauso recht hatte wie mit vielen anderen Dingen auch.

Unvergessen bleibt sicherlich das EHF-Pokal-Finale gegen den SC Magdeburg. Nach einer 22:30-Niederlage im Hinspiel habt ihr euch durch einen 31:22-Erfolg im Rückspiel den Titel geholt.

Roggisch: Der erste Titel im Leben eines Sportlers ist meistens auch der Triumph, an den man die meisten Erinnerungen hat. Ich habe den EHF-Pokal ja auch später noch einmal mit Magdeburg und den Löwen gewonnen, aber dieser Sieg mit Essen war etwas ganz Besonderes.

Wahrscheinlich auch deshalb, weil es so dramatisch zuging. Stefan Kretzschmar schloss zwölf Sekunden vor Schluss für Magdeburg zu früh ab und traf nicht. Ihr brauchtet noch ein Tor…

Roggisch: Das dann ausgerechnet Torgowanow erzielte. Er hatte sich zuvor die Schulter ausgekugelt, ich spielte für ihn in der Abwehr und wir wechselten dann noch einmal ganz schnell. Pino war im letzten Angriff auch noch der Erste von uns vorne – wie wir das geschafft haben, ist mir bis heute ein Rätsel.

Und was ist dann passiert?

Roggisch: Nach dem Tor war das Spiel vorbei, wir lagen auf einem Haufen übereinander – und ganz unten Pino mit seiner ausgekugelten Schulter. Das werde ich nie vergessen. Dieser Titel war völlig absurd, weil niemand daran geglaubt hat – mit Ausnahme der Mannschaft. Entsprechend haben wir diesen Erfolg gefeiert, wir sind drei Tage nicht nüchtern geworden. Ich habe noch nie mit einem Trainer eine Flasche Wodka getrunken. Aber irgendwann kam Iouri am nächsten Mittag zur Mannschaft und stellte eine Flasche Wodka auf den Tisch. Da habe ich ihn zum ersten Mal persönlich kennengelernt. Eine Beziehung wie zu ihm hatte ich zu keinem anderen Trainer.

Uns ist eine Geschichte über eine Reise mit dem SCM zum EHF-Cup-Spiel in Minsk zu Ohren gekommen. 

Roggisch (lacht): Ich war schon in Berlin am Flughafen, als mir plötzlich einfiel, dass ich meinen Reisepass vergessen habe. Da sagte mir die Dame von der Lufthanse sofort: „Herr Roggisch, Weißrussland ohne Reisepass – das brauchen Sie gar nicht erst versuchen!“ Ich habe dann ein bisschen rumtelefoniert und meine damalige Putzfrau hat dann auch tatsächlich einen Pass von mir gefunden. Der war allerdings nicht mehr gültig. Ich habe ihn mir dann trotzdem mal kopieren und faxen lassen und bin erst einmal mit der Kopie eines abgelaufenen Reisepasses nach Minsk geflogen. Unser damaliger Manager Bernd-Uwe Hildebrandt griff dann am Minsker Flughafen schon einmal in die Hose und wollte versuchen, mit ein paar Euros meine Einreise zu bezahlen (lacht). Aber da stand einer mit einem Maschinengewehr – das haben wir dann lieber gelassen. 

Wie ging es dann weiter?

Roggisch: Mein Mannschaftskollege Oleg Kuleschow hat dann beim ehemaligen Bundesliga-Handballer Igor Lawrow angerufen – und der hat das dann über seine Kanäle in  die Hände genommen. Auf jeden Fall durfte ich irgendwann einreisen.

Was willst du den Schiedsrichtern abschließend mit auf den Weg geben?

Roggisch: Ich hoffe, dass sie mir eine zweite Chance geben bei meiner neuen Aufgabe. Ich habe als Spieler über Jahre ein Image aufgebaut, das wirklich nicht positiv war. Im Nachhinein frage ich mich manchmal, wenn ich Videos von mir sehe: Warum warst du damals so? Ich habe diese Sportart geliebt, war aber manchmal auch zu heiß. In der jüngeren Vergangenheit hatte ich aber eigentlich einen ganz guten Weg gefunden. Ich merke das jetzt schon, wenn ich hinter der Bank sitze, dass ich mit den Unparteiischen ganz anders umgehe. Man erkennt, wenn man älter wird, wie schwierig es für die Schiedsrichter bei diesem schnellen Spiel ist. Die Spieler machen Fehler, die Schiedsrichter auch. Bei mir hat es ein bisschen gedauert, das zu akzeptieren. Aber jetzt habe ich es verstanden.