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Der Gegner hat die Meisterschaft noch lange nicht abgeschrieben

Löwen erwarten die SG Flensburg-Handewitt

Manche Experten sprechen sogar von einer möglichen Vorentscheidung im Kampf um die Deutsche Meisterschaft. Auf jeden Fall ist es das absolute Spitzenspiel der DKB Handball Bundesliga, wenn die Rhein-Neckar Löwen am heutigen Abend um 20:15 Uhr in der SAP Arena den drittplatzierten SG Flensburg-Handewitt empfangen. Nur drei Punkte trennen beide Teams, SPORT1 überträgt die Partie live.

Und der Gegner aus dem hohen Norden kommt mit reichlich Selbstvertrauen in der SAP Arena. Vergessen ist das Hinspiel, als die Löwen wohl eine der besten Leistungen unter ihrem Trainer Nikolaj Jacobsen überhaupt boten und mit 32:25 beide Punkte mit nach Hause nahmen. Mit 37:27 fertigten die Flensburger am vergangenen Wochenende den THW Kiel in der VELUX EHF Champions League ab, rechtzeitig zum Duell mit den Löwen hat Gästetrainer Ljubomir Vranjes zudem praktisch seinen kompletten Kader zur Verfügung, ganz anders als in der letzten Saison. Damals wusste sich Vranjes einfach nicht mehr anders zu helfen. Die Personalnot der SG Flensburg-Handewitt war einfach zu groß. Also stellte sich der Trainer der SG vor fast einem Jahr bei der 20:23-Niederlage bei den Rhein-Neckar Löwen in der zweiten Halbzeit in kurzer Hose an den Spielfeldrand.

Unter seinem Polo-Hemd trug er zudem ein Trikot. Der Schwede, einst genialer Spielmacher von Weltklasse-Format, war einsatzbereit – musste dann aber doch nicht auf dem Feld eingreifen. Seine arg dezimierte Mannschaft, bei der Co-Trainer Maik Machulla auf der Mitte Regie führte, zog sich achtbar aus der Affäre. Eine PR-Maßnahme, sagte Vranjes anschließend, sei sein Dress in keinster Weise gewesen: „Ich stehe am Spielfeldrand und versuche von dort aus die richtigen Impulse für mein Team zu geben. Unsere Situation in diesem Spiel war mehr als schwierig, da muss man neue Reize setzen. Und wenn man in der 40. Minute mit so wenigen Alternativen dasteht, muss man Wege finden, seine Spieler zu pushen. Das ist mein Job. Wir hatten eine sehr schwere Aufgabe, da braucht man auch mal unkonventionelle Wege.“

Bundesliga, Champions League, Pokal, Reisestrapazen und immense Belastungen machten sich bei der SG vor einem Jahr wie bei keinem anderen Verein bemerkbar. Frühzeitig musste sich der Topklub aus dem Norden deshalb aus dem Meisterschaftsrennen verabschieden, frühzeitig war deshalb auch in der Königsklasse Schluss. Für einen Titel reichte es dennoch: In einem dramatischen Pokalfinale gewann die SG gegen den SC Magdeburg nach Siebenmeterwerfen,
im Halbfinale am Tag zuvor hatten die Flensburger die Rhein-Neckar Löwen bezwungen, die lange Zeit wie der sichere Sieger aussahen. „Nach vier Final Niederlagen wollten wir nicht noch einmal verlieren“, sagte SG-Geschäftsführer Dierk Schmäschke nach dem Triumph erleichtert. Und Trainer Vranjes fügte an: „Ein Stein ist mir vom Herzen gefallen, ich bin stolz auf meine Mannschaft. Wir haben eine Scheiß-Saison gehabt, mit unglaublich vielen Verletzten. Dieser Titel ist ein bisschen wie ein Pflaster.“ Doch schon damals reifte im ehrgeizigen Schweden der Plan, seine Mannschaft zukünftig breiter und besser aufzustellen. Und deswegen wurde im Sommer richtig investiert, der Champions-League-Sieger von 2014 kaufte Klasse in Masse.

Vom THW Kiel kam der dänische Nationalspieler Rasmus Lauge, vom HSV Hamburg wurde gleich ein Trio nach Flensburg gelockt: Kreisläufer Henrik Toft Hansen, ebenfalls dänischer Nationalspieler; Regisseur Kentin Mahé, französischer Nationalspieler; Rückraummann Petar Djordjic, serbischer Nationalspieler. „Ich bin sehr zufrieden. Ich habe die Spieler bekommen, die ich haben wollte. Da kann man nicht meckern“, sagte Vranjes gegenüber „SPORT1“ nach dem spektakulären Flensburger Großeinkauf: „Wir haben jetzt einen breiten Kader. Ich als Trainer habe dadurch mehr Möglichkeiten, ein Spiel zu planen und zu steuern. Wir können die Belastung viel besser verteilen. So sinkt auch das Verletzungsrisiko.“ Und mit einem Augenzwinkern schob der Trainer trocken hinterher: „Für die kommende Saison braucht niemand Angst haben. Ich werde keine kurze Hose anziehen.“

Das ist angesichts des gleichermaßen großen wie ausgeglichenen Kaders in dieser Runde tatsächlich nicht notwendig, die SG gehört zu den heißen Titelanwärtern und wurde von vielen Experten angesichts der vielen starken Neuzugänge vor der Runde schon zum Topfavoriten gemacht. Der Saisonstart mit 8:0-Punkten bestätigte das, der Dauermeister THW Kiel wurde mit 30:25 entzaubert. Doch dann folgten die unerwarteten Rückschläge: 32:33-Heimniederlage gegen die MT Melsungen, 21:24-Ausrutscher bei der HSG Wetzlar, 30:30-Heimremis gegen die Füchse Berlin. Fünf Minuspunkte in elf Tagen – das war ganz und gar nicht nach dem Geschmack der Norddeutschen und so auch nicht zu erwarten. Aber es folgte die große Siegesserie: Flensburg gewann acht Begegnungen in Folge, doch dann kamen die Löwen, die zum dritten Mal in Folge die gefürchtete „Hölle Nord“ eroberten. An jenem denkwürdigen 2. Dezember gelang den Badenern im Hinspiel der laufenden Saison alles, beim 32:25-Auswärtssieg glänzte sogar Spielmacher Andy Schmid mit einer Torwartparade beim Gegenstoß von Anders Eggert.

„In der ersten Halbzeit waren die Löwen viel, viel besser“, meinte Vranjes angesichts eines 10:18-Rückstands beim Seitenwechsel. Zum Jahresabschluss mühte sich die SG dann beim TBV Lemgo noch zu einem 32:30-Sieg, der trotz aller Anstrengungen aber spektakulär war. Denn in der Schlussviertelstunde drehten die Norddeutschen einen Fünf-Tore-Rückstand. Allein das zeigt, welch enormes Potenzial in den Flensburgern steckt, die in Mannheim an diesem Mittwoch ihre erste Bundesliga-Partie im Jahr 2016 bestreiten. Ursprünglich hätte die SG am 10. Februar in eigener Halle gegen den HSV Hamburg in die Rest-Rückrunde starten sollen, doch die Hanseaten sind mittlerweile zahlungsunfähig. Die Folge: Wie auch die Löwen müssen die Flensburger auf die eingeplanten Einnahmen aus der Heimpartie gegen Hamburg verzichten. „Dieser Spielausfall ist äußerst bedauerlich. Wir sind sehr verärgert, da wir unsere finanzielle und sportliche Saison Planung selbstverständlich inklusive der Partie gegen den HSV Handball ausgerichtet hatten“, fand SG-Manager Schmäschke deutliche Worte und kündigte die Prüfung rechtlicher Schritte an.

Die Löwen rechnen am heutigen Abend mit einer vollen Halle. Nur noch wenige Restkarte gibt es an der Abendkasse. „Unsere Zuschauer unterstützen uns fantastisch, wir wollen natürlich unsere Siegesserie ausbauen und einen direkten Konkurrenten im Kampf um die Meisterschaft auf Abstand halten“, hofft Löwen-Trainer Nikolaj Jacobsen zudem auf einen Einsatz von Kim Ekdal du Rietz. Der Schwede war am vergangenen Wochenende beim Sieg in Göppingen nach einem Foul auf den Rücken gefallen und konnte die Partie nicht mehr fortsetzen, gegen Flensburg will aber auch Ekdahl du Rietz unbedingt dabei sein.