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„Wir wollen Meister werden“

Mikael Appelgren im Interview

Die Hoffnungen der Rhein-Neckar Löwen auf den erneuten Gewinn der Deutschen Meisterschaft sind eng mit Mikael Appelgren verbunden. Nach dem verletzungsbedingen Ausfall von Andreas Palicka ruhten in den vergangenen Wochen alle Hoffnungen beim Deutschen Meister auf dem Schweden. Nur dank Appelgrens Paraden haben die Löwen die Chance auf die Titelverteidigung. Im Interview spricht der Torhüter über seine Anfänge im Handball, das Zusammenspiel mit Andreas Palicka, das es auch in der schwedischen Nationalmannschaft gibt. Zudem verrät er seine ganz persönliche Spielvorbereitung sowie Aufgabe innerhalb der Mannschaft und gibt einen Ausblick auf das kommende Topspiel am Sonntag in Flensburg.

Mikael, ihr habt euch mit der schwedischen Nationalmannschaft nach der starken WM auch vorzeitig für die EM qualifiziert. Welche Perspektive hat diese Auswahl?

Mikael Appelgren: Wir haben so etwas wie einen Neubeginn in Angriff genommen. Mit Kristján Andrésson haben wir einen neuen Trainer bekommen, ein paar neue Spieler sind dabei und einige andere Jungs haben eine neue Rolle bekommen. Zum Beispiel ich.

Inwiefern?

Appelgren: Im Prinzip war ich jahrelang hinter Mattias Andersson die Nummer zwei. Jetzt hat er seine Karriere in der Nationalmannschaft beendet und es liegt mehr Verantwortung auf meinen Schultern.

Wie schwer war es für dich, jahrelang hinter Andersson die Nummer zwei zu sein.

Appelgren: Man muss diese Rolle annehmen, auch das ist ein Lernprozess. Und letztendlich ist es auch so, dass ich von der Zusammenarbeit mit Mattias profitiert habe. Er ist ein überragender Torwart und wir haben uns gut verstanden. Dennoch ist es natürlich so, dass ich auch immer spielen will und dass ich mit der Zeit mehr Verantwortung übernehmen wollte. Ich bin mit den Löwen Deutscher Meister geworden und dann zu den Olympischen Spielen gefahren. Da hätte ich mir durchaus eine verantwortungsvollere Rolle zugetraut. Aber ab und zu ist es eben so, dass man sich hinten anstellen und geduldig sein muss.

Du bildest zusammen mit deinem Löwen-Kollegen Andreas Palicka jetzt das schwedische Torwartgespann.

Appelgren: Ja, wir sehen uns als Einheit. In der Nationalmannschaft und bei den Löwen. Ohnehin muss ich sagen, dass wir eine unglaubliche tolle, eine geile Harmonie in der Truppe haben. Es gibt eine richtige Aufbruchstimmung, vielleicht kann man das sogar ein wenig mit der deutschen Nationalmannschaft vergleichen, als diese von Dagur Sigurdsson übernommen wurde. Wir haben uns übrigens auch einen Namen gegeben: Die Deutschen nennen sich „Bad Boys“ – wir sind die „Young Guns“ (lacht).

Kommen wir zu den Löwen: Wie schwer ist es vor Saisonbeginn eigentlich, wenn man weiß: Für die Meisterschaft müssen wahrscheinlich 31 Siege in 34 Spielen her.

Appelgren: Das ist Wahnsinn und echt hart. In Schweden und Dänemark ist die Liga etwas entspannter, weil es Play-offs gibt. Die Bundesliga ist gleich in doppelter Hinsicht eine Herausforderung, weil du immer voll da sein musst: Jedes Spiel ist wichtig und jeder Gegner stark. Dazu kommen die Reisestrapazen in der Champions League.

Wie geht man diese mentale Belastung an?

Appelgren: Uns hat es in der vergangenen Saison ausgezeichnet, dass wir uns immer nur auf die nächste Aufgabe konzentriert haben. Wenn wir ein starkes Spiel gemacht und gewonnen haben, gab es keine große Feier, sondern der Blick ging sofort nach vorne. Wenn wir verloren haben, haben wir es genauso gemacht. Nicht zu viel freuen, nicht zu viel trauern. Was passiert ist, kann man nicht mehr verändern. Wir leben im Jetzt.

Wie versuchst du dich ganz persönlich vom Stress zu befreien?

Appelgren: Ich besuche einen Anatomie- und Physiologiekurs, um mich einfach mit etwas anderem zu beschäftigen. Oder ich treffe mich mit Freunden, mit denen ich nicht über Handball spreche. Aber im Prinzip ist es natürlich schon so, dass wir in unserer kleinen Handball-Blase leben – was sicherlich nicht schlecht ist, um immer konzentriert zu sein. Aber ab und zu muss man auch einfach mal etwas anderes machen.

Wie bereitest du dich auf ein Spiel vor?

Appelgren: Ich spiele ja schon viele Jahre in der Bundesliga, deswegen habe ich viele Dinge im Kopf. Trotzdem schaue ich mir vor jedem Spiel Videos an, die mir unser Co-Trainer Klaus Gärtner zusammenschneidet. Und ich schaue mir meistens das letzte Spiel des Gegners an, um ein Gefühl für die nächste Aufgabe zu bekommen. Wichtig ist, sich nicht mit Informationen zu überfrachten. Der Kopf darf nicht zu voll sein.

Wie wichtig sind diese Videos?

Appelgren: Sie sind meiner Meinung nach vor allem wichtig für das Unterbewusstsein, damit du für dich weißt, dass du dich entsprechen vorbereitet hast. Ansonsten ist das Torwartspiel aber doch sehr von der Intuition geprägt.

Hast du ein Ritual vorm Spiel?

Appelgren: Ich singe mit unserem Physiotherapeuten Sven Raab beim Tapen. Da werde ich frei im Kopf. In meiner ersten Saison war es ein Lied, jetzt sind es zwei – und vielleicht in der nächsten Saison drei. Wenn jemand einen Tipp hat, bitte melden (lacht).

Könntest du dir vorstellen, nach der Karriere als Physiotherapeut zu arbeiten? Du besuchst ja schließlich einen Anatomie- und Physiologiekurs.

Appelgren: Ich hoffe, dass ich noch ein paar Jahre spielen kann. Deswegen habe ich mir darüber noch keine Gedanken gemacht. Ich finde einfach, dass jeder Spieler über seinen Körper Bescheid wissen sollte. Denn unsere Körper sind unsere Werkzeuge.

Wie bist du zum Handball gekommen?

Appelgren: Ich war zuerst Fußballtorwart, mein bester Kumpel hat Handball gespielt. Als ich elf Jahre alt war, bin ich mal mit ihm zum Training und habe nur zugeschaut. Beim nächsten Mal habe ich dann schon mitgemacht – und dann bin ich dabei geblieben.

Hast du sofort im Tor gespielt?

Appelgren: Ich habe auf allen Positionen gespielt und hatte auch einen harten Wurf. Am Kreis habe ich mich ganz gut angestellt. Aber als ich 13 oder 14 war, stand ich nur noch im Tor. Auf dieser Position war ich schon am besten – und so viele andere wollten diesen Job auch nicht (lacht).

Die MT Melsungen war deine erste Station in der Bundesliga. Wie bewertest du die drei Jahre dort?

Appelgren: Im Nachhinein war es genau der richtige Schritt für mich, um danach dann zu einem großen Verein wie die Löwen zu gehen. Ich bin als 22-Jähriger nach Melsungen gekommen, habe dort ein paar Landesleute getroffen und mit deren Hilfe schnell die Sprache gelernt. Das hat mir sehr bei der Integration geholfen. Im ersten Halbjahr habe ich sehr viel gelernt, danach sehr viel gespielt. Das war alles eine komplett neue Welt. Plötzlich habe ich jede Woche gegen Superstars wie Filip Jicha und Uwe Gensheimer gespielt, die ich nur aus dem Fernsehen kannte.

Du bist gleich in deiner ersten Löwen-Saison Meister geworden. Hast du das erwartet?

Appelgren: Ich bin schon mit dem Ziel hierhergekommen, um oben mitzuspielen. Aber es war zweifelsohne ein verrücktes erstes Jahr für mich. Zum ersten Mal habe ich in der Champions League gespielt – und plötzlich stehe ich da am Saisonende noch mit der Schale in der Hand. Damit war nicht unbedingt zu rechnen. Keine Frage: Das erste Löwen- Jahr war intensiv, vor allem in der Endphase.

Warum?

Appelgren: Wir waren schon ein bisschen zittrig, wollten am liebsten jeden Tag spielen und so schnell wie möglich die Entscheidung herbeiführen. Wir waren praktisch das ganze Jahr Erster, da sind die Erwartungen natürlich ganz schnell gewachsen – auch unsere eigenen.

Geht ihr mit der Aussicht auf die Meisterschaft in diesem Jahr anders um?

Appelgren: Vielleicht sind wir ein bisschen lockerer, weil wir diese Erfahrung jetzt einmal gemacht haben. Wir wissen, dass wir eine Meisterschaft gewinnen können. Und wir schauen auch nur auf uns: Wichtig ist, dass wir fokussiert bleiben und unsere Spiele gewinnen. Denn nur das können wir beeinflussen.

Hast du erwartet, dass die Löwen noch einmal eine so starke Saison spielen?

Appelgren: Wir haben weniger Minuspunkte als vor einem Jahr und haben es geschafft, so weiterzuspielen wie in der vergangenen Saison. Ich denke schon, dass uns diese Meisterschaft einen Schub gegeben hat. Diese Erfahrung hilft uns in der jetzigen Saison.

Hat Flensburg mehr Druck als ihr?

Appelgren: Wir wollen ja auch Meister werden, deswegen haben wir auch Druck. Aber es ist sicherlich so, dass an uns nicht so große Erwartungen gestellt werden wie an die Flensburger. Die wollten in der vergangenen Saison schon Meister werden, waren der Favorit – aber wir haben die Schale geholt. Jetzt waren sie in dieser Saison wieder der Favorit, lange Tabellenführer und haben wirklich sehr stark gespielt – deswegen haben sie vielleicht mehr Druck, dieses Jahr Meister zu werden. Aber Druck kann sich ja auch positiv auswirken so wie bei uns in der vergangenen Saison, als wir alles diesem einen Ziel untergeordnet haben.

Die Löwen sind überzeugt von dir, haben bereits nach einem Jahr deinen Vertrag vorzeitig verlängert.

Appelgren: Das hat mich schon ein bisschen überrascht. Andererseits habe ich ja auch gesehen, dass die Löwen mit anderen Spielern vorzeitig verlängert haben. Es ist auf jeden Fall ein großer Vertrauensbeweis und auch ein Kompliment, dass ein so großer Verein wie die Löwen so früh auf mich zugekommen ist und die Zusammenarbeit gleich bis 2021 ausgedehnt hat. Ich bin sehr glücklich, dass ich hier noch ein paar Jahre spielen darf. Denn diese Mannschaft hat Potenzial, auch in der Zukunft Titel zu gewinnen.

Hast du im Training eigentlich einen Lieblingsgegenspieler bei den Löwen?

Appelgren: Nein, es macht gegen alle Spaß.

Ist es vielleicht frustrierend, weil alle Bälle drin sind?

Appelgren: Auf keinen Fall, es ist eher umgekehrt
(lacht).

Und welche Aufgabe innerhalb der Mannschaft hast du?

Appelgren: Ich bin für Eisbeutel und Eiskoffer zuständig. Und wenn ich das vergesse, gibt es einen riesigen Stress.

Kassenwart Hendrik Pekeler soll nicht gerade gnädig sein.

Appelgren: Das ist er auch nicht. Pekeler ist furchtbar streng (lacht).