Veröffentlichung:

Löwen wollen ins Viertelfinale der VELUX EHF Champions League

Rekordmeister Kiel kommt morgen zum entscheidenden Rückspiel in die SAP Arena

„Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“, lautet ein geflügeltes Wort. Doch wenn der THW Kiel auf das letzte Vorrundenspiel in der Gruppe A der VELUX EHF Champions League zurückblickt, dürfte der erlebte Horror noch einige Zeit nachwirken: Mit 24:42 (10:22) kassierte der deutsche Rekordmeister bei Paris St. Germain eine üble Klatsche; eine Niederlage, die über das normale Maß hinausging; ein Desaster, das historisches Ausmaß hatte: Die Abreibung in Frankreich war die höchste Pleite, die die Zebras in der Geschichte der europäischen Königsklasse jemals kassiert haben und auch in ihrer langen Bundesliga-Geschichte hatten die erfolgsverwöhnten Nordlichter bislang nie höher als mit 15 Treffern Unterschied verloren.

„Wir haben skandalös schlecht angefangen, viele Bälle verschossen und auch hinten nicht zugepackt“, kommentierte THW-Coach Alfred Gislason nach der Packung in Paris die Partie auf der Club-Homepage. Dass in seinem Team der gesundheitlich angeschlagene Kreisläufer und Abwehrstabilisator Patrick Wiencek fehlte, wollte Gislason nicht als Entschuldigung werten: „Die, die auf dem Feld standen, haben nicht so gespielt, wie es nötig gewesen wäre, um Paris Paroli zu bieten.“ Der Auftritt in der französischen Hauptstadt war der Tiefpunkt einer Champions-League-Kampagne des THW, die zu keiner Zeit so richtig ins Rollen kam. Zwar stand schon vor der abschließenden Partie beim französischen Star-Emsemble um Nikola Karabatic, Mikkel Hansen und Ex-Löwe Uwe Gensheimer fest, dass die Kieler ihren Platz im Achtelfinale sicher haben. Platz fünf in der Vorrunde entsprach aber natürlich keinesfalls dem eigenen Anspruch, wie gehabt zu den weltbesten Mannschaften zu gehören.

Die Bilanz ließ allerdings nicht mehr zu: Insgesamt setzte es auf der europäischen Bühne sieben Vorrunden-Niederlagen – eine Marke, die im neuen Modus wohl auch eine Weile Bestand haben wird. Dabei schmerzt die Kieler nicht nur die Tatsache, dass es nun im Achtelfinale zum von beiden Seiten ungeliebten Bundesliga-Duell mit den Rhein-Neckar Löwen kommt, sondern vor allem auch der psychologische Aspekt: Dem THW, sonst jahrelang mit dem Gewinner-Gen geimpft, scheint in dieser Saison endgültig die Sieger-Attitüde abhandengekommen zu sein. In der Meisterschaft sind die „Zebras“ nach der Niederlage in Magdeburg endgültig aus dem Tritt gekommen, in der VELUX EHF Champions League durfte sogar der dänische Meister BSV Bjerringbro-Silkeborg mit 24:21 die Punkte aus der Ostseehalle mitnehmen.

Nach dieser Heimpleite musste Manager Thorsten Storm sogar den sonst über alle Zweifel erhabenen Trainer in Schutz nehmen. „Alfred ausgebrannt? Das sehe ich gar nicht so“, sagt Storm den „Kieler Nachrichten“ nach der ernüchternden Niederlage gegen die Dänen. „Die Erfolge der letzten Jahre stehen in engem Zusammenhang mit dem Namen Alfred Gislason. Natürlich kann man sich in der Sportwelt von der Vergangenheit nichts kaufen. Aber Alfred hat mit jungen Spielern einen Neuanfang begonnen, und ich sehe, dass er alles in die Weiterentwicklung des Teams investiert“, gibt es für Storm keinen Grund, den Coach in Frage zu stellen. „Ich glaube an diese Mannschaft und an unseren Weg!“ Der könnte allerdings weiter steinig werden, denn dem aktuellen Konstrukt fehlt es vor allem an Balance. Am morgigen Donnerstag kann die Champions League Saison der Kieler bereits ein Ende nehmen, wenn es um 19 Uhr in der SAP Arena (Eintrittskarten noch an der Abendkasse) zum Rückspiel im Achtelfinale gegen die Rhein-Neckar Löwen kommt. Auf den Sieger wartet im Viertelfinale der FC Barcelona. Die Löwen nehmen nicht nur ein Tor Vorsprung mit in das Rückspiel, Kiel kämpft zudem mit großen Verletzungssorgen.

Spielmacher Domagoj Duvnjak spielte in der Vergangenheit zum Großteil am Rande seiner Belastbarkeit und fällt nach dem Hinspiel nun auch am Donnerstag in der SAP Arena aus. Die Nebenleute im Rückraum sind entweder noch zu unerfahren, haben mit enormen Formschwankungen zu kämpfen oder fehlen ebenso verletzt wie Steffen Weinhold, der im Hinspiel gegen die Löwen zwar auf dem Feld stand, aber zum Rückspiel ebenfalls passen muss. Zudem fußt viel auf Einzelaktionen, spielerisch sind den Kielern selbst in der Bundesliga einige Mannschaften voraus.

Der Vorteil für Kiel ist immerhin, dass die Saison über die K.o.-Spiele beim Final Four um den DHB-Pokal in Hamburg oder eben in der Champions League noch halbwegs gerettet werden kann. Die Favoritenrolle haben die „Zebras“ allerdings längst nicht mehr. „Die Löwen sind ein sehr schwerer Gegner. Da müssen wir wesentlich besser spielen als in der Gruppenphase“, sagt deshalb Trainer Gislason mit Blick auf das innerdeutsche Duell und Manager Storm hofft auf eine enge Serie, gegen die Löwen, die in der Endphase der Vorrunde in Celje und zuhause gegen Szeged ebenfalls eine bessere Ausgangsposition verspielten. „Beide Clubs wollen ins Viertelfinale. Kleinigkeiten werden am
Ende den Ausschlag geben, welche Mannschaft es schafft.“

Auch bei den Löwen hielt sich die Freude über das Duell mit dem Liga-Rivalen in Grenzen. „Das ist das Szenario, das wir unbedingt vermeiden wollten“, gab Kreisläufer Hendrik Pekeler zu, aber im Gegensatz zu den Kielern, die seit dem Debakel von Paris keine Gelegenheit hatten, es besser zu machen, konnten die Löwen nach den zuletzt ernüchternden Auftritten in der Königsklasse immerhin in der Liga beim 26:20 gegen GWD Minden und beim 33:28 in Lemgo wieder etwas Selbstvertrauen tanken. Oder um es mit Kapitän Andy Schmid zu sagen: „Entscheidend ist in der K.o.-Runde.“

Ein Tor Vorsprung nehmen die Löwen mit ins Rückspiel, nach dem Spielverlauf im Hinspiel wäre deutlich mehr drin gewesen. Mit sechs Toren führte der Deutsche Meister bereits an der Ostsee, ehe es am Ende 25:24 hieß. „Es wird noch einmal ein richtig schweres Spiel“, befürchtet der im Hinspiel überragende Torhüter Andreas Palicka, während Oliver Roggisch dem knappen Erfolg auch etwas Positives abgewinnen kann. „Wir wissen, dass es noch nicht vorbei ist, und wir am Donnerstag noch einmal eine richtige starke Leistung brauchen“, so der sportliche Leiter der Löwen. Dabei helfen sollen in erster Linie die Handballfans der Region. „Wir brauchen gegen Kiel unsere Halle, wenn es mit dem Sprung ins Viertelfinale klappen soll“, sagte Hendrik Pekeler. Doch auch der Gegner hat sich noch lange nicht aufgegeben. „Ein Tor ist nichts im Handball, die Chancen stehen 50-50“, so Kiels Linkshänder Marko Vujin. Es ist alles angerichtet für ein absolutes Spitzenspiel, welches von der EHF zudem zum „Match of the week“ ernannt wurde. Auch für Kurzentschlossene gibt es an der Abendkasse noch ausreichend Eintrittskarten. Die SAP Arena öffent um 17:30 Uhr.