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„Wir haben die Titelverteidigung selbst in der Hand“

Harald Reinkind im Interview

Harald Reinkind spielt seine dritte Saison im Trikot der Rhein-Neckar Löwen. Im Interview spricht der norwegische Nationalspieler über die Anfänge seiner Karriere, das schlechte Wetter in Norwegen, die Chancen der Titelverteidigng in der Bundesliga und welche Rolle Löwen-Neuzugang Filip Taleski ihm nun abgenommen hat.

Harald, räumen wir mal mit einem Gerücht auf: Überall steht, Trondheim sei dein Geburtsort.

Harald Reinkind: Das steht wirklich überall, sogar bei der EHF. Aber das stimmt nicht. Meine Eltern kommen aus Trondheim. Aber ich wurde in Tønsberg geboren, das liegt in der
Nähe von Sandefjord.

Du lebst seit fast drei Jahren in Deutschland. Was vermisst du?

Reinkind: Meine Familie und Freunde – aber auf keinen Fall das Wetter (lacht). Es gibt in Bergen ein paar schöne Tage im Jahr. Aber man weiß ja nie, wann die kommen. Ich glaube, im Sommer sind es im Schnitt 20 Grad. Es regnet mehr als in Kiel. Einmal hat es 100 Tage in Folge geregnet. Diese Dunkelheit, diese Kälte – da kann man schon depressiv werden.

Was macht man dagegen?

Reinkind: Am besten geht man in die Halle und spielt Handball – dort ist es zumindest hell, trocken und warm (lacht).

Ihr habt WM-Silber mit der Nationalmannschaft geholt. Wer sind aktuell die größten norwegischen Sporthelden?

Reinkind: Vor Biathlet Ole Einar Bjørndalen, seinen Leistungen und seinen Erfolgen haben alle Norweger großen Respekt. Aber wenn es um Popularität geht, steht Langläufer Petter Northug wohl auf Platz eins. Er ist ebenfalls erfolgreich und noch dazu extrovertiert. Petter hat immer etwas zu sagen – das finden die Leute gut.

Die Wintersportler sind also die Nummer eins?

Reinkind: Ja, große Fußballer haben wir gerade nicht. Früher hatten wir John Carew, John Arne Riise oder Ole Gunnar Solskjær. Das waren internationale Stars bei großen Vereinen wie Valencia, Liverpool und Manchester. Diese Persönlichkeiten gibt es im Fußball gerade nicht.

Die englische Premier League spielt eine große Rolle in Norwegen, oder?

Reinkind: Ja, wenn Fußball im Fernsehen gezeigt wird, ist das fast immer die Premier League und nur ganz selten die Bundesliga.

Und welchen Klub favorisierst du?

Reinkind: Aufgrund meiner Eltern muss ich natürlich zu Rosenborg Trondheim halten (lacht). Ansonsten bin ich Fan von Manchester United, mit José Mourinho hat ManU einen spannenden Trainer.

Mit dem deutschen WM-Helden Bastian Schweinsteiger ist er aber nicht gerade freundlich umgegangen.

Reinkind: Das stimmt. Es war nicht in Ordnung. Mit einem Spieler wie Schweinsteiger macht man sowas nicht.

Welche Erinnerungen hast du an deinen Heimatverein IL Gneist?

Reinkind: Das war eine sehr schöne Zeit, in 15 Minuten bin ich mit dem Fahrrad zum Training gefahren. Wir waren eine gute Gruppe, hatten viel Spaß und einen tollen Zusammenhalt. Viele aus der Mannschaft haben auch Fußball gespielt, aber irgendwann waren wir zu wenig Handballer. Da musste ich den Verein wechseln.

Du bist zu Fyllingen gegangen.

Reinkind: Ja, da war ich 13 Jahre alt und habe in diesem Klub auch noch Fußball gespielt. Aber dann wurde es mit dem Handballer immer professioneller, für Fußball blieb keine Zeit.

Welche Bedeutung hat Löwen-Legende Bjarte Myrhol für die norwegische Nationalmannschaft?

Reinkind: Es gibt nicht mehr so viele in unserem Team, die 30 Jahre oder älter sind. Auch unser Torwart Ole Erevik hat aufgehört, mit Bjarte ist uns einer der wenigen alten Männer geblieben (lacht). Wir jüngeren Spieler schätzen ihn sehr – und wir brauchen ihn. Er ist unser Chef, unsere Führungsfigur. Er reißt uns alle mit. Das wissen und kennen wir ja alle aus seiner Zeit bei den Löwen.

Bjarte war ein bisschen traurig, dass er diese Meisterschaft 2016 nicht mehr miterlebendurfte, oder?

Reinkind: Er hat sich unglaublich für die Löwen und seine ehemaligen Kollegen gefreut. Aber nachdem er so oft so nah dran war mit den Löwen, hat es ihn auch ein wenig geschmerzt, dass er das selbst nicht erleben durfte und es dann gleich im ersten Jahr nach seinem Abschied mit der Meisterschaft geklappt hat. Wenn man einem Spieler diesen
Titel gewünscht hätte, dann Bjarte. Das war wirklich schade für ihn.

Ihr wurdet mit der Nationalmannschaft EM-Vierter, habt dann Olympia verpasst und auch die Qualifikation für die WM sportlich nicht geschafft. Eine Wildcard hat euch zum Turnier nach Frankreich gebracht, wo ihr plötzlich Silber gewonnen habt. Wie erklärst du dir dieses Auf und Ab?

Reinkind: Wir sind eine sehr junge Mannschaft, deswegen sind Schwankungen auch irgendwie normal. Außerdem kann ein einziges Tor im Handball sehr viel verändern. Kassieren wir im EM-Halbfinale gegen Deutschland nicht kurz vor Schluss den Ausgleich, geht es nicht in die Verlängerung. Dann stehen wir im Finale und sind für die WM qualifiziert. Es kam anders – aber aus diesem Erlebnis haben wir gelernt und es wird uns auf unserem Weg helfen, eine Spitzenmannschaft zu werden.

Du hast die erfolgreiche WM verletzungsbedingt verpasst. Wie schlimm war das?

Reinkind: Ein bisschen konnte ich da nachempfinden, wie sich Bjarte bei der Löwen-Meisterschaft gefühlt hat. Ich habe mich riesig für die Jungs gefreut, aber es war hart, nicht selbst spielen zu dürfen.

Wie hast du die WM verfolgt?

Reinkind: Die Vorrunde, das Achtel- und Viertelfinale habe ich im Fernsehen gesehen, zum Halbfinale und Endspiel bin ich dann nach Paris in die Halle gekommen.

Frauen-Handball ist sehr populär in Norwegen. Welchen Stellenwert genießt dieser WM-Erfolg der Männer-Mannschaft?

Reinkind: Diese Silbermedaille bedeutet sehr viel. Es war die erste Medaille überhaupt bei einem großen Turnier. Dieser Erfolg hat dem Männer-Handball einen Schub gegeben, es gibt neue Vorbilder für die Jugend und mehr Sponsoren. Dieses Geld kann in die Jugendförderung investiert werden. Keine Frage: Es ist sehr viel in Bewegung, es tut sich was.

Wie wichtig war der Verbleib von Trainer Christian Berge, der auch von der SG Flensburg-Handewitt umworben wurde?

Reinkind: Man sagt einem Verein wie Flensburg nicht einfach so ab. Sein Verbleib in Norwegen war ein eindeutiges Signal und zeigt auch uns Spielern, dass er an uns und an weitere Erfolge glaubt. Christian hat eine klare Philosophie und verfolgt ein lang-fristiges Ziel. 2020 findet die EM im eigenen Land statt, im gleichen Jahr stehen Olympische Spiele an. 2020 soll unser Jahr werden – aber das sagen die Deutschen ja auch (lacht).

Aus der Champions League sind die Löwen bereits ausgeschieden. Wie fällt dein Fazit aus?

Reinkind: Das Achtelfinal-Aus ist enttäuschend. Im Auswärtsspiel in Kiel hätten wir schon eine Vorentscheidung herbeiführen können, wir waren sechs Tore vorne. Es war unnötig spannend vor dem Rückspiel. Und wenn es dann nur um ein, zwei Tore geht, kann man gegen Kiel ausscheiden. Das ist eine starke Mannschaft. Wir haben es uns letztendlich selbst zuzuschreiben, dass wir schon im Achtelfinale auf Kiel getroffen sind. In der Gruppe war mehr als Platz vier drin.

Was spricht für eine Bundesliga-Titelverteidigung?

Reinkind: Wir haben es in der eigenen Hand, sind aktuell Tabellenführer, auch wenn Flensburg sicherlich einen etwas stärkeren Eindruck als wir hinterlassen hat. Die Spiele, die wir mit drei Toren Differenz gewonnen haben, entscheiden die Flensburger mit 13 Treffern Unterschied. Flensburg spielt einen tollen Handball – so wie wir in der vergangenen Saison – und auch schon ein paar Mal das Glück gehabt, das man braucht, um am Ende oben zu stehen. Doch trotz allem haben wir es selbst in der Hand, auch wir hatten diese Saison schon einige ganz knappe Spiele.

Du meinst den 24:23-Sieg über Leipzig?

Reinkind: Das war ein ganz wichtiger Erfolg. Wir haben das Spiel praktisch zwei Mal gedreht, das spricht für die kämpferische Klasse und mentale Stärke dieser Mannschaft. Wir haben nicht gut gespielt, aber trotzdem gewonnen. 48 Stunden nach dem Spiel gegen Kiel war es für Kopf und Körper einfach schwer.

Bei Auswärtsreisen ist Mads Mensah Larsen dein Zimmerkollege: Beschreibe ihn mal.

Reinkind: Er ist ein angenehmer Kollege, wir haben die gleichen Interessen und schauen gerne TV-Serien. Er schnarcht im Schlaf ein bisschen, aber darüber kann ich hinwegsehen (lacht).

Und sonst hat er keine Schwächen?

Reinkind: Er ist ein bisschen vergesslich. In Celje hat er ein Paar Schuhe stehenlassen, außerdem ist er unser Ölwart. Das hat er auch schon ein paar Mal vergessen.

Da muss Kassenwart Hendrik Pekeler ja ordentlich durchgreifen.

Reinkind: Keine Sorge, das macht er richtig gründlich. Ein typischer Deutscher. Pekeler nimmt das ganz, ganz genau und ist ziemlich streng – nur nicht mit sich selbst (lacht).

Wie man hört, bist du deinen Posten als Ballwart los.

Reinkind: Endlich. Das war total nervig. Ich hatte immer diesen Ballsack und auf Reisen stets zwei Gepäckstücke dabei. Ums Harz musste ich mich ebenfalls kümmern, da lag die Dose auch schon mal geöffnet im Auto. Das war jetzt nicht so toll. Umso besser ist es, dass Filip Taleski neu zu uns gekommen ist. Der kümmert sich nun um die Bälle. Im nächsten Jahr kommt mit Jerry Tollbring dann noch ein junger Spieler dazu. Die können dann unter sich ausmachen, wer für die Bälle zuständig ist (lacht).

Hast du denn eine neue Aufgabe?

Reinkind: Leibchenwart – das ist ganz einfach. Allein schon deshalb, weil Filip das häufig für mich mitmacht (lacht).