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„Ich freue mich auf das, was jetzt kommt“

Michel Abt im Interview

Er ist zweifelsfrei der große Pechvogel der Saison. Seit Jahren gehört Michel Abt zum erweiterten Kader des Deutschen Meister, das Eigengewächs sammelte neben der Bundesliga auch in der Champions League Spielpraxis und wusste oftmals zu überzeugen. Die laufenden Saison war das erste Jahr als Profi für den Rückraumspieler, ehe ihn ein Knorpelschaden im vergangenen Januar ausbremste. Neben seiner nun beginnenden Reha wird Abt den Rhein-Neckar Löwen aber erhalten bleiben, in der kommenden Saison übernimmt er als Trainer die 2. Mannschaft der Badener. Im Interview spricht Abt über seine Verletzung, sein zukünftiges Lebens neben dem Handball, die Deutschkentnisse seines Zimmerkollegen Rafael Baena und zieht sein persönliches Fazit der laufenden Saison.

Michel, du hast dir im Januar im Training einen Knorpelschaden zugezogen. Hast du sofort gespürt, dass etwas Schlimmes passiert ist?

Michel Abt: Mein erster Gedanke war: Hoffentlich ist das Kreuzband nicht gerissen. Am nächsten Tag bin ich dann zum MRT und es hieß, ich hätte eine kleine Knorpelabsplitterung erlitten. Da dachte ich mir: Okay, das ist in sechs Wochen erledigt. Dann musste es doch operiert werden und es hieß: drei Monate Pause. Und dann wache ich nach der Operation auf und mir wurde gesagt: ein Jahr Pause. Da war ich plötzlich hellwach im Aufwachraum und habe mich relativ früh aus dem Krankenhaus entlassen. Ich wollte einfach nur nach
Hause, denn diese Nachricht war dann doch eine ziemlich traurige und ein kleiner Schock.

Erst Ende des Monats beginnt deine Reha so richtig. Wird dir manchmal langweilig?

Abt: Sagen wir es mal so: Ich feile gerade an meiner E-Sports-Karriere (lacht).

Welches Spiel?

Abt: Ich habe nur eines: Fifa. Das steht gerade verstärkt auf der Tagesordnung. Aber ich bin auch echt eingeschränkt in meiner Bewegungsfreiheit, muss täglich eine Schiene tragen, gehe auf Krücken. Da bleiben nicht mehr so viele Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Es wird sich aber ändern, wenn die Reha läuft. Versprochen (lacht).

Du wirst deine Karriere als Handballprofi nach dieser Saison mit gerade einmal 26 Jahren beenden. Warum?

Abt: Ich habe ein abgeschlossenes Lehramtsstudium in der Tasche. Diesen Beruf möchte ich auch bald ausüben – unabhängig von meiner sportlichen Zukunft. Ich habe schon ein wenig Respekt davor, dass vielleicht der Lehrerberuf inklusive Verbeamtung irgendwann in Gefahr ist, wenn ich mich noch einmal schwer verletzte. Vielleicht könnte ich dann gar nicht mehr als Sportlehrer arbeiten. Deswegen bin ich vernünftig und nehme im Januar 2018 mein Referendariat auf. Das geht dann eineinhalb Jahre und ich freue mich darauf.

Welche Fächer wirst du unterrichten?

Abt: Neben Sport noch Geografie. Wahrscheinlich werde ich mit Deutsch als Fremdsprache noch ein weiteres Fach dazunehmen. Ich könnte mir vorstellen, dass es mir Spaß macht, Flüchtlingskindern die deutsche Sprache beizubringen.

Wie wäre es mit dir als Handballer weitergangen, wenn es die Verletzung nicht gegeben hätte?

Abt: Ich hätte noch ein bisschen in der Dritten Liga gespielt und noch einmal etwas anderes als Kronau/Östringen beziehungsweise Rhein-Neckar Löwen gemacht. Im Prinzip stand ich beim TV Germania Großsachsen schon im Wort. Aber dann kam die Verletzung – und mir wurde hier der Trainer-Posten bei unserer Drittligamannschaft angeboten. Es war sowieso immer mein Ziel, irgendwann einmal als Trainer zu arbeiten. Ich habe auch einen B-Schein. Deswegen musste ich nicht lange überlegen und habe diese Chance ergriffen. Wichtig ist mir auch, dass Großsachsen für diese Entscheidung Verständnis hat und man weiß ja nie, was in ein bis zwei Jahren noch alles passiert.

Kann man aus der Verletzung also auch etwas Gutes ziehen?

Abt: Nachdem sich das jetzt alles so gut für mich entwickelt hat, muss ich sagen: Die Tür mit der Profikarriere ist durch meine Verletzung wohl zugegangen, eine andere hast sich geöffnet. Das ist eine großartige Möglichkeit für mich. Nicht jeder erhält in meinem Alter die Chance, eine Drittligamannschaft zu trainieren. Ich freue mich auf das, was jetzt kommt – auch wenn das Ende der eigenen Profikarriere ein bisschen schade ist.

Du bist auch passionierter Wintersportler: Ist das in Zukunft noch möglich?

Abt: Die Überlegung steht im Raum, dieses Jahr mal zu pausieren – aber auch nicht viel länger (lacht). Ich will auch in einigen Jahren noch Skifahren gehen und Tennis spielen. Wenn ich mich noch einmal verletze, ist das vielleicht nicht mehr drin. Darüber würde ich mich wahnsinnig ärgern, wenn ich das alles weggeworfen hätte, nur um noch zwei, drei Jahre hochklassig Handball zu spielen. Dann hätte ich doch was falsch gemacht.

In dieser Saison hattest du nicht die Doppelbelastung mit Studium und Handball – eine neue Erfahrung?

Abt: Das war bis zu meiner Verletzung ein echtes Luxusleben (lacht). Okay, die Saisonvorbereitung war nicht so lustig. Aber ansonsten gab es keinen Grund zur Beschwerde. Ich hatte meine Leidenschaft zum Beruf gemacht.

Dein spanischer Zimmerkollege Rafael Baena vermisst dich schon. Warum?

Abt: Ich habe versucht, ihm ein bisschen Deutsch beizubringen. Er ist sehr ehrgeizig und lernt eigentlich ein paar grammatikalische Sachen, die er gar nicht braucht, weil sie sogar die wenigsten Deutschen erklären können. Was ist Plusquamperfekt oder was sind Adjektive genau? Das muss Rafael doch gar nicht wissen. Er muss einfach nur sprechen und Vokabeln lernen, damit er sich verständigen kann. Das ist das Wichtigste. Der Rest kommt von selbst. Jetzt hat er Filip Taleski als Zimmergenossen und ist selbst als Lehrer gefragt.

Kann er das?

Abt: Rafael würde es bestimmt gerne machen und alles dafür tun, um Filip helfen zu können. Aber ich fürchte: So weit ist Rafael dann doch noch nicht (lacht).

Welche Erinnerungen bleiben an die aktive Karriere?

Abt: Deutscher Meister 2008 mit der A-Jugend von Kronau/Östringen – das war der Höhepunkt meiner Jugend. Die Spiele für die Jugendnationalmannschaft werde ich auch nicht vergessen. Gerne denke ich an meinen ersten Einsatz für die Löwen in der SAP Arena im Benefizspiel für Oleg Velyky gegen die Welt-Auswahl. Außerdem: Champions League in St. Petersburg: vier Würfe, vier Tore. Und komischerweise habe ich in der Bundesliga immer ganz gut gespielt, wenn wir in Minden angetreten sind. Kampahalle – das ist meine
ganz persönliche Lieblingsarena (lacht).

Schauen wir in die Zukunft: Vor euch liegt ein lösbarer Heimspiel-Dreierpack.

Abt: Jeder erwartet von uns sechs Punkte – und wir von uns auch. Gegen den Bergischen HC, HBW Balingen-Weilstetten und den TVB Stuttgart zählen nur Siege. Ich gehe davon aus, dass wir in der jetzigen Phase und mit der Aussicht auf den Titel keinen Gegner mehr unterschätzen. Auf diese Chance, erneut Meister werden zu können, haben wir das ganze Jahr hingearbeitet. Jetzt wollen wir nicht mehr stolpern und freuen uns auf das Spiel in Flensburg.

Lief die Saison nach Plan?

Abt: Ich finde, sie lief sogar besser als erwartet. Vor dem ersten Spieltag hätten wir uns nicht träumen lassen, dass wir Mitte Mai die Meisterschaft in der eigenen Hand haben.

Wie gehst du damit um?

Abt: Ich kann nichts mehr machen, kann mich noch nicht einmal mehr mit guter Trainingsleistung einbringen und so das Niveau hochhalten. Ich kann nur noch mitfiebern – und das ist ein ziemlich doofes Gefühl. Seit ich verletzt und Zuschauer bin, steigert sich mein Adrenalinpegel von Spiel zu Spiel.

Wie fällt dein Saisonfazit bislang aus?

Abt: Wir haben fünf Minuspunkte auf dem Konto, am Ende sind es vielleicht sieben und wir werden dann kein Meister. Wir hätten in diesem Fall aber trotzdem mehr Punkte geholt als in der Vorsaison. Insofern kann man durchaus sagen, dass es bislang perfekt gelaufen ist. Denn wer im Mai in der stärksten Liga der Welt noch alle Chancen auf die Meisterschaft und nur fünf Minuspunkte hat, muss ziemlich viel richtig gemacht, einen guten Trainer, eine gute Mannschaft und ein gutes Umfeld haben. All das ist bei uns der Fall.

Im Pokal kann man sicherlich gegen Flensburg verlieren, das Aus in der Champions League dürfte aber schmerzen.

Abt: Ja, auf jeden Fall. In diesem Wettbewerb insgesamt und auch im Achtelfinale gegen Kiel haben wir uns insbesondere nach dem Hinspielsieg mehr ausgerechnet. Da war nach dem Aus die Enttäuschung groß. Aber die ganze Champions-League-Saison lief nicht so flüssig, wir sind mit dem Heimspielort Frankfurt auch nicht so warm geworden. Die positiven Ausschläge nach oben mit den Auswärtssiegen in Kielce und Skopje waren ja eher die Ausnahme.

Erstmalig hat sich keine deutsche Mannschaft fürs Final Four der Champions League qualifiziert.

Abt: Das ist kein Zufall. Der Substanzverlust für die deutschen Mannschaften in der Bundesliga ist riesig und das Pensum durch den neuen Modus in der Champions League brutal geworden. Die deutschen Champions-League-Vertreter kennen fast eine Saison lang nur den Rhythmus Mittwoch-Samstag, das ist eine fast unmenschliche Belastung. Denn in der Bundesliga gewinnst du auch kein Spiel im Vorbeigehen, sondern musst immer alles geben. Natürlich sind dann Mannschaften wie Skopje, Barcelona und Veszprem in der Champions League frischer. Ich bin gespannt, wie sich die Champions League entwickelt und ob sich die Bedeutung dieses Wettbewerbs für die deutschen Teilnehmer vielleicht sogar verändert, weil man in Zukunft als deutsche Mannschaft nur noch Außenseiterchancen auf den Erfolg haben wird.