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Ein Schritt zum Titel im neuen Trikot?

Entscheidung um die deutsche Meisterschaft rückt näher

Wer hätte das vor der Saison gedacht? Ausgerechnet im vorletzten Heimspiel der laufenden Saison gegen den Rekordmeister THW Kiel können die Rhein-Neckar Löwen am morigen Mittwoch die Titelverteidigung perfekt machen. Vorausgesetzt ist allerdings ein Sieg der Löwen gegen die Kieler und eine Niederlage der SG Flensburg-Handewitt im Vorfeld der Partie bei Frisch Auf! Göppingen. Während die Löwen in der seit Wochen ausverkauften SAP Arena erst um 20:45 Uhr auf den THW treffen, müssen die Flensburger bereits um 19 Uhr in Göppingen antreten.

Doch auch wenn die Entscheidung in der Meisterschaft nicht am morgigen Mittwoch fällt, der Vorteil liegt klar bei den Badenern, die in den letzten beiden Saisonspielen noch zur HSG Wetzlar müssen und am letzten Spieltag die MT Melsungen erwarten. „Wir können uns sogar noch einen Ausrutscher erlauben und stehen dann immer noch vor Flensburg, und auch die SG muss erst mal alle Spiele gewinnen“, weiß Nationalspieler Hendrik Pekeler, während Löwen-Trainer Nikolaj Jacobsen auf den nächsten Coup seiner Mannschaft hofft. „Der Sieg am Wochenende in Flensburg hat uns viel Selbstvertrauen gegeben. Jetzt haben wir wirklich eine große Chance unseren Meistertitel zu verteidigen, doch wir sollten nicht vergessen, wer morgen unser Gegner ist“, so Jacobsen. 

20 Mal Deutscher Meister, zehn Mal Pokalsieger – wenn der THW Kiel im Sommer zu seiner traditionellen Abschlussfeier auf dem Rathausmarkt der Landeshauptstadt an der Ostsee lädt, wird dort mit schöner Regelmäßigkeit eine Trophäe präsentiert – und wenn es gut gelaufen ist, auch mal zwei oder wie 2007 sogar drei. Das Jahr 2016 bildete hier allerdings eine Ausnahme, erstmals seit 2004 blieben die Zebras ohne Titel und auch in der aktuellen Spielzeit drohte mit Blick auf die eigenen Ansprüche ein weiteres Jahr Tristesse. Erst mit dem Pokalsieg beim Final Four in Hamburg rettete der THW eine Saison 2016/2017, in der er schon früh aus dem nationalen Titelrennen war und in der Champions League zwar die Rhein-Neckar Löwen aus dem Wettbewerb warf, im Viertelfinale dann aber gegen Barcelona die Segel streichen musste.

Umso wichtiger war der Erfolg in Hamburg, wo der ewige Nord-Rivale SG Flensburg-Handewitt in einem hochemotionalen Finale mit 29:23 (13:12) niedergerungen wurde. Und dabei zählte für die Kieler nicht nur der nächste Eintrag auf dem Briefkopf, wie etwa Torhüter Niklas Landin verdeutlichte. „Mit diesem Sieg fällt viel Druck von uns ab, es war der erste Titel für diese neue, junge Mannschaft, das ist sehr wichtig für die weitere Entwicklung“, meinte der dänische Matchwinner und lag damit auf einer Wellenlänge mit Trainer Alfred Gislason „Das war ein sehr wichtiger Titel für uns – und ein Meilenstein für meine junge Mannschaft“, fand der THW-Coach schon kurz nach der ersten Freude markige Worte: „Einige meiner Spieler waren zum ersten Mal bei so einem Turnier dabei und wissen nun, dass sie so ein Turnier auch gewinnen können.“ Die Entwicklung einer neuen, verjüngten Mannschaft – diese Zielsetzung zog sich beim THW wie ein roter Faden durch die bisherige Saison und musste dabei immer wieder auch als Erklärung für die großen Leistungsschwankungen des einstigen Dominators des deutschen Handballs herhalten.

Vor allem die beiden 20-jährigen Neuzugänge Nikola Bylik und Lukas Nilsson sollen künftig das Spiel der Kieler im Rückraum prägen. Doch für beide war die Verantwortung in manchen Situationen oft noch zu groß, während Routiniers wie Spielmacher Domagoj Duvnjak oder Steffen Weinhold mit Verletzungen zu kämpfen hatten und einstige Stützen wie Marko Vujin, Christian Zeitz und Blazenko Lackovic ihren Zenit sichtlich überschritten haben. Oft fehlte Kiel daher die Balance, zu den überraschenden Punktverlusten in der Liga zählten nach der frühen Niederlage bei der HSG Wetzlar schon am dritten Spieltag vor allem der 30:34-Patzer beim TBV Lemgo oder das erzitterte 23:23 in der heimischen Sparkassen-Arena gegen GWD Minden.

Noch schlechter fiel die Bilanz in den 14 Vorrunden-Spielen der Champions League aus. Nur fünfmal ging der THW hier als Sieger vom Platz und kassierte wie etwa beim 21:24 gegen den dänischen Meister BSV Bjerringbro-Silkeborg zum Teil bittere Heimniederlagen. Es gab laute Pfiffe in der ehemaligen Festung Ostseehalle, selbst Trainer Gislason geriet zwischenzeitlich in die Kritik, was Geschäftsführer Thorsten Storm sofort auf den Plan rief. „Die Erfolge der letzten Jahre stehen in engem Zusammenhang mit dem Namen Alfred Gislason. Natürlich kann man sich in der Sportwelt von der Vergangenheit nichts kaufen. Aber Alfred hat mit jungen Spielern einen Neuanfang begonnen, und ich sehe, dass er alles in die Weiterentwicklung des Teams investiert“, sagte Storm den „Kieler Nachrichten“. „Ich werde deshalb jetzt nicht alles über den Haufen werfen und in Frage stellen, was geplant ist und neu aufgebaut wird“, erklärte Storm. „Ich glaube an diese Mannschaft und an unseren Weg!“

Und der soll nach dem Viertelfinal-Aus gegen den FC Barcelona Ende April vor allem wieder in die Champions League führen. Die Qualifikation für die Königsklasse – sonst eigentlich immer ein Selbstläufer für die Nordlichter – ist das letzte große Ziel des THW im anstehenden Saisonfinale. Dabei geht es nicht zuletzt um die finanzielle Grundlage, denn als Klub mit dem besten Zuschauerschnitt in der Gruppenphase rechnen die „Zebras“ fest mit den Einnahmen aus dem internationalen Wettbewerb – auch mit Blick auf den kleiner gewordenen Sponsoren-Pool und die neue Konkurrenz des Fußball-Zweitligisten Holstein Kiel vor der eigenen Haustüre.

„Wenn der THW nicht in der Champions League spielt, ist das schon eine kleine Katastrophe“, weiß auch Nationalspieler Patrick Wiencek und Geschäftsführer Storm gibt dieser Einschätzung Nachdruck. „Wir müssen in die Champions League und das unterschreibt hier auch jeder Spieler mit seinem Arbeitsvertrag“, ließ der Manager nach dem mit 32:28 gewonnenen „Endspiel um Platz drei“ gegen die Füchse Berlin gegenüber dem NDR keine Zweifel aufkommen. Doch dass die Nordlichter mit dem Erfolg gegen die Hauptstädter noch lange nicht am Ziel waren, zeigte die folgende 25:34-Schlappe beim SC DHfK Leipzig. Diese Saison wird deshalb als emotionale Achterbahn-Fahrt in die Vereinsgeschichte des Rekordmeisters eingehen, während für die Löwen vielleicht schon morgen ein großer Traum in Erfüllung geht. „Ich hätte nie gedacht, dass wir in dieser Saison wirklich eine Chance haben, um die Meisterschaft mitzuspielen. Und jetzt haben wir es wirklich selbst in der Hand – dafür werden wir mit unseren Zuschauern alles geben“, kündigt Spielmacher Andy Schmid an, der seine Mannschaft morgen erstmals in den neuen Erima-Trikot der kommenden Saison aufs Spielfeld führen wird.