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„Wir wollen unter die ersten drei Mannschaften“

Nikolaj Jacobsen im Interview

Drei Spiele, 4:2 Punkte. Der Auftakt in die Saison 2017/2018 ist für die Rhein-Neckar Löwen gelungen. Vor dem Start in die Champions League am kommenden Wochenende spricht Trainer Nikolaj Jacobsen über die letzten Wochen, seine Erwartungen für die kommende Saison und seine Neuzugänge.

Nikolaj, die Bundesliga Saison läuft bereits wieder, wie hast du die kurze Sommerpause genutzt, um zu entspannen?

Nikolaj Jacobsen: Groß verreisen konnte ich nicht, weil meine Kinder hier noch zur Schule gegangen sind. Als die Ferien dann angefangen haben, steckte ich mit den Löwen schon in der Saisonvorbereitung. Aber wir konnten den Sommer auch hier ganz gut genießen, haben Besuch aus Dänemark bekommen und ich war so oft wie möglich mit den Kindern in den Freibädern in Walldorf und Leimen.

War es nach dem Schlüsselerlebnis 2016 einfacher, auch 2017 ganz oben zu stehen?

Jacobsen: Erst einmal hatten wir in der vergangenen Saison nicht den ganz großen Druck wie eben Flensburg. Die Flensburger waren die meiste Zeit Erster, hatten am Ende das Heimspiel gegen uns. Aber klar ist auch: Wenn man einmal etwas Großes gewonnen hat, so wie wir 2016, gibt das Ruhe, Selbstvertrauen und Sicherheit. Zum ersten Mal diesen letzten Schritt zu gehen, ist sehr schwierig. Aber wir haben diesen Schritt nach einigen vergeblichen Anläufen erfolgreich gemacht – und danach fallen dann viele Dinge einfach leichter, weil man die Situation kennt und genau weiß, was man tun muss, um am Ende auch ganz oben zu stehen.

Gibt es ein Beispiel dafür?

Jacobsen: Man hat es ganz deutlich beim entscheidenden Spiel in Flensburg gesehen. Wir waren befreiter, haben mutiger gespielt und mehr probiert, wenn ich da an die 5:1-Deckung denke oder an das Überzahlspiel Sieben gegen Sechs. Wir haben da verdient gewonnen und sind deswegen auch verdient Meister geworden.

Was sind die Erfolgsfaktoren der Löwen?

Jacobsen: Es kommt auf den Zusammenhalt an. Jeder Spieler muss bereit sein, den Fehler eines Kollegen auszubügeln, den berühmten Schritt mehr zu machen. Und Spaß ist ganz wichtig. Insofern ist es ganz gut, dass wir Oliver Roggisch haben. Wir lachen sehr viel über ihn, auch wenn er da manchmal gar nichts für kann (lacht).

Geht es bei den Löwen immer lustig zu?

Jacobsen: Nein, das nicht. Auch bei uns ist mal jemand sauer, das ist doch ganz normal. Aber wir kommen alle sehr gut miteinander aus und haben viel Spaß. Das ist auch ganz wichtig in einer so langen Saison mit so vielen Reisen und unendlichen Stunden im Bus, so viel Training, so vielen Lauf- und Krafteinheiten, so vielen Spielen und so viel Video – da muss man Freude haben, sonst funktioniert das nicht und sonst kann man auch keine Leistung bringen. Ich habe als kleiner Junge angefangen Handball zu spielen, weil ich Spaß daran hatte. Da war es ein Hobby. Aber der Spaß sollte doch nicht kleiner sein, wenn man Profi ist. Wenn ich als Handballer keinen Spaß mehr an meinem Beruf habe, muss ich aufhören.

Was ist das Ziel in der neuen Saison?

Jacobsen: Wir wollen auch 2018/2019 in der Champions League spielen und deswegen in dieser Saison unter die ersten drei Mannschaften kommen. Wenn es dann mal nicht reicht, müssen wir das akzeptieren. Dann wird hier keine Panik ausbrechen. Denn entscheidend ist, dass dieser Club für die Zukunft exzellent aufgestellt ist. Im nächsten Jahr wechseln zum Beispiel mit Jannik Kohlbacher und Steffen Fäth zwei deutsche Nationalspieler zu uns. Mit den beiden Jungs werden wir richtig angreifen können.

Ihr steht nach drei absolvierten Spieltagen noch ganz am Anfang der Saison und wisst: Wenn wir Meister werden wollen, müssen ungefähr 30 von 34 Spielen gewonnen werden. Wie gehst du damit um?

Jacobsen: Ich habe jetzt nicht die ganze Saison im Blick. Entscheidend für die Meisterschaft ist jedes einzelne Spiel, vor allem auch gegen die vermeintlich kleinen Gegner. Ich bin sehr stolz darauf, dass wir uns in den vergangenen beiden Spielzeiten keine Ausrutscher gegen diese Mannschaften erlaubt haben. Okay, wir haben in Wetzlar verloren. Aber da waren wir schon Meister. Ansonsten waren das zwei Jahre lang ausschließlich Siege gegen alle Mannschaften, die in der Abschlusstabelle schlechter als Rang fünf platziert waren.

War das ein Schlüssel für die Titel?

Jacobsen: Ja, das war eine Riesenleistung und das wollen wir auch in dieser Saison schaffen. Das gelingt aber nur, wenn wir von Spiel zu Spiel denken. Unabhängig davon glaube ich, dass man in dieser Runde mit mehr als sechs oder sieben Minuspunkten Meister werden kann. Wie gesagt: Mit Melsungen, Magdeburg und Berlin drängen drei Mannschaften von hinten nach – und auch der Rest der Liga ist nicht gerade schlechter geworden.

An wen denkst du da?

Jacobsen: Schauen wir uns nur Hannover an. Da sind zwei prominente neuer Trainer mit Carlos Ortega und Iker Romero gekommen, dazu namhafte Neuzugänge wie Pawel Atman, Ilja Brozovic und Evgeni Pevnov. Ich wurde belächelt, als ich vor der Saison von Hannover als einer Mannschaft für die vorderen Plätze gesprochen habe. Jetzt haben sie Kiel und Flensburg geschlagen und sind Tabellenführer.

Auf welche Mannschaft bist du besonders gespannt?

Jacobsen: Jeder schaut natürlich nach Melsungen, weil da unheimlich viel Geld investiert wurde. Aber ich glaube, dass Berlin eine richtig, richtig gute Mannschaft hat. Marko Kopljar ist eine schlaue Verpflichtung, zusammen mit Jakov Gojun wird er einen massiven Mittelblock bilden. Dann kommt noch Erik Schmidt dazu. Die Leistungsträger sind geblieben, Paul Drux und Fabian Wiede nach einem weiteren Bundesligajahr noch erfahrener. Das sind tolle Voraussetzungen. Man sollte nicht vergessen: Berlin war in der vergangenen Saison nicht weit davon entfernt, Kiel noch zu überholen und Dritter zu werden.

Wie sehr freust du dich, dass du ab dieser Saison 16 Spieler einsetzen darfst?

Jacobsen: Es wird mir sicherlich in den Begegnungen helfen, in denen wir frühzeitig hoch in Führung liegen. Dann werde ich viel wechseln und Stammkräfte schonen können. Aber wir spielen in der Bundesliga, der stärksten Liga der Welt: Da kann ich nicht einfach wahllos rotieren, dafür sind die Gegner zu stark. Wenn man hohe Ziele verfolgt, muss man viele Spiele gewinnen. Deswegen spielt man ja auch in der Regel mit seinen neun oder zehn Leistungsträgern.

Bislang hast du in jeder Saison etwas Neues in taktischer Hinsicht präsentiert. Was darf jetzt erwartet werden?

Jacobsen: Es wird langsam schwierig, euch zu überraschen (lacht). Wir werden versuchen, unser Spiel Sieben gegen Sechs weiter zu entwickeln. Daran haben wir im Training intensiv gearbeitet. In der Abwehr wird es bei den bekannten Dingen bleiben: 5:1- oder 6:0- Deckung. Und wenn wir mal in die Situation kommen, viel Druck machen zu müssen, werden wir auch wieder mit Andy Schmid verteidigen, um keinen Abwehr-Angriff-Wechsel zu haben. Das hat sich bewährt.

Kommen wir zu den Neuzugängen: Wie bewertest du Linksaußen Jerry Tollbring?

Jacobsen: Diese Frage ist wirklich sehr einfach zu beantworten, denn Jerry ist ganz einfach richtig, richtig gut und für seine 21 Jahre schon richtig abgezockt. Er ist schnell, clever, hat viele Wurfvarianten, ein gutes Spielverständnis. Er ist noch nicht ganz in die Weltklasse vorgestoßen, wird in den nächsten Jahren aber ganz sicher in diesen Bereich kommen.

Mit Bogdan Radivojevic kam außerdem ein neuer Rechtsaußen.

Jacobsen: Auch er hat einen guten Wurf und wird uns mit seiner Routine aus Champions League und serbischer Nationalmannschaft helfen. Bogdan wird seine Einsatzzeit bekommen, ich kann ja schlecht eine Saison nur mit Patrick Groetzki auf Rechtsaußen spielen. Das ist unmöglich und wäre unverantwortlich.

Warum habt ihr kurz vor dem Trainingsauftakt noch Kristian Bliznac geholt?

Jacobsen: Ich wollte unbedingt noch eine Alternative für den Innenblock haben. Kristian hat viel Erfahrung auf dieser Position und er ist der Ersatz für Hendrik Pekeler und Gedeón Guardiola. Die beiden Jungs sind gesetzt – und das weiß Kristian auch. Er akzeptiert seine Rolle. Aber auch ihn werde ich brauchen, wenn Gedeón oder Hendrik mal eine Pause benötigt oder einer von beiden einen schlechten Tag hat. Letzteres passiert Gott sei Dank aber nicht so oft (lacht).

Was erhoffst du dir von Momir Rnic?

Jacobsen: Er ist ein unglaublich guter Schütze, aber wir müssen unsere taktischen Abläufe ein bisschen verändern, wenn er auf dem Feld steht. Momir spielt anders als es zuvor Kim Ekdahl du Rietz getan hat, geht weniger ins Eins-gegen-eins und macht eher die Tore aus der Distanz. Ich hoffe, dass er uns ein paar einfache Treffer besorgt.

Wie schätzt du die Entwicklung von Filip Taleski ein?

Jacobsen: Es ist schade, dass er uns in der Vorbereitung wegen der Junioren-WM gefehlt hat, denn eigentlich ist er doch A-Nationalspieler. Er wird seine Spielzeit bekommen, muss sich aber auch noch in vielen Bereichen verbessern, was in seinem Alter allerdings vollkommen normal ist. Er muss körperlich zulegen und auch die Sprache ist für ihn noch eine Herausforderung. Aber die Basis stimmt bei ihm, er bringt sehr viel mit: Wurf, Sprung, Spielverständnis – alles ist gut. Aber wenn man jung ist, trifft man nicht immer die richtige Entscheidung. Das wissen wir, denn bei Mads Mensah und Harald Reinkind war das im ersten Bundesligajahr ähnlich.