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Mega-Mannschaft mit Mega-Problemen

Der THW Kiel sucht nach Wegen aus der Krise

Der dritte Platz – er war zementiert. 2016 und 2017 kam der THW Kiel in der Handball-Bundesliga jeweils hinter den Rhein-Neckar Löwen und der SG Flensburg-Handewitt ins Ziel, der Rekordmeister von der Ostsee war sogar zwei Mal auf eine Wildcard für die Champions League angewiesen. Das entspricht so ganz und gar nicht dem eigenen und stets hohen Anspruch des norddeutschen Traditionsvereins, der traditionell mit weitem Abstand vor der Konkurrenz über den höchsten Etat der Liga verfügt und auch in dieser Saison wieder mit einem Weltklassekader an den Start geht.

Gerade auf den spielentscheidenden Positionen Rückraum und im Tor hat Trainer Alfred Gislason erneut die Qual der Wahl zwischen unzähligen Weltklassespielern. Wer soll zwischen den Pfosten stehen: Olympiasieger Niklas Landin Jacobsen oder Europameister Andreas Wolff? Wer soll aus dem rechten Rückraum Akzente setzen: Marko Vujin, Steffen Weinhold oder Christian Zeitz? Und auf der halblinken Position: Lukas Nilsson oder Nikola Bilyk? Bliebe noch die Frage nach dem Mittelmann: Soll Weinhold dort spielen und nicht halbrechts? Oder soll Neuzugang Miha Zarabec Regie führen? Die Variationsmöglichkeiten für Trainer Alfred Gislason sind groß – und werden fast unendlich, wenn Superstar Domagoj Duvnjak nach seiner Verletzungspause zurückkehrt und das Star-Ensemble komplettiert.

Keine Entschuldigungen mehr

Mögen die Belastung durch die Olympischen Spiele, das Verletzungspech – allerdings inklusive manch einer unvergessenen Wunderheilung – und das Thema Umbruch – angesichts der Neuzugänge jedoch auf einem überragenden Niveau – in den vergangenen Jahren noch eine kleine Entschuldigung für die dritten Plätze gewesen sein, so gelten in dieser Saison an der Ostsee keine Ausreden mehr. Mega-Mannschaft, Mega-Etat – da bleibt bei den Saisonzielen nicht viel oder sogar überhaupt kein Platz für Untertreibungen und Zurückhaltung. Zumal die Mannschaft in der vergangenen Saison mit dem Pokalsieg gezeigt hat, welch enormes Potenzial in ihr steckt.

[img]https://www.rhein-neckar-loewen.de/wp/wp-content/uploads/files/tinymce/news_bilder/2017/09_September/landin_Super_Cup_e.jpg[/img]Das weiß auch Geschäftsführer Thorsten Storm. „Alfred will und muss Titel gewinnen“, stellte der Manager im Interview mit den „Kieler Nachrichten“ unmissverständlich klar, der Trainer selbst sieht aber trotz der personellen und finanziellen Steilvorlage die Rhein-Neckar Löwen als Topfavorit und spürt nach zwei Jahren ohne Meisterschaft nach eigener Aussage keinen Druck. „Ich mache meine Arbeit weiter wie bisher.
Was dann passiert, müssen andere entscheiden. Oder ich entscheide das“, sagte der Isländer den „KN“ und verwies auf die Gesamtkonstellation: „Natürlich wollen wir Meister werden. Aber das wollen doch alle, oder? Fünf, sechs Teams haben bestimmt den Wunsch.“ Es sei eben nicht so leicht, meinte Gislason, der sich aber sicher ist: „Wir haben so oder so in den letzten zwei Jahren vieles richtig gemacht für die Zukunft.“

Die Kieler starteten holprig in die Saison, hatten allerdings auch ein schwieriges Startprogramm. Und doch hatte man sich an der Förde gewiss mehr ausgerechnet, nach den Niederlagen gegen die TSV Hannover-Burgdorf und bei der MT Melsungen sah sich Storm sogar gezwungen, Trainer Gislason den Rücken zu stärken. „Taktisch sehe ich Mannschaft und Trainer nicht falsch. Es wird sehr hart gearbeitet. Darum gibt es keine Personaldiskussion“, sagte der Geschäftsführer und forderte die Spieler auf, sich zusammenzureißen: „Sonst wird es nicht besser. Jeder Einzelne ruft nicht das ab, was er kann. Der Linksaußen muss besser sein als der Rechtsaußen des Gegners, der Torwart besser als der Torwart gegenüber. Diese Kleinkämpfe muss jeder Spieler gewinnen, egal, ob er fünf oder 55 Minuten für uns auf dem Feld steht.“

Neue Waffe Miha Zarabec

[img]https://www.rhein-neckar-loewen.de/wp/wp-content/uploads/files/tinymce/news_bilder/2017/09_September/palicka_Super_Cup_e.jpg[/img]Vor der Saison verstärkte sich der THW mit Nationalspieler Ole Rahmel und Emil Frend Öfors auf den Außenpositionen, die wichtigste Neuerwerbung kommt allerdings aus Slowenien. Miha Zarabec, der die Löwen im Trikot von RK Celje in der Champions League schon mehrfach schwindelig spielte, ist in Abwesenheit des verletzten Duvnjaks der neue Chef auf der Mitte und bringt viele Elemente ein, die den Norddeutschen in den vergangenen Jahren fehlten.

Kreativität, Tempo, Spielwitz – all das verkörpert der 25-Jährige, der fraglos mehr als ein Ersatz für Duvnjak ist und zweifelsohne der entscheidende Faktor für den Gewinn der Meisterschaft sein könnte. Welche enormen Qualitäten der Slowene mitbringt, erfuhren die Löwen erst vor wenigen Wochen. Die Badener gewannen zwar den Supercup gegen den THW im Siebenmeterwerfen, den überragenden Zarabec bekamen sie aber mal wieder nicht in den Griff. Er war der Initiator aller Offensivaktionen, setzte gekonnt die Halben ein und war selbst torgefährlich – die anschließende Wahl zum besten Spieler des Spiels war nur folgerichtig und logisch.

Der Gesundheitszustand von Rene Toft Hansen, der immer mal wieder ausfällt, bereitet indes Sorgen. Um einen dritten Innenblockspieler zu haben, versuchte der THW deshalb, Europameister Hendrik Pekeler schon ein Jahr vor dessen Vertragsende von den Löwen zu holen, was einmal mehr die Ambitionen und wirtschaftlichen Möglichkeiten der Norddeutschen unterstreicht. Doch die Badener gaben ihren Leistungsträger nicht ab, weshalb Gislason ein wenig mulmig ist: „Wenn Toft Hansen kerngesund wäre, hätten wir im Mittelblock ihn, Wiencek und ,Flamme’ (Sebastian Firnhaber, d. Red.). Dann hätten wir keinen Handlungsbedarf. Ist er aber seit zwei Jahren nicht. Da sehe ich unsere Achillesferse.“ So lange das junge Eigengewächs Firnhaber aber so spielt wie bisher, werden sich Gislasons Kopfschmerzen vermutlich in argen Grenzen halten oder sogar ganz abklingen.