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Löwen zwischen Leere, Trauer und Verarbeitung

Nach Tiefschlag im Meisterschaftsrennen bemüht sich das Rudel um Zusammenhalt und richtet den Blick nach vorne

Hendrik Pekeler stützte die Hände auf die Knie, starrte mit leerem Blick auf den Boden. Mads Mensah genauso. Bogdan Radivojevic ließ sich auf die Bank fallen, den Kopf in den Nacken, das Handtuch ins Gesicht gedrückt. Kim Ekdahl Du Rietz‘ Gesicht war kreidebleich, wie ein Zombie schlurfte der Rückraum-Riese umher. Während die Spieler der MT Melsungen den ersten Sieg der Vereinsgeschichte in der SAP Arena feierten, als hätten sie gerade selbst einen entscheidenden Schritt Richtung Meisterschaft gemacht, fiel das Löwen-Rudel in sich zusammen. So wie die Stimmung auf den Rängen mit der Schlusssirene kollabierte, so kollabierten die Jungs auf der Platte. Die lange Unbeugsamen – untröstlich, verloren in einem Schockmoment.

Waren die Löwen vor allem an MT-Hexer Nebojsa Simic gescheitert, der die meisten seiner 14 Paraden in der entscheidenden Phase anbrachte? „Natürlich“, antwortete Nikolaj Jacobsen im „Sky“-Interview. „Vor allem in der zweiten Halbzeit haben wir sehr viele Bälle vergeben, insbesondere in der letzten Viertelstunde.“ Als die Löwen im finalen Angriff noch 30 Sekunden hatten, um das womöglich die Meisterschaft rettende Unentschieden herzustellen, habe dann „keiner die Verantwortung übernehmen wollen“, wie Jacobsen treffend analysierte. Gelegen habe es aber nicht an dieser Situation, schließlich sei man im Laufe des Spiels mit drei und vier Toren vorne gewesen. Mit der Abwehr könne man zufrieden sein, so Jacobsen gegenüber „Sky“. Dieses Spiel habe man im Angriff, speziell beim Abschluss, verloren. Patrick Groetzki stellte sich ebenfalls den Fragen des Bezahlsenders und richtete, wenngleich es schwerfiel, den Blick auf die letzten beiden Heimspiele: „Was bleibt uns auch anderes übrig? Wir müssen diese Spiele gewinnen, um überhaupt noch eine theoretische Chance zu haben. Und klar müssen wir versuchen, die Köpfe wieder aufzurichten.“

Melsungen in Wild-West-Manier

Im Spiel erwischten die Löwen einen starken Start, lagen zwischenzeitlich mit zwei (5:3), mit drei (10:7) und sogar mit vier Toren (12:8) vorne. Melsungen, das unter Neu-Trainer Heiko Grimm und ohne Ergebnisdruck frei aufspielen konnte, hielt sich schon in der ersten Halbzeit vor allem dank seines Torwarts in der Begegnung. Vorne spielte die MT teilweise Wild-West-Handball, mit zwei oder gar drei Kreisläufern, ohne Rechtsaußen und mit dem siebten Feldspieler. „Ich will gar nicht so viel über die Taktik reden. Mal geht sie auf, mal nicht. Heute hat eben Vieles geklappt“, sagte MT-Coach Grimm in der Pressekonferenz nach dem Spiel. So wild er im Angriff agieren ließ, so konservativ stellte er seine 6:0-Abwehr auf die flexible Löwen-Offensive ein. Die Melsunger Mauer stand tief, aber dicht, verschob gut und hatte mit den wechselnden Innenblock-Formationen Danner / Maric und Lemke / Golla guten Zugriff auf das Kreisläuferspiel der Löwen. Auch wenn Hendrik Pekeler in der ersten Halbzeit und Rafael Baena in der zweiten Hälfte je dreimal trafen: Wirklich nachhaltig konnten die Gelben den in Weiß-Grau spielenden Hessen nicht den Zahn ziehen. Zumal auch aus dem Rückraum über die gesamten 60 Minuten zu wenig kam, letztlich nur die Außen mit den stark agierenden Patrick Groetzki und Gudjon Valur Sigurdsson funktionierten – und insgesamt zu wenig Druck auf die zugegeben starke MT-Deckung aufgebaut wurde. Dass in den entscheidenden Momenten einzelne die Nerven verloren, am leeren Tor vorbei-, den Torwart an- oder Bälle einfach wegwarfen, passte in den gebrauchten Tag, an dem die Löwen die Meisterschaft aus den Händen gaben.

Einen Teil zum moralischen Wiederaufbau leisteten direkt nach dem ersten Schock die Löwen-Fans. Mit Applaus verabschiedeten sie die Jungs vom Feld, die Blicke waren voller Zuspruch, nicht vernichtend. Man hatte bei aller abgrundtiefen Enttäuschung das Gefühl: Wir stehen in der Niederlage zusammen. Und das ist beileibe sehr viel wert. So viel jedenfalls, dass die Löwen-Spieler keine Angst haben müssen, in den kommenden zwei Heimspielen vor einer Geisterkulisse antreten zu müssen. Für das Spiel am Sonntag gegen Ludwigshafen sind fast 9000 Karten verkauft, die Partie gegen Leipzig seit Wochen ausverkauft. Jetzt gilt es, sich erhobenen Hauptes aus der Saison und von den einzigartigen Anhängern zu verabschieden. „Wir haben eine vernünftige Saison gespielt und wollen uns jetzt zumindest mit dem zweiten Platz die Qualifikation zur Champions League sichern“, sagte Oliver Roggisch. Dem Sportlichen Leiter der Löwen war der Schrecken ins Gesicht geschrieben, selten hat man ihn so sehen müssen. Zusammen mit Nikolaj Jacobsen und Co-Trainer Klaus Gärtner hat er nun die Aufgabe, die Mannschaft bis Sonntag wieder so hinzukriegen, dass sie gegen Ludwigshafen und eine Woche später gegen Leipzig nicht noch alle Ziele der Saison verspielt.

Vor der Runde war die Königsklassen-Qualifikation als Ziel ausgegeben worden. Dass zwischenzeitlich alles für den Titel sprach, muss jetzt möglich schnell raus aus den Köpfen. In zehn Tagen kann man in die Analyse gehen, sich fragen, woran es letztlich lag. Doch jetzt hat der Fokus auf die finalen Heimspiele zu gehen – so schwer das auch fallen mag. Wer die Löwen im Saisonendspurt unterstützen möchte, kann sich für das Derby am Sonntag, 15 Uhr, gegen die Eulen Ludwigshafen unter anderem noch online Tickets sichern.