Veröffentlichung:

„Mein Kopf und mein Körper brauchen diese Pause“

Löwen-Trainer Nikolaj Jacobsen im großen „Abschiedsinterview“

Die Mannschaft feiert den Trainer für die erste Meisterschaft. Fünf Jahre lang war Nikolaj Jacobsen Cheftrainer der Rhein-Neckar Löwen. Er war maßgeblich am Bau der bisher erfolgreichsten Löwen-Mannschaft beteiligt, machte aus Klasse-Spielern Gewinnertypen und aus einem Verein mit Ambitionen einen mit Titeln. Zweimal holte er mit den Löwen die Meisterschaft, einmal den Pokal, dreimal in Folge den Supercup. Dazwischen wurde er als Cheftrainer seines Heimatlandes Dänemark im eigenen Land Weltmeister. Ab Sommer wird er sich – zumindest vorerst – „nur noch“ der dänischen Nationalmannschaft widmen, dazu in seine Heimat zurückkehren. Wir haben uns mit ihm dort getroffen, wo er den Grundstein für alle Erfolge mit den Löwen gelegt hat: im Trainingszentrum in Kronau. Das Interview ist ursprünglich exklusiv in der Mitglieder-Ausgabe des Löwenrudels, dem Magazin der Rhein-Neckar Löwen, erschienen. 

Niko, fünf Jahre Rhein-Neckar Löwen. Was kommt dir bei dem Gedanken daran als erstes in den Kopf?

Nikolaj Jacobsen: Das sind viele Dinge. Vor allem viel Freude. Ich bin stolz, Trainer in einem solchen Verein gewesen zu sein, mit so vielen tollen Spielern gearbeitet zu haben. Und das über eine lange Zeit, die auch noch sehr erfolgreich war. Mein schönster Moment war in Lübbecke, als wir das erste Mal Meister geworden sind. In dieser Halle gewesen zu sein und zu sehen, welche Bedeutung dieser Titel für so viele Leute hatte, das war unglaublich. Zu sehen, wie erwachsene Menschen vor Freude weinen, das werde ich nie vergessen. Kein einziges Gesicht werde ich vergessen.

Glücklicherweise kamen ja noch einige Feiermomente dazu…

Die zweite Meisterschaft war natürlich auch sehr schön. Und dann das Glück, den sogenannten Fluch von Hamburg zu besiegen und den Pokal zu holen, das war ein Riesending. Diese Erleichterung zu spüren, war fantastisch. Auch wenn uns das vielleicht anschließend die dritte Meisterschaft gekostet hat. Ich finde, das war es einfach wert, so hart wie es war, da immer wieder hinzufahren und zu verlieren und zu hören, dass wir es dort einfach nicht hinbekommen. Dieser Titel hatte auch eine große Bedeutung für den ganzen Verein.

Dann gibt es ja auch noch diese drei „kleinen Titel“…

Ja, das vergessen einige. Ich finde aber, dass man die drei Erfolge im Supercup nicht ignorieren sollte, auch wenn das keine großen Titel sind. Mit unserer jungen Historie bei den Löwen sollte man diese Titel nicht unerwähnt lassen.

National hast du alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. International war immer im Achtelfinale der Champions League Schluss. Habt ihr euch da insgesamt unter Wert verkauft?

Hin und wieder ging die Hutschnur hoch bei Herrn Jacobsen. Ja und nein. In der Saison, als wir gegen Zagreb rausgeflogen sind (2015/16, Anm. d. Red.), war es eine riesige Enttäuschung. Wir waren besser und haben es selbst aus der Hand gegeben. Ansonsten hatten wir, wie ich finde, immer starke Gegner – und waren eben auch in der Meisterschaft vorne dabei, mussten uns darauf konzentrieren. Das war dieses Jahr anders, und ich hätte gedacht, dass wir unter diesen Voraussetzungen auch weiterkommen. Leider waren die Kleinigkeiten im Duell mit Nantes nicht auf unserer Seite (die Löwen schieden um die Differenz von zwei Toren aus, Anm. d. Red.). Dabei muss man einfach sagen, dass der Spielplan die deutschen Mannschaften benachteiligt. Zwei Tage nach einem Bundesliga-Spiel gegen ein Topteam in der Champions League zu spielen, das ist zu schwierig. Zumal sich der Gegner in der Regel viel länger auf diese Begegnung vorbereiten kann.

Vor allem die vielen Reisen, in der Regel mit regulären Linienflügen, sind eine unheimliche Belastung…

Definitiv. Das macht einen kaputt. Nach meinen Erfahrungen würde ich es mir sehr gut überlegen, bevor ich noch einmal zu einem deutschen Klub gehe, der in der Champions League spielt.

Wie sehr ärgert es dich, dass ausgerechnet dein letztes Jahr bei den Löwen das am wenigsten erfolgreiche ist?

Natürlich sehr. Ich hätte mich sehr gerne mit einem Titel verabschiedet. Aber man muss ehrlich sagen: Wir hatten zu viele Verletzungen, vor allem auf bestimmten Positionen. Und wir haben als Mannschaft nicht stabil genug gespielt.

Es gab seltsame Tiefpunkte wie zuhause gegen Skopje, die man so von den Löwen gar nicht mehr kannte…

Ja, Skopje war eine Riesenenttäuschung. Insgesamt waren wir in diesem Jahr nicht gut genug. Auch nicht gut genug, um nach Köln zum Final Four der Champions League zu kommen.

Was sind für dich, im Nachhinein betrachtet, die Hauptgründe für diese instabile Saison?

Niko Jacobsen beim ersten Bundesliga-Spiel mit den Löwen. Erst einmal mussten wir fünf neue Spieler integrieren und einen neuen Innenblock aufstellen. Dazu kam, dass Abwehrchef Gedeón Guardiola nicht zu 100 Prozent fit in die Vorbereitung gegangen ist, sich Jesper Nielsen gleich nach Saisonbeginn das erste Mal verletzt hat. Auch Ilija Abutovic hat einen Monat lang gefehlt. Es waren diese Verletzungen, die uns aus dem Tritt gebracht haben, denn wir haben ja richtig gut angefangen. Wir haben den Supercup gegen Flensburg gewonnen, Barcelona geschlagen. Wir mussten dauernd umbauen – das hatten wir in den Jahren zuvor nicht. Und dann haben einige nicht auf dem Niveau gespielt, das sie in den Jahren davor erreicht haben. Man muss zugeben, dass wir uns in einem Prozess des Umbruchs befinden, die Mannschaft verjüngen. Das braucht Zeit. Schließlich sollen die Löwen auch die nächsten sechs, sieben Jahre gut aufgestellt sein.

Du hast die Mannschaft auch öffentlich teils hart kritisiert. Wie war das anschließend in der Kabine? Hast du da auch noch einmal draufgehauen?

Nach dem Spiel bin ich selten laut. Dann schon eher in der Halbzeitpause, wenn es nötig ist und wir uns nicht so präsentieren, wie ich mir das vorstelle. Ansonsten sage ich natürlich immer meine Meinung nach dem Spiel, sage, was gut und was schlecht war. Allerdings wissen meine Spieler genau, wie sie ihre Leistung einzuschätzen haben. Alle wissen, worauf es mir ankommt. Und das ist zuallererst die Bereitschaft, alles auf dem Feld zu geben.

Unter dir stehen die Rhein-Neckar Löwen für attraktiven, offensiven Handball mit hundertprozentiger Einstellung. Bist du auch selbst zufrieden damit, wie du dein Konzept, deinen sportlichen Ansatz hier umsetzen konntest?

Absolut. Bis auf dieses Jahr wurden wir immer dafür gelobt, den besten Handball gespielt zu haben – in der Bundesliga und international. Das fällt natürlich leichter, wenn du Jungs wie Andy Schmid hast, die das Spiel überragend leiten. Wir sind eine Mannschaft geworden, die agiert, und nicht eine, die darauf hofft, dass es schon irgendwie gutgehen wird. Dabei haben wir alle Abwehrsysteme gespielt, die man sich vorstellen kann – von einer defensiven 6:0-Formation bis zu einem 3:3. Das war unser Prunkstück, zusammen mit zwei starken Torhütern und einem variablen Angriffsspiel.

Du hast Andy Schmid angesprochen. Ihr habt eine besondere Beziehung, seid befreundet. Auf der Platte kann es aber auch mal richtig krachen. Wie siehst du eure Beziehung insgesamt?

Die "Zaubermaus" kann auch entspannt.  Ach, das wird teilweise übertrieben dargestellt. Unsere Sportart lebt davon, dass die Spieler das tun, was angesagt wird. Und manchmal finde ich, dass Andy ein wenig zu lässig wird in seinen Anspielen oder zu früh den finalen Pass sucht – dann muss ich das korrigieren. Ansonsten kennen wir uns schon lange. Ich habe ihn ja vor meiner Zeit bei den Löwen zu meinem damaligen Klub nach Dänemark geholt.

Wo seid ihr euch eigentlich das erste Mal begegnet?

Das war in der Schweiz. Ich war auf der Suche nach einem Mittelmann. Andy hat zu der Zeit richtig viele Tore gemacht, dazu war sein Zusammenspiel mit Frank Löke am Kreis sehr stark. Andy kannten damals noch nicht so viele. Ich bin also runtergeflogen von Dänemark und habe ihn überzeugt, zu meinem damaligen Verein Silkeborg zu kommen.

Wie war das genau? Du hast ihn das erste Mal spielen gesehen und dir gedacht: Genau den muss ich haben! Der setzt meine Ideen auf dem Spielfeld um.

Ja. Andy war damals schon so gut. Ich habe mich gewundert, dass noch kein anderer von einem größeren Verein ihn verpflichtet hatte.

Du verlässt die Löwen und damit auch viele Spieler, mit denen du lange zusammengearbeitet hast. Wenn du dir etwas wünschen könntest: Welchen dieser Jungs würdest du gerne mitnehmen zu deinen künftigen Aufgaben?

Das kann man nicht beantworten. Am liebsten würde ich alle mitnehmen (lacht). Aber man muss sagen: Jannik Kohlbacher hat eine unglaubliche Saison gespielt. Er muss eigentlich nur noch ein wenig stabiler werden, wenn zwei oder drei Spiele in einer Woche anstehen. Wobei man auch sagen muss, dass er extrem viel gespielt hat bei uns die ganze Zeit über. Da wird er natürlich auch irgendwann müde. Insgesamt hat er einen Riesenschritt nach vorne gemacht und bewiesen, dass er zusammen mit Ludovic Fabregas (spielt aktuell beim FC Barcelona, Anm. d. Red.) auf dem Weg ist, zum besten Kreisläufer der Welt zu werden.

Blicken wir in die Zukunft: Hast du schon realisiert, dass du demnächst mehr Zeit für dich und deine Familie haben wirst – und nicht mehr jede Sekunde an Handball denken musst?

Beim Feiern ist der Däne immer vorne mit dabei. Ich werde natürlich weiterhin viel an Handball denken, kann das aber mit mehr Ruhe machen. In den letzten Jahren hatte ich so viel um die Ohren, gerade weil ich ein Typ bin, der, wenn er etwas macht, das zu 100 Prozent macht. Für mich ist diese Ruhe sehr wichtig. Mein Kopf ist einfach überfüllt. In den heißen Saisonphasen mit vielen Spielen in kürzester Zeit habe ich vielleicht drei, vier Stunden geschlafen, manchmal konnte ich gar nicht einschlafen. Da habe ich immer mehr gemerkt: Mein Kopf und mein Körper brauchen diese Pause.

Hast du wenigstens hin und wieder auf dem Golfplatz deinem Hobby nachgehen können?

Ich glaube, ich habe in den fünf Jahren bei den Löwen fünf ganze Runden fertigbekommen. Mein Handicap ist definitiv schlechter geworden. Ich weiß auch nicht, wie das andere hinkriegen. Aber ich kann von Handball überhaupt nicht abschalten. Mir kommt ständig etwas in den Kopf, auch mitten in der Nacht. Dann muss ich aufstehen und mir das notieren, bevor ich es vergesse. Lernen, auch einmal loszulassen, ist vielleicht die größte Herausforderung für mich.

War das schon immer so, dass du dich rund um die Uhr mit Handball beschäftigt hast? Auch schon als Kind?

Nein, da wollte ich sogar lieber Fußball spielen. Erst mit 17 habe ich mich für Handball entschieden. Dass daraus eine solche Karriere werden würde, daran hatte ich nie gedacht, das war auch nicht mein Plan. Aber als ich gemerkt habe, dass da etwas geht und ich nicht das allerwenigste Talent habe, hat mich der Ehrgeiz schnell gepackt. Es ist nun einmal so: Ich gehe in kein Spiel, wenn ich nicht weiß, dass ich gute Chancen habe zu gewinnen.

Entsprechend kannst du dich gut in Dinge reinsteigern…

Klar. Das war auch so mit Golf und davor mit Tennis. Da wollte ich unbedingt der Beste sein in meinem Freundeskreis und habe zwei, drei Stunden länger trainiert als die anderen. Beim Handball ist das genauso. Da setze ich mich hin und studiere, wie wir uns verbessern können. Dabei versuche ich immer auch, mir von anderen etwas abzuschauen, zu lernen. Ich gucke kein Handballspiel einfach so zur Unterhaltung. Ich versuche, aus jedem Handballspiel, das ich schaue, etwas mitzunehmen.

Was alle Löwen-Spieler loben, ist, dass sie in deinen Trainingseinheiten immer Spaß haben. Kommt das durch dein Naturell oder hast du dir das als Trainer quasi selbst verordnet?

Nach dem Pokaltriumph wurde es emotional. Das kommt schon von mir als Person. Und wenn ich einmal den Spaß verliere und sauer bin, dann dauert das nicht lange an. Ich habe auch keine Lust, zwei Tage auf jemanden böse zu sein. Für mich ist wichtig, dass wir Spaß haben – und dabei konzentriert arbeiten. Aktuell kann ich zum Beispiel die Zeit ohne Champions-League-Spiele nutzen und mit unseren Außen ein paar individuelle Dinge besprechen. Das macht mir Riesenspaß, kann man aber im Alltag mit mehreren Spielen pro Woche überhaupt nicht umsetzen. Und dann ist die Freude am Spielen und am Training auch ein ganz wichtiger Faktor für den Zusammenhalt innerhalb der Mannschaft. Du musst als Spieler das Gefühl haben: Der, der neben mir auf dem Feld steht, würde alles für mich tun. Nur so kannst du Erfolg haben.

Gibt es einen Trainer, von dem du sagst: Von dem habe ich am meisten gelernt?

In meiner Zeit in Kiel war das Noka Serdarusic. Da habe ich eine ganz andere Art von Handball kennenlernen dürfen und viel über Taktik erfahren. Ich habe versucht, möglichst viel von ihm für mich mitzunehmen. Allerdings hat sich der Handball nun extrem weiterentwickelt. Alles ist viel schneller und körperlicher geworden. Heute ist viel mehr das Eins-gegen-eins gefragt. Was mich aber schon immer fasziniert hat, war das Zusammenspiel von Rückraum und Kreis. Menschlich muss ich sagen, dass ich das Vergnügen hatte, in Kiel mit vielen großen Spielern zusammenzuspielen. Die drei Schweden Magnus Wislander, Staffan Olsson und Stefan Lövgren haben mir sehr viel beigebracht, Staffan und Stefan sind bis heute zwei meiner besten Freunde. Alle drei zusammen haben mich auf einen richtig guten Weg gebracht. Dafür bin ich sehr dankbar.