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„Das erste Training war wie ein Weihnachtsfest“

Das lange verletzte Rückraum-Ass Zarko Sesum im Interview

Die Rhein-Neckar Löwen treffen am Mittwoch (20.15 Uhr) im nächsten Heimspiel auf den HBW Balingen-Weilstetten. Die Halle öffnet um 19.15 Uhr, es gibt noch Tickets an der Abendkasse. Vor der Partie in der Mannheimer SAP Arena sprachen wir mit Rückraumspieler Zarko Sesum.

Es passiert am 18. Mai: Im EHF-Pokal-Halbfinale gegen Frisch Auf Göppingen verletzt sich Zarko Sesum schwer. Im linken Knie des Serben ist von der einen auf die andere Sekunde so ziemlich alles kaputt, was kaputtgehen gehen kann. Die Löwen gewinnen das Spiel gegen den Bundesligarivalen dennoch und werden einen Tag später Europapokalsieger. Zarko Sesum sitzt mit Krücken auf der Bank, verfolgt das Finale als Zuschauer – wieder einmal.

Hallo Zarko, wie geht es dir nach deiner schweren Verletzung?

Zarko  Sesum: Ich bin damit zufrieden, wie sich alles entwickelt hat. Aber ich brauche noch ein wenig Zeit, denn ich fühle mich noch ein bisschen unsicher. Ich trainiere zwar mit Ball und Körperkontakt, halte mich aber auch noch ein wenig zurück. Ich bin vorsichtig. Aber ich denke, nach so einer Verletzung ist das völlig normal.

Anfang Dezember bist du ins Mannschaftstraining eingestiegen. Ein schönes Gefühl?

Sesum: Es war wie ein kleines Weihnachtsfest, denn der Einstieg ins Mannschaftstraining war ein riesiger Schritt. Ich bin zwar immer bei den Jungs in der Kabine gewesen, habe aber dann nicht mit ihnen in der Halle, sondern im Kraftraum oder draußen auf der Laufbahn trainiert. Jetzt bin ich wieder die ganze Zeit dabei und hoffe, bald auch wieder auf dem Feld zu stehen. Das wäre dann das große Weihnachtsfest (lacht).

Gab es trotz der schweren Zeit auch schöne Momente in den vergangenen Monaten?

Sesum: So viele freie Wochenenden hintereinander hatte ich noch nie in meinem Leben. Ich hatte viel Zeit für meine Familie. Das war das einzig Positive.

Wie bist du in mentaler Hinsicht mit dieser langen Pause umgegangen?

Sesum: Es bringt nichts, mit einer Verletzung zu hadern. Ich schaue immer nur nach vorn und habe mich an kleinen Dingen erfreut, wenn ich in der Reha Fortschritte gemacht habe. Insgesamt war die Zeit nicht so langweilig, wie man vermuten könnte. Ständig gab es Veränderungen in meinem Programm. Trotzdem tut es natürlich weh, wenn man selbst nicht spielen und nur zuschauen kann.

Hat deine kleine Tochter Lena in den ersten Wochen verstanden, dass du ihr nicht einfach so hinterherrennen kannst?

Sesum (lacht): Sie wusste schon, dass etwas nicht stimmt. Papa war plötzlich die ganze Zeit zu Hause und saß viel auf dem Sofa. Lena hat die Schiene gesehen und die Krücken natürlich auch. Die fand sie übrigens sehr interessant. Damit ich wieder schnell gesund werde, hat Lena dann immer mein Knie geküsst und es gestreichelt.

Bestand aufgrund deiner Verletzung überhaupt die Möglichkeit, einmal Urlaub zu machen?

Sesum: Nein, das ging nicht. Vielleicht war es ein Fehler, schon vor meiner Verletzung etwas gebucht zu haben (lacht). Wir wollten eigentlich eine Woche mit Freunden nach Griechenland fahren, das ging dann nicht. Auch in Serbien bin ich schon lange nicht mehr gewesen. Bei der Diagnose war mir sofort klar, was mir blüht. 

Konntest du denn wenigstens Auto fahren?

Sesum: Zum Glück fahre ich einen Automatikwagen (lacht). In den ersten Wochen musste mich meine Frau zwar trotzdem zu den Arztterminen und zur Reha bringen, aber als die große Schiene weg war, konnte ich mich endlich auch wieder selbst hinters Steuer setzen.

Welche Erinnerungen hast du noch an die Szene, in der du dich so schwer verletzt hast?

Sesum: Ich habe im Kopf, was passiert ist. Und ich habe mir die Szene am gleichen Abend noch einmal angesehen. Ich bin mit Manuel Späth und Tim Kneule zusammengeknallt, im Fernsehen sieht das schon richtig schlimm aus – und so hat sich das auch angefühlt. Mir war sofort klar, dass etwas kaputt ist. Ich konnte das Knie nicht bewegen, den Muskel nicht anspannen. Dass es dann so eine komplexe Verletzung ist, habe ich allerdings nicht erwartet.

Was haben die Ärzte gesagt?

Sesum: Die meinten, es wäre besser gewesen, wenn ich mir einfach nur das vordere Kreuzband gerissen hätte. Stattdessen zog ich mir einen Anriss des hinteren Kreuzbandes und des Innenbandes im linken Knie zu sowie eine Fraktur des Schienbeinkopfes. Am Außenmeniskus war auch noch was kaputt. Bei so einer vielschichtigen Verletzung dauert der Heilungsprozess länger als bei einem Kreuzbandriss. Der wird einfach genäht – und dann hält das Band wieder.

Wie traurig bist du, dass dir schon wieder ein Endspiel durch diese Verletzung genommen wurde?

Sesum: Es ist sehr, sehr bitter gewesen. Nach dem Finalsieg über Nantes ist die ganze Mannschaft vor Freude durch die Gegend gesprungen – und ich saß da mit meinen Krücken. Natürlich habe ich mich gefreut, gleichzeitig waren die Gefühle bei mir auch ein wenig gemischt. Es hat mich ein bisschen traurig gemacht, weil ich das ganze Jahr dabei war und so kurz vor dem Ziel gestoppt wurde. Immerhin war es diesmal eine Sportverletzung.

Du spielst auf das EM-Halbfinale 2012 an, als du durch einen Münzwurf am Auge verletzt wurdest und das Finale im eigenen Land nicht bestreiten konntest. Wie sehr beeinträchtigt dich das noch?

Sesum: Erst einmal will ich klarstellen: Diese Verletzung war viel schlimmer, weil ich durch so einen Blödsinn ein Finale verpasst habe. Außerdem: Eine Bänderverletzung verheilt, eine Fraktur auch – aber einmal verlorene Sehleistung kommt nicht mehr zu 100 Prozent zurück. Aber auch damit kann ich umgehen, ich habe mich daran gewöhnt und es beeinträchtigt mich beim Handballspielen nicht.

Du nimmst diese Rückschläge mit bewundernswerter Tapferkeit hin. Woran liegt das?

Sesum: So bin ich einfach, ich blicke immer nach vorn. Vielleicht liegt es daran, dass ich vom Balkan komme. Dort habe ich gelernt, mit Problemen zu leben, denn aufgrund des Jugoslawienkriegs war meine Kindheit nicht immer einfach.

Du sprichst den Konflikt auf dem Balkan an. Was hast du davon mitbekommen? Du warst damals noch sehr jung.

Sesum: Meine Heimatstadt Backa Palanka liegt an der serbisch-kroatischen Grenze. Zu Beginn der 90er Jahre war das kein unmittelbares Kriegsgebiet. Trotzdem hat sich der Konflikt natürlich auf das ganze Land ausgewirkt. Als dann Ende der 90er Jahre aber die NATO-Bombardements begannen, waren wir auch ein paar Mal nah dran.

Spielt in solch einer schwierigen Zeit Handball überhaupt eine Rolle?

Sesum: Es war die Zeit, in der wir am meisten trainiert haben. Es gab keinen Schulunterricht und die Menschen gingen auch nicht zur Arbeit. Das ganze Leben spielte sich draußen ab. Denn keiner wusste, wann und wo die Bomben fallen. Wir haben morgens Handball gespielt und nachmittags Basketball.

Bei der EM 2012 trat im Halbfinale die Rivalität zwischen Serben und Kroaten nicht nur aufgrund des Münzwurfes und deiner Augenverletzung offen zu Tage. Wird sich das Verhältnis jemals normalisieren?

Sesum: Eine schwierige Frage, die ich nur für mich beantworten kann. Es gibt sicherlich immer noch Leute, die unter den Folgen des Krieges leiden und deshalb den Sport als Bühne für ihren Unsinn benutzen. Denken wir nur an dieses Halbfinale: Die Stimmung in der Halle war richtig heiß, wahrscheinlich sogar einen Tick zu aggressiv. Was da teilweise auf den Rängen geschehen ist, hatte überhaupt nichts mit Sport zu tun. Das waren keine Handball-Fans. Ich finde allerdings, dass alle Spieler in diesem Halbfinale sich wie echte Vorbilder verhalten haben und sich daran viele Leute ein Beispiel nehmen sollten. Beide Mannschaften haben jeweils eine Botschaft an ihr Volk geschickt. Ich hoffe, dass dies in Erinnerung bleibt und nicht der Münzwurf.

Im Januar steht wieder eine EM an. Mit oder ohne Zarko Sesum?

Sesum: Ohne! Ein Turnier wäre nach meiner Verletzung jetzt nicht gerade die richtige Vorbereitung auf die restliche Saison. Nein, für solch eine Belastung ist mein Knie noch nicht bereit. Ich werde ein paar Tage nach Serbien fahren, dort meine Familie besuchen – und auch dort trainieren, damit ich bei den Löwen wieder voll angreifen kann.