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„Nach den Löwen wissen wir, wo wir stehen“

Titel-Kandidat FC Barcelona kommt mit großem Respekt nach Mannheim

So hatten sie sich das nicht vorgestellt. Enttäuscht und frustriert saßen Cédric Sorhaindo, Rául Enterrios und Kamil Syprzak auf der Ersatzbank. Während die Spieler von Vardar Skopje im Hexenkessel von Köln wie kleine Kinder jubelnd übereinander herfielen, wollten die katalanischen Asse nur noch allein sein. Keine Frage: Diesen unerwarteten Schock, diesen Siegtreffer der Mazedonier durch Luka Cindric fünf Sekunden vor dem Abpfiff und diese nicht für möglich gehaltene Niederlage und das damit verbundene Aus im Halbfinale der Königsklasse gegen den späteren Champions-League-Sieger mussten sie erst einmal verarbeiten. Denn eigentlich waren sie nach Köln gekommen, um den Pokal mit nach Hause zu nehmen.

Seit 2015 haben die Katalanen die begehrteste Trophäe im europäischen Club-Handball nicht mehr gewonnen, nach eigenem Selbstverständnis sind das zwei vergebliche Anläufe zu viel. Barcelona will, Barcelona muss fast jährlich die Königsklasse gewinnen, was nicht zuletzt auch daran liegt, dass die nationalen Meisterschaften und Pokalsiege mangels ernstzunehmender Konkurrenz nicht mehr ganz so wertvoll wie noch vor ein paar Jahren sind, als es mit Ciudad Real einen großartigen Herausforderer gab. „Was den Club-Handball in meiner Heimat angeht, spielt Barcelona in seiner eigenen Liga“, sagt Rafael Baena, einer von zwei Spaniern in Diensten der Rhein-Neckar Löwen: „An das Niveau dieser Weltklasse-Mannschaft kommt keine andere auch nur annähernd heran.“

„Das Erreichen des Final Four wird immer schwieriger“

Ist das mit Blick auf Champions League nun ein Vor- oder Nachteil? Einerseits fehlt die Wettkampfhärte, andererseits kann Barcelona auf nationaler Ebene seine Kräfte schonen. Mannschaftskapitän Victor Tomas sieht es pragmatisch: „Wenn wir die Champions League gewinnen, war es ein Vorteil. Wenn wir scheitern, war es ein Nachteil.“ Im sich verändernden europäischen Club-Handball gibt es indes immer mehr Mannschaften wie Barcelona, die sich ausschließlich auf die Champions League konzentrieren können und in diesem Wettbewerb ein heißer Titelanwärter sind: Vive Tauron Kielce, Telekom Veszprem oder eben Skopje. Dessen ist sich auch Trainer Xavi Pascual bewusst. Er glaubt, dass es selbst für seine Mannschaft keine Selbstverständlichkeit mehr ist, die Endrunde in Köln zu bestreiten: „Das Erreichen des Final Four wird immer schwieriger, denn jede Saison gibt es mehr Teams, die Fortschritte gemacht haben und in der Lage sind, diesen Wettbewerb zu gewinnen. Wir werden aber natürlich alles tun, um nach Köln zu kommen.“

Dass es für die Katalanen etwas komplizierter werden könnte, ist indes nicht von der Hand zu weisen. Vorbei sind nämlich die Zeiten, in denen ausnahmslos erfahrene Topstars im auch quantitativ üppigen Aufgebot standen. Mit Enterrios steht jetzt beispielsweise nur ein Spielmacher zur Verfügung, nachdem Filip Jicha kurz vor Beginn dieser Saison seinen Abschied aus der Mittelmeermetropole via Facebook mitgeteilt hatte. „Ich gehöre nicht mehr zur Mannschaft des FC Barcelona für die kommende Saison. Ich wünsche dem Team viel Erfolg“, sagte der Tscheche, der mit permanenten Verletzungsproblemen in der jüngsten Vergangenheit zu kämpfen hatte: „Aufgrund meiner Verletzungen, vor allem am Schambein und nach meiner Knie-Operation, war es mir nicht mehr möglich, auf mein altes Level zu kommen, das ich mir gewünscht habe. Ich bin sehr traurig darüber. Aber ich weiß, dass dies auch Teil eines professionellen Sportlers ist.“

Ex-Löwe Ristovski im Tor

Liebend gern hätte Barcelona deshalb schon zu dieser Saison den ehemaligen Kieler Aron Palmarsson aus Veszprem geholt, ab Sommer 2018 wird der Isländer ohnehin das Trikot der Katalanen tragen. Doch der ungarische Serienmeister ließ seinen Mittelmann nicht ziehen, woraufhin dieser bei Veszprem in den Streik trat – ein Phänomen dieses Sommers, das im Zusammenhang mit dem FC Barcelona übrigens häufiger vorkam. Neben dem Abschied von Jicha hat sich zur neuen Saison nicht viel am Kader der Katalanen verändert. Ex-Löwe Borko Ristovski, der 2016 mit den Badenern Meister wurde, ist weiterhin Torwart bei den Katalanen.

Sein mazedonischer Landsmann, der wurfgewaltige Halbrechte Kiril Lazarov, verließ den Club hingegen Richtung HBC Nantes. Für ihn kam Jure Dolenec aus Montpellier. Auch der Slowene ist ein torgefährlicher Rückraumspieler, wenngleich nicht mit so viel Durchschlagskraft wie Lazarov gesegnet. Dafür kann er aber im Gegensatz zum Mazedonier auch in der Abwehr seinen Mann stehen, was Barcelonas Spiel schneller und variabler machen dürfte. Mit dem 21-jährigen Rechtsaußen Yanis Lenne (Sélestat) kam ein weiterer junger Franzose, er trifft in der Mittelmeer-Metropole auf seine Landsleute Dika Mem (20 Jahre, Rückraum), Timothey N’guessan (25, Rückraum) und Sorhaindo (33, Kreisläufer). Außerdem wurde der Routinier Jesper Noddesbo durch Alexis Borges vom FC Porto ersetzt.

Gute und schlechte Erfahrungen

Die Löwen machten mit den Katalanen in der Vergangenheit gute und schlechte Erfahrungen. Zum Start in die Champions-League-Saison 2010/2011 gewannen die Badener beim ersten Spiel ihres neuen Trainers Gudmundur Gudmundsson mit 31:30 im legendären Palau Blaugrana, das dramatische Rückspiel in Mannheim endete 38:38. Besonders tragisch verliefen aus Sicht der Löwen die zwei Viertefinal-Duelle im Frühjahr 2014. Mit 38:31 entzauberten die Badener in einem ihrer besten Europapokalspiele der Geschichte den FC Barcelona im Hinspiel in der SAP Arena. Doch im Rückspiel verlor der Bundesligist 24:31 und verpasste nur wegen der weniger erzielten Auswärtstreffer das Final Four. Zuletzt standen sich beide Mannschaften in der Saison 2015/2016 in der Gruppenphase gegenüber. In Mannheim siegten die Löwen nach überragender Deckungsleistung mit 22:21, das zweite Duell bei den Katalanen verlorenen die Badener 20:26.

Nun kommt es zu den nächsten zwei Aufeinandertreffen zwischen dem deutschen und dem spanischen Meister. „Ich bin gern in der gleichen Gruppe mit den Champions“, sagt Kapitän Tomas, der nie für einen anderen Club gespielt hat und getrost schon jetzt als lebende Vereinslegende bezeichnet werden kann: „Nach der Partie gegen die Löwen wissen wir, wo wir stehen.“