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„Es geht viel um Psychologie“

Andreas Palicka im Interview vor CL-Spiel am Sonntag

Er ist einer der Garanten für den sportlichen Höhenflug der Rhein-Neckar Löwen. Torhüter Andreas Palicka bildet mit seinem Landsmann Mikael Appelgren ein Gespann der Spitzenklasse, nicht nur in der Bundesliga, sondern auch in der schwedischen Nationalmannschaft mit der er zuletzt die Silbermedaille bei der EM in Kroatien gewinnen konnte. Im Interview spricht Palicka über die vergangene Europameisterschaft, die schwedische Nationalmannschaft, den kommenden Champions-League-Gegner IFK Kristianstad und adelt seinen Mitspieler Gudjon Valur Sigurdsson.

Andreas, auch wenn du mit der schwedischen Nationalmannschaft das EM-Finale verloren hast. Gibt dir die Silbermedaille trotzdem ein gutes Gefühl?

Andreas Palicka: Um diese Frage zu beantworten, muss ich ein bisschen weiter ausholen: Wir hatten große Hoffnungen im Vorfeld der EM, dass wir bei diesem Turnier weit kommen können. Dann mussten wir ein paar schlimme Rückschläge hinnehmen wie die Auftakt-Niederlage gegen Island oder die verletzungsbedingten Ausfälle vor dem Halbfinale, als wir plötzlich zwei Halbrechte ersetzen mussten. Auch die zweite Halbzeit im Finale war nicht gut. Andererseits gab es eben richtige Höhepunkte wie die Siege über Kroatien und Dänemark. Diese EM war eine große Gefühlsachterbahn. Deswegen sollten und werden wir richtig zufrieden sein mit der ersten Medaille, die wir mit dieser Mannschaft geholt haben. Was wir gegen Kroatien und Dänemark geleistet haben, das war einfach unglaublich. Diese Medaille macht Hoffnung auf mehr.

Ihr seid während des Turniers häufig mit den jungen Deutschen verglichen worden, die während der EM 2016 unbekümmert zum Titel stürmten.

Palicka: Ich werde diese beiden Mannschaften nicht miteinander vergleichen. Von der Qualität im Kader und den Namen war es 2016 nicht ausgeschlossen, dass Deutschland mit diesem Team erfolgreich sein kann. Diese Mannschaft war ja nicht unbedingt unerfahren, wenn man sieht, wer da alles mitgespielt hat. Was mich wirklich 2016 überrascht hat, war dann aber, wie gut Deutschland tatsächlich gespielt hat. Kämpferisch war das ja überragend. Das war eine starke Teamleistung mit einem super Trainer. Diese Mannschaft hat einen Lauf bekommen und dann kommt am Ende sowas dabei heraus. Diese Breite wie die Deutschen haben wir in Schweden noch nicht. Wir hatten bei der EM mit Linus Arnesson einen Zweitligaspieler dabei und das Durchschnittsalter unserer Mannschaft in Kroatien betrug gerade einmal 25 Jahre – das ist schon sehr jung für einen Silbermedaillengewinner.

Wie schätzt du die Perspektive dieser Mannschaft ein?

Palicka: Wir wollen auf dieser Silbermedaille aufbauen und weiterarbeiten, damit sich die Entwicklung fortsetzt. Das heißt nicht, dass wir bei jeder EM oder WM jetzt Gold holen, denn das kann man nicht planen und dafür ist die Spitze zu gut – gerade bei einer EM, bei der man immer auch ein bisschen Glück benötigt. Unser großes Ziel ist das Jahr 2020. Da spielen wir eine Heim-EM und die Olympischen Spiele stehen an. Da wollen wir in Topform sein, und viele unserer jungen Spieler werden dann im besten Handball-Alter und auf dem Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit sein. 2020 wollen wir da sein und um Medaillen spielen.

Was zeichnet diese schwedische Mannschaft aus?

Palicka: Natürlich sind das erst einmal alles gute Handballer. Aber vor allem der Charakter und das Kämpferherz sind unglaublich groß. Wenn ich da nur an unser Halbfinale gegen Dänemark denke: Da muss Mattias Zachrisson als 1,78 Meter großer Rechtsaußen plötzlich im rechten Rückraum ran und macht acht Tore. Jim Gottfridsson ist vor der EM lange verletzt und ist dann der überragende Spieler dieser EM. Oder Linus Arnesson: Der spielt erst gar nicht und erzielt dann als Zweitligaspieler im Halbfinale gegen Dänemark sechs Tore. All diese kleinen Geschichten sind außergewöhnlich und zeigen den Charakter dieser Mannschaft. Hinzu kam natürlich, dass wir eine richtig gute Abwehr hingestellt haben, eine der besten bei dieser EM – davon haben dann Mikael Appelgren und ich auch profitiert. Unsere Vorderleute haben uns sehr viel gegeben. Und wenn das Zusammenspiel mit der Deckung funktioniert, bekommst du auch als Torwart ein paar Bälle mehr und siehst gut aus. Wir haben ganz einfach zusammengehalten und uns gegenseitig geholfen. Gemeinsam kämpfen! Ich glaube, das ist das Motto dieser Mannschaft.

Zu der mit Jesper Nielsen auch ein Mann gehört, der in der nächsten Saison das Trikot der Löwen trägt.

Palicka: Jesper hat ein überragendes Turnier gespielt. Er wird uns bei den Löwen helfen, Jesper ist ein kompletter Spieler und hat noch Entwicklungspotenzial. Er ist schon jetzt ein überragender Abwehrspieler und ein sehr guter Angriffsspieler. Im Zusammenspiel mit Andy Schmid wird er in der Offensive sicherlich noch einen Tick besser, da hat er noch Potenzial, das er entwickeln will. Und da wird ihm Andy helfen. Jesper kommt zu uns, um eine zentrale Rolle zu übernehmen – und ich bin mir sicher, dass er genau diese Erwartung auch erfüllen wird.

Die EM startete für euch mit der Niederlage gegen Island gar nicht gut. Am Ende schied Island in der Vorrunde aus und ihr kamt ins Finale. Wie ist das zu erklären?

Palicka: Im Handball geht es viel um Psychologie. Wir haben gegen Island unheimlich schlecht angefangen, das war zu Beginn einer EM nicht würdig. Das war das einzige Spiel, in dem wir uns nicht 60 Minuten an unser Motto gehalten haben. Jeder stand zunächst für sich alleine da, keiner hat dem anderen geholfen und erst nach 25 Minuten sind wir wach geworden und waren auch mit dem Kopf da. Aber nach diesem kollektiven Blackout hat Island schon deutlich geführt. Was ich damit sagen will: Das Niveau in Europa ist sehr hoch, es gibt viele richtig gute Spieler in den unterschiedlichsten Nationen. Da wird eben viel über den Kopf entschieden – und gegen Island waren wir zuerst mental nicht bereit.

Ein isländischer Mannschaftskollege von dir hat gerade einen Weltrekord für die meisten Länderspieltreffer aufgestellt.

Palicka: Was Gudjon Valur Sigurdsson da aufgestellt hat, ist ja nichts anderes als ein Wahnsinnsrekord. Aber wenn ich über ihn urteilen soll, kommt es mir in erster Linie nicht auf seine Tore an.

Sondern?

Palicka: Ich sehe ihn jeden Tag im Training. Was er für sich und für die Mannschaft tut, wie er sich einbringt – das verdient allerhöchsten Respekt. Goggi ist einer unserer wichtigsten Spieler bei den Löwen und für Island der wichtigste Mann auf dem Feld. Er ist ein Gewinnertyp und der besttrainierteste Handballer, den ich jemals gesehen habe. Goggi ist ganz einfach der beste Linksaußen der Welt.

Wie bewertest du eure Ausgangssituation in der Champions League?

Palicka: Wenn wir das Spiel in Zagreb nicht verloren hätten, sähe es richtig gut aus. Auch die Niederlage am letzten Wochenende gegen Szeged war sehr ärgerlich. Aber das können wir jetzt nicht mehr ändern. Wir werden versuchen, unsere restlichen Spiele in der Gruppe zu gewinnen und dann werden wir sehen, wozu es reicht.

Euer nächster Gegner heißt Kristianstad. Was kannst du uns über den Club aus deiner schwedischen Heimat sagen?

Palicka: In Kristianstad machen alle einen überragenden Job. Der Verein ist sehr professionell geführt, es werden stets junge Skandinavier verpflichtet und entwickelt. Dieser Club ist allen anderen Vereinen in Schweden ein paar Jahre voraus. Kristianstad ist wahrscheinlich einer der am besten geführten Vereine in Europa, auch wenn der Club in ökonomischer Hinsicht nicht zu den größten Vereinen gehört. Aber als Spieler hat man alle Möglichkeiten, um dort besser zu werden. Es ist wichtig für den Handball in Schweden, dass wir solch einen Verein haben. Dennoch wollen wir es am Sonntag besser machen als gegen Szeged.