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Ein schlechter Witz wird Wirklichkeit

Rhein-Neckar Löwen treten wegen Terminstreits mit Zweiter Mannschaft in der VELUX EHF Champions League an

Am vergangenen Samstag spielten die Jungs der Rhein-Neckar Löwen II noch zuhause gegen Fürstenfeldbruck, am kommenden Samstag treten sie in der VELUX EHF Champions League bei PGE Vive Kielce an. Das klingt erst einmal nach einem schlechten Witz. Zum Lachen zumute ist den meisten Teilnehmern der Polen-Reise allerdings nicht. „Natürlich freuen sich die Spieler auf solch eine Möglichkeit. Auf der anderen Seite ist es aber eine Katastrophe für unsere erste Mannschaft, die sich durch die Hauptrunde gearbeitet hat und eine realistische Chance auf das Erreichen des Final Four genommen bekommt“, sagt Michel Abt, der mit André Bechtold das Trainerduo der zweiten Löwen-Mannschaft bildet.

Am Samstag um 16 Uhr wird die Partie zwischen dem Champions-League-Sieger von 2016 und dem aktuellen Tabellendritten der Dritten Liga, Staffel Süd, angepfiffen. Das Spiel wird live auf Sky Sport 2 im Pay-TV übertragen. Zustande gekommen ist das ungleiche Duell durch den Terminstreit zwischen Europäischer Handball-Föderation (EHF) und Deutscher Handball-Liga (HBL), in dessen Folge die EHF das Achtelfinal-Hinspiel der Löwen in Kielce auf denselben Tag legte wie deren Bundesliga-Spiel in Kiel (18.10 Uhr). Dass zwischen beiden Duellen rund 40 Minuten liegen und die Löwen am Ende zwei Spiele in vier Stunden absolviert haben werden, klingt dann nicht nur nach einem schlechten Witz – es ist einer.

Andy Schmid: Jungs sollen es genießen

„Für unsere Spieler freuen wir uns. Ich denke aber auch, dass das Unverständnis über die Chance, die den Löwen dadurch genommen wurde, überwiegt“, sagt Michel Abt zu der absurden Konstellation und sieht es damit genauso wie Andy Schmid, Kapitän der Bundesliga-Mannschaft, die sich in 14 überwiegend harten und aufreibenden Vorrunden-Spielen für das Achtelfinale in der Königsklasse qualifiziert hatte. „Wir sind sehr enttäuscht darüber, dass es so gekommen ist, können die Situation aber auch nicht mehr ändern. Den Jungs von der Zweiten wünsche ich, mit Spaß und Freude an das Spiel heranzugehen und das Ganze zu genießen“, sagt der Schweizer Weltklasse-Spielmacher, dem nichts ferner liegt, als Druck auf die Zweite Mannschaft aufzubauen. Schließlich seien die Spieler ja auch – genauso wie die Bundesliga-Truppe – in diese Situation hineingedrängt worden.

Schmid ist dabei sehr wohl bewusst, welche Tragweite der Auftritt eines U-23-Teams in einem internationalen Spitzenwettbewerb haben wird. Er wisse allerdings nicht, ob dies auch für die übrigen Beteiligten gelte. „Für mich ist es unbegreiflich, wie es so weit kommen konnte. Das ist einfach nicht gut für unseren Sport und wirkt absolut amateurhaft. Dabei haben wir das Image des Handballs in den vergangenen Jahren so gut aufgebaut, unter anderem mit vollen Hallen, gewaltfreien Spielen, gesunden Finanzen und bodenständigen Stars.“ Dass ihm nun die Chance verwehrt wird, seinen Traum von der Final-Four-Teilnahme in Köln in diesem Jahr zu realisieren, findet der ehrgeizige Spitzensportler schlichtweg „deprimierend“.

Talentschuppen trifft auf Weltklasse-Kader

Während sich Schmid mit seinen Teamkameraden am Samstagnachmittag langsam auf das Bundesliga-Spitzenspiel gegen den THW Kiel einstimmen und vorbereiten wird, messen sich in der Hala Legionów in Kielce A-Jugendliche und Perspektivspieler mit gestandenen Weltklasse-Profis. Bei PGE Vive Kielce spielt unter anderem Julen Aguinagalde, einer der besten Kreisläufer der Welt. Neben dem Ex-Löwen-Trio Slawomir Szmal, Karol Bielecki und Krzysztof Lijewski stehen Ausnahmekönner wie Alex Dujshebaev, Michal Jurecki und Manuel Strlek im Kielce-Kader, zu dem mit Blaz Janc eines der größten europäischen Talente gehört. Die Verantwortung auf der Bank trägt Talant Dujshebaev, einer der gewieftesten Trainer, welche die Sportart zu bieten hat.

Gegen die faktische Übermacht ins Rennen schicken die Löwen eine mit A-Jugendlichen aufgefüllte U-23-Mannschaft. Weil Max Haider, Pascal Kirchenbauer und Leon Bolius aufgrund ihres Zweitspielrechtes bei den Eulen Ludwigshafen nicht auflaufen dürfen und mit Max Trost einer der besten Schützen mit Kreuzbandriss ausfällt, müssen Michel Abt und André Bechthold Jungs nominieren, die in den Jahren 1999 und 2000 das Licht der Welt erblickten. So wird am Samstag in Kielce Lukas Wichmann mit dabei sein, der am Dienstag seinen 18. Geburtstag feierte. Noch jünger ist das slowakische Linksaußen-Talent Martin Schmiedt, das mit zarten 17 Jahren Champions-League-Luft schnuppern wird.

Rico Keller nimmt es mit Humor

Zu den „erfahrensten“ Löwen-Spielern auf der Platte in Polen wird Rico Keller gehören. Der spielstarke Rückraum-Schütze hat in dieser Saison schon mehrmals in Champions League und Bundesliga zum Profi-Kader gehört, auch in beiden Wettbewerben Einsatzzeiten bekommen und Tore geworfen. „Die Vorfreude ist riesig. Wir versuchen, das Beste daraus zu machen“, sagt der 20-Jährige zu der Mammutaufgabe. Auch Maximilian Kessler (19) ist in dieser Spielzeit schon von Nikolaj Jacobsen berufen worden, sammelte einige Erfahrungen mit den Profis auf der Linksaußen-Position, als Gudjon Valur Sigurdsson verletzungsbedingt pausieren musste. Lucas Bauer im Tor stand ebenfalls schon für die Profis zwischen den Pfosten, unter anderem sogar beim REWE Final Four 2017 in Hamburg.

In der Dritten Liga bilden diese Jungs eine schlagkräftige Truppe. Nach 24 von 30 Spielen stehen sie mit 30:18-Punkten auf dem dritten Platz. Für die Profis und den Champions-League-Auftritt verzichten sie sogar auf das eigene Liga-Spiel, das am Freitagabend um 20 Uhr zuhause gegen TV Neuhausen ansteht und nun von einer recht spontan zusammengestellten Truppe aus weiteren A-Jugendspielern bestritten wird. Die eigentliche Löwen-II-Mannschaft wird dann schon in Polen gelandet und im Hotel sein, sich auf das große Spiel am nächsten Tag einstimmen. Ihr jüngstes Liga-Spiel gegen Fürstenfeldbruck haben sie 34:27 gewonnen. In Kielce wären sie wahrscheinlich froh, nur halb so viele Treffer zu erzielen – und nicht mehr als doppelt so viele zu kassieren. Rico Keller jedenfalls nimmt es sportlich mt Humor. Für den Fall, dass man wider alle Vernunft und Realität ein Resultat erreiche, dass es der Profi-Mannschaft erlaubt, im Rückspiel am Ostersonntag noch den Einzug ins Viertelfinale zu schaffen, laufe bereits eine Abmachung mit Löwen-Torwart Andreas Palicka. „Um was es da geht, sage ich lieber nicht.“