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„Der beste Kader der Welt bringt nichts, wenn…“

Oliver Roggisch, Sportlicher Leiter der Rhein-Neckar Löwen, im Interview über Charaktere, Mentalität und die anstehenden Aufgaben

Oliver Roggisch ballt die Fäuste.Die Vorbereitung ist vorbei, am Wochenende stehen die ersten beiden Runden im DHB-Pokal an. Danach geht es für die Rhein-Neckar Löwen zum PIXUM Super Cup nach Düsseldorf und zum Liga-Auftakt in der SAP Arena gegen den TBV Lemgo Lippe. Im Interview sprechen wir mit dem Sportlichen Leiter Oliver Roggisch über die Verfassung der Mannschaft, Mentalität und die Konkurrenz insbesondere aus dem hohen Norden. 

Hallo Oli. Die harte Zeit der Vorbereitung ist vorbei. Wie lautet dein sportliches Fazit der vergangenen vier Wochen?

Oliver Roggisch: Stand jetzt sind wir sehr, sehr zufrieden. Nicht nur handballerisch, sondern auch charakterlich haben sich die Neuen sehr gut eingefügt. Ich habe es selten erlebt, dass eine neu formierte Mannschaft so schnell zusammenfindet. Da kann man jeden einzelnen loben, das ist aller Ehren wert. Rein sportlich gesehen sind wir absolut im Soll. Das gilt zum Beispiel für den neuen Innenblock, da haben wir uns Stück für Stück gesteigert und machen da einen richtig guten Job.

Wie schlagen sich denn die Neuen auf der Platte?

Oliver Roggisch: Wir haben jetzt mehr Alternativen, insbesondere in der Abwehr. Mit Jesper Nielsen, Ilija Abutovic und Gedeón Guardiola verfügen wir jetzt über drei echte Abwehr-Asse, das ist schon super. Mit Jannik Kohlbacher haben wir einen der besten Kreisläufer der Liga verpflichtet, der sich schon richtig gut mit Andy Schmid eingespielt hat. Jannik ist darüber hinaus ein toller Junge, haut sich in jedem Training, in jedem Spiel voll rein. Es macht großen Spaß, ihm zuzugucken.

Was kannst Du zu den beiden neuen Rückraum-Jungs sagen?

Oliver Roggisch: Vladan Lipovina macht das, was er machen soll, mit ihm sind wir wie mit den anderen sehr zufrieden. Sicherlich hat er noch ein bisschen Nachholbedarf, was die Athletik anbelangt. Aber das kriegen wir hin. Er ist ein guter Junge, der sich einbringt in die Mannschaft. Steffen Fäth gehört ganz klar zu den introvertierteren Typen, der ohne großes Bohei ein absoluter Leader auf dem Feld ist. Das hat er auch schon eindrucksvoll in Berlin unter Beweis gestellt. In wichtigen Situationen übernimmt er Verantwortung. Er wird uns aus der Distanz, aber auch im Zusammenspiel mit dem Kreisläufer weiterhelfen. Gerade gegen Teams, die mit 6:0-Abwehr spielen, wird er die Waffe auf halblinks sein.

Das klingt so, als könnten mindestens zehn, elf Jungs in der Startformation stehen…

Oliver Roggisch freut sich. Oliver Roggisch: Wir sind definitiv breiter aufgestellt als vergangene Saison und werden sicher auch mehr Spieler einsetzen, als dies zuletzt der Fall war. Genauso sicher ist aber auch, dass man zunächst einmal eine erste Sieben haben wird. Das ist auch normal. Aber wir haben auf vielen Positionen mehr Alternativen. Das gilt insbesondere für halbrechts, wo wir Alex Petersson sicher nicht nochmal so ein Jahr wie das vergangene zumuten können. Er braucht mehr Unterstützung. Klar ist: Die Jungs hinter der ersten Sieben werden denen, die vor ihnen stehen, die Hölle heißmachen. Das wird für jedes Training gelten. Denn das ist auch sicher: In dieser langen und harten Saison wird jeder gebraucht werden.

Welche Rolle hat das zweitägige Kurztrainingslager im Schwarzwald gespielt, gerade in Hinblick auf das so zentrale Teambuilding?

Oliver Roggisch: Für uns war es wichtig, den Trip zu nutzen, um als Mannschaft zusammenzukommen und auch mal etwas anderes zu machen als „nur“ Handball zu trainieren. Wir hatten zwei tolle Team-Events mit Sommerbiathlon und Crossgolf. Ersteres hat sich als genauso anstrengend wie witzig herausgestellt. Beim Golfen fand ich es spannend zu sehen, wie die großen Männer mit dem kleinen Ball umgehen. Ich selber habe da weniger Talent. Unser Trainer Nikolaj Jacobsen hingegen hat den Jungs vorgemacht, wie es läuft, und den Wettbewerb gewonnen. Dies könnte auch der Grund gewesen sein, warum wir überhaupt auf die Idee gekommen sind…

Du meinst, damit Niko auch mal etwas zu lachen hat…

Oliver Roggisch: Genau, für die gute Laune unseres Trainers. Aber Spaß beiseite. Das ist bei allen gut angekommen, genauso wie das gemeinsame Abendessen, bei dem dann auch das eine oder andere Bierchen getrunken wurde. So etwas gehört eben auch dazu. Man spricht anders miteinander, wenn man sich in lockerer Atmosphäre begegnet. Das hat der Mannschaft gutgetan.

Wie hast du dich denn geschlagen beim Golfen?

Oliver Roggisch beim Crossgolf.Oliver Roggisch: Suboptimal. Ich konnte meiner Mannschaft nicht helfen.

Du warst aber nicht Letzter – und Trainer Erster…

Oliver Roggisch: Nein, da waren schon noch ein paar dabei, die noch weniger können als ich. Das Schlimme ist aber, dass ich ja immerhin eine Platzreife habe – dafür war es sehr bescheiden. Womöglich lag es an den Bedingungen, die querfeldein im Schwarzwald nicht so waren wie bei mir zuhause in St. Leon-Rot.

Zurück zum Ernst der Vorbereitung. Inwiefern hat euch die Hitze der vergangenen Wochen zu schaffen gemacht?

Oliver Roggisch: Das war schon brutal. Wir haben das eine oder andere Mal auch darauf reagiert, zum Beispiel eine Trainingseinheit ins Freibad verlegt. Da muss man den Temperaturen einfach Tribut zollen. In Kronau in der Halle haben wir keine Klimaanlage und ab gewissen Graden ist ein vernünftiges Training einfach nicht mehr möglich. Nichtsdestotrotz hat die Mannschaft gelitten – und das wird im Laufe der Saison, wenn die Bedingungen auch nicht immer ideal sind, vielleicht sogar noch von Nutzen sein. Insgesamt muss ich den Jungs ein großes Kompliment machen, die haben das ohne zu murren durchgestanden.

Im Training hat man gesehen, dass die Truppe mit Spaß bei der Sache und in sich sehr homogen ist…

Oliver Roggisch: Der beste Kader der Welt bringt nichts, wenn die Spieler nicht zusammenpassen, die Charaktere sich nicht vertragen und nicht jeder seine Rolle kennt. Ich finde auch, dass sich jeder in die Mannschaft einbringen sollte, und zwar nicht nur die handballerischen Fähigkeiten, sondern auch abseits des Spielfelds. Das hat uns in den vergangenen Jahren immer ausgezeichnet und gilt im Übrigen auch für Nikolaj, für mich und für jeden im Verein.

Die Vorbereitung liegt in den letzten Zügen, am Samstag geht es endlich los mit dem ersten Pflichtspiel der Saison. Wie groß ist die Lust auf den Rundenauftakt?

Oliver Roggisch in Nahaufnahme. Oliver Roggisch: Die ist extrem groß. Wir haben lange und intensiv gearbeitet, etliche Fototermine gemacht, viel zu organisieren gehabt. Jetzt ist es gut, wieder in den Spielrhythmus zu kommen. Jeder Profisportler spielt lieber, als dass er trainiert. Von daher ist die Vorfreude riesengroß. Wir sind gut vorbereitet und freuen uns auf ein spannendes Handballjahr.

Wie hoch ist der sportliche Anreiz beim Erstrunden-Final-Four im DHB-Pokal, wo es gegen einen Drittligisten und im Falle des Sieges gegen einen Zweitligisten geht?

Oliver Roggisch: Fürstenfeldbruck, unser Gegner im ersten Spiel, beherrscht eine sehr offensive 3-2-1-Deckung und ist eine unangenehme Mannschaft. Da müssen wir gleich mal zeigen, dass wir dagegenhalten können. Keine Frage: Wir wollen weiterkommen, nehmen die Favoritenrolle an. Aber ernstnehmen müssen wir alle Gegner. Dabei geht es in erster Linie um uns selber und darum, zu sehen, dass wir uns auf Wettkampfniveau bringen. In einem Trainingsspiel kann man das nur bedingt simulieren. Jetzt kommt es darauf an, wirklich eins, zwei Schippen draufzulegen und sich ein gutes Gefühl zu holen für Supercup und Liga-Start.

Stichwort Supercup: Nach Kiel 2017/18 geht es mit Flensburg wieder gegen eine Mannschaft, gegen die es im Grunde keine Freundschaftsspiele gibt. Da werden sich beide Teams nichts schenken, oder?

Oliver Roggisch: Mit Sicherheit. Schließlich geht es um den ersten Titel der Saison, wenn auch um den vermeintlich kleinsten. Außerdem kann man mit einem Erfolg etwas für die Stimmung tun, zusammen feiern. Wir haben in den vergangenen Jahren durchweg gute Erfahrungen mit dem Wettbewerb gemacht. In jedem Fall wird es der erste richtige Härtetest für beide Mannschaften.

Beim Duell Löwen gegen Flensburg wird nun natürlich die Kiste von wegen Revanche aufgemacht werden, Revanche für die Meisterschaft 2017/18, die ihr an die SG verloren habt. Dabei wurde das Ganze ja nicht in den direkten Duellen entschieden. Du wirst entsprechend sagen: Quatsch…

Oliver Roggisch protestiert. Oliver Roggisch: Klar. Würde man dieses Prinzip anwenden, hätte man bei der Fülle der Duelle ja fast nur noch Revanche-Spiele. Als Profisportler hakt man solche Dinge relativ schnell ab, das ist doch alles nur vergeudete Energie. Beide Teams werden in das Spiel gehen, um es zu gewinnen. Zudem erwartet uns in Düsseldorf eine schöne Kulisse, das wird uns ein gutes Gefühl für den Bundesliga-Start geben.

Beide Mannschaften haben einen ähnlich großen Umbruch gehabt: Wird man dieses Spiel auch als Vergleichsmaßstab nutzen?

Oliver Roggisch: Das werden wir auch schon vorher sehen. Wir schauen uns zum Beispiel an, was die Flensburger im Pokal machen. Umgekehrt wird das genauso sein. Wir haben beide viele neue Spieler einzubauen und jeder schaut darauf, wie wir damit klarkommen. Der Vorteil liegt also bei Kiel, die eingespielt und ohne Umbruch in die Runde gehen. Wir wollen dennoch alles dafür tun, es oben in der Liga-Tabelle richtig schön eng zu machen.

Reden wir über den Liga-Auftakt: Als Mannschaft ist es doch etwas Schönes, zuhause in die Saison starten zu können?

Oliver Roggisch: Ja, das macht es ein bisschen einfacher. Wir hoffen auf eine tolle Unterstützung der Fans, was gerade im ersten Spiel wichtig ist. Besonders für unsere neuen Spieler wird es ein riesiges Erlebnis sein. Ich weiß selber, wie es ist, das erste Mal in der eigenen Halle aufzulaufen. Das ist immer etwas ganz Spezielles. Wir hoffen, dass wir die SAP Arena gut gefüllt kriegen, denn das haben sich die Jungs nach dieser harten Vorbereitung verdient.

Kiel wird von den meisten als Topfavorit gehandelt, auch von dir und unserem Trainer. Aber die Meisterschaft vorzeitig abschreiben werdet ihr auch nicht…

Oliver Roggisch: Wir schauen in erster Linie auf uns. Es können so viele Mannschaften oben mitspielen. Kiel hebt sich ein bisschen ab, weil sie den Kader schon länger haben und sich mit Hendrik Pekeler sehr gut verstärkt haben. Es sieht schon klasse aus, was die machen. Wir hingegen wollen einfach unsere Leistung bringen. Bleiben wir von Verletzungen verschont, können wir sicher ein Wörtchen oben mitreden.

Noch ein Blick auf die VELUX EHF Champions League. Ihr habt eine harte Gruppe erwischt, wollt aber sicher nicht einfach nur in die K.o.-Runde kommen…

Oliver Roggisch beim Sommerbiathlon. Oliver Roggisch: Ziel ist es, auf jeden Fall weiter zu kommen als in den vergangenen Jahren, als im Achtelfinale Schluss war. Vielleicht haben wir uns in der Champions League zuletzt ein wenig unter Wert verkauft. Ich denke, dass wir mit unserem breiteren Kader ganz gut dafür gerüstet sind.

In einem Interview zu deinem Rücktritt als aktiver Spieler hast du gesagt, dass Abwehrarbeit die Grundlage für erfolgreichen Handball ist und diese Abwehrarbeit in erster Linie auf Willensleistung basiert. Siehst du diesen Willen in der aktuellen Löwen-Mannschaft?

Oliver Roggisch: Unsere Mannschaft lebt nicht nur von einem Andy Schmid oder einem Alex Petersson, die vorne die schönen Tore machen. Wir leben zuallererst von einer guten Abwehrarbeit und zwei sehr guten Torhütern. Alles andere kommt danach. Jeder bei uns weiß, wie wichtig Abwehrarbeit ist. Nicht zuletzt deswegen haben wir mit Jesper Nielsen und Ilija Abutovic zwei Top-Defensiv-Leute geholt. Abwehr ist eine Willenssache, da bekommst du nie die Anerkennung wie einer, der vorne die Fäden zieht. Abwehrarbeit ist ein Stück weit Drecksarbeit, bei uns in der Mannschaft ist sie aber sehr hoch angesehen. Wenn wir sie ähnlich gut hinbekommen wie in den vergangenen Jahren, werden wir sicher eine sehr gute Rolle spielen in dieser Saison.