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Nahe an der Perfektion

Rhein-Neckar Löwen deklassieren Hannover-Burgdorf und setzen sich an die Ligaspitze

Die Rhein-Neckar Löwen haben am Dienstagabend die TSV Hannover-Burgdorf 35:23 (17:9) geschlagen und damit die Tabellenführung in der DKB Handball-Bundesliga übernommen. Vor 7784 Zuschauern in der SAP Arena zeigte der Deutsche Meister knappe 48 Stunden nach dem starken 30:28 gegen Kiel die nächste Top-Leistung und überrannte die Niedersachen bereits nachhaltig in der ersten Halbzeit. Kurz vor der Pause traf Gudjon Valur Sigurdsson beim 17:7 zur ersten Zehn-Tore-Führung. Nach der Pause ließen die Mannheimer nicht nach und fuhren einen auch in der Höhe verdienten Heimsieg ein. Bester Werfer für die Gelben war Mads Mensah mit acht Treffern. Mikael Appelgren steuerte 14 Paraden inklusive zwei gehaltener Siebenmeter bei. Die Partie war von der Liga vom zehnten Spieltag vorgezogen worden.  

Löwen-Coach Nikolaj Jacobsen lobte seine Truppe in den höchsten Tönen: „Aus Trainersicht gibt es keine perfekten Spiele. Aber das heute war schon nahe an der Perfektion.“ Dem dänischen Meistertrainer gefiel vor allem die Beweglichkeit in der Abwehr und die überragende Abstimmung zwischen Feldspielern und Torwart. „Dadurch konnten wir laufen und uns mit einfachen Toren schnell Selbstvertrauen holen.“ Zudem hob Jacobsen die „bombastische Stimmung“ hervor und fand damit ähnliche Worte wie sein Kapitän. „Wie schon in den vergangenen Spielen hatten wir eine Riesenstimmung“, sagte Andy Schmid, der auf der Platte schnell merkte, dass die „Leute aus dem Häuschen“ waren ob der grandiosen Vorstellung ihrer Löwen. „Das war schon eine beeindruckende Leistung von uns. Schön, dass wir noch einmal einen Gang gefunden und hochgeschaltet haben. Somit konnten wir zeigen, dass das gegen Kiel keine Eintagsfliege war“, sagte der Schweizer. Ein Schlüssel zum Erfolg war, Hannover-Burgdorf nicht unterschätzt zu haben, wie Patrick Groetzki fand: „Wir waren gewarnt in Anbetracht des guten Handballs, den die TSV bisher gespielt hat.“

Appelgren sofort voll da

In Mannheim konnten die Niedersachsen allerdings nicht an diese Form anknüpfen. Schon die erste Aktion im Spiel gehörte Mikael Appelgren im Löwen-Tor, der beim Wurf von Hannovers Mittelmann Morten Olsen zupackte. Gudjon Valur Sigurdsson traf per Siebenmeter zum 1:0 für den Meister, dann ging es schnell: Appelgren hielt gegen Böhm, Andy Schmid netzte aus dem Rückraum ein, Appelgren legte zwei Paraden nach, wieder Schmid traf aus dem Rückraum: Die Löwen fackelten nicht lange – und führten nach vier Minuten 3:0. Als Patrick Groetzki das 4:0 draufsetzte, sah sich TSV-Coach Carlos Ortega gezwungen, die erste Auszeit zu nehmen. Den Löwen-Express stoppte das nicht, was auch an den hypernervösen Gästen lag. Hannover produzierte Ballverluste am laufenden Band, die Löwen zeigten sich aufmerksam in der Abwehr und superschnell auf den Beinen. Kaum ein Angriff dauerte länger als wenige Sekunden – von wegen Kraftverlust gegen Kiel! Mehr als acht Minuten brauchten die Niedersachsen, um gegen die Löwen-Maschinerie auf die Anzeigetafel zu kommen: Mait Patrail traf zum 6:1. Da hatte Appelgren im Tor der Gelben bereits fünf Paraden gesammelt.

Nach dieser phänomenalen Startphase setzte der Teufelskerl im Löwen-Tor in Minute 12 das nächste Zeichen, hielt einen Siebenmeter von Hannovers Casper Mortensen. Auf der anderen Seite machte es Sigurdsson besser, verwandelte seinen Strafwurf zum 8:1 (13.). War gegen Kiel die Achse Schmid/Pekeler federführend, erledigten nun Abwehr und Torwart im Verbund mit mörderischem Angriffstempo die Hauptarbeit, dazu zeigten sich Alexander Petersson und Mads Mensah im Rückraum spielfreudig und zielstrebig. Als Mensah zum 12:3 (18.) traf, griff Ortega bereits zur zweiten Auszeit. Hannover drohte schon jetzt ein Debakel. Zumal Petersson mit einer brutalen Fackel das 13:4 besorgte und Appelgren im Gegenzug seine neunte Parade – bei vier Gegentreffern – auspackte. Malte Semisch im TSV-Tor brauchte fast 22 Minuten bis zu seiner ersten erfolgreichen Aktion. Bis dahin waren die Löwen nur am Block oder an der eigenen Ungenauigkeit gescheitert, was äußerst selten vorkam. Eiskalt nutzte der Meister seine Chancen und zeigte sich im Rückwärtsgang weiter fokussiert. Groetzki spritzte in einen Erste-Welle-Versuch Hannovers, Appelgren sammelte Parade um Parade. Mensah drehte weiter auf, traf zum 14:5 (24.) und 15:5 (26.). So entfesselt hatte man das dänische Kronjuwel in dieser Saison noch nicht erlebt. Auch dank des Überfliegers der ersten Halbzeit führten die Mannheimer zur Pause mit kaum fassbaren acht Toren (17:9) gegen den strauchelnden Tabellenführer aus Hannover. Mikael Appelgren wies dabei eine Quote von über 50 Prozent auf: Weltklasse plus – wenn es so etwas gibt.

Mensah lässt es krachen

In Durchgang zwei versuchte es Ortega mit einem neuen Torhüter, brachte Martin Ziemer für den überforderten Semisch. Gegen Rafael Baenas ersten Streich vom Kreis hatte er aber auch keine Chance (18:10, 32.). Genauso wenig wie beim siebten Einschlag durch Mensah – der dann auch noch einen Wurf von Häfner blockte (36.) und zum 20:11 nachlegte. Hannover probierte es jetzt mit dem siebten Feldspieler, traf auch zweimal und verkürzte auf 20:13 (37.). Baena und Appelgren (!) ins leere Tor stellten den alten Abstand wieder her (22:13, 39.). Die Löwen gingen jetzt verstärkt über den Kreis, wo Baena auch von den Hünen Pevnov und Brozovic nicht aufzuhalten war und für das 23:14 sorgte – inklusive der zweiten Zwei-Minuten-Strafe gegen Brozovic. Nach Traumpass von Schmid durfte der Spanier sein viertes Tor verbuchen, Appelgren ins leere Tor sein zweites (25:16, 43.).

Die Schlussviertelstunde eröffnete Appelgren mit seiner zwölften Parade. Auf den Rängen wurde da schon ausgiebig gefeiert – und das vollkommen zu Recht. Die Löwen zeigten sich weiter in Spiellaune, auch wenn jetzt nicht mehr alles klappte. Wenn dann aber doch, drehte Gedeon Guardiola die harzige Kugel um Semischs Fuß herum ins Tor (27:18, 48.). An Appelgren gab es ohnehin kaum ein Vorbeikommen. Zehn Minuten vor Ende markierte Baena nach Super-Zuspiel von Mensah die zweite Zehn-Tore-Führung des Abends (29:19). Löwen-Trainer Jacobsen hatte da schon Harald Reinkind für Petersson gebracht. Der Norweger fügte sich nahtlos ein, traf mit Volldampf zum 30:20 (52.). Hannover unterliefen derweil wie schon über die gesamte Spielzeit haarsträubende Fehler, so dass die Gäste sich immer wieder selbst um beste Chancen und den eigenen Rhythmus brachten. Jacobsen schickte mit Filip Taleski und Bogdan Radivojevic zwei frische Kräfte auf die Platte. Radivojevics erste Szene: ein Kempa zum 31:20. Es war ein Abend wie aus dem Bilderbuch für die Löwen, in welchem sich auch Taleski mit seiner ersten Fackel zum 32:21 verewigte. Zum Dank an die Mannschaft erhoben sich die Fans von den Sitzen, feierten das Team für eine Traumleistung fortan im Stehen. Nach Barcelona und Kiel erlebte die SAP Arena bereits das dritte denkwürdige Spiel in dieser noch recht jungen Saison. Zur Feier des Tages hielt Appelgren seinen zweiten Siebenmeter (59.) und Schmid packte den nächsten Zauberpass auf Baena aus (35:22, 60.). Das Fazit der Arena: „Oh wie ist das schön!“

Rhein-Neckar Löwen – TSV Hannover-Burgdorf 35:23 (17:9)

RNL: Appelgren (2), Palicka – Tollbring, Sigurdsson (6/2), Groetzki (3), Radivojevic (1), Schmid (3), Pekeler, Guardiola (1), Bliznac, Petersson (2), Reinkind (1), Mensah (8), Rnic, Taleski (2), Baena (6)

Hannover: Ziemer (31.-45.), Semisch – Johannsen (2/1), Mortensen (2), Patrail (2), Pevnov (3), Häfner (3), Böhm (3), Karason, Olsen (7), Brozovic (1), Diebel, Kalafut, Christophersen, Kastening, Büchner

Trainer: Nikolaj Jacobsen – Carlos Ortega / Iker Romero

Schiedsrichter: Fabian Baumgart / Sascha Wild

Zuschauer: 7784

Zeitstrafen: 1 – 3  

Siebenmeter: 2 – 3   

Beste Spieler: Schmid, Mensah, Appelgren – Olsen

Hannover: Appelgren hält Siebenmeter von Mortensen (12.) sowie von Johannsen (59.)  

Spielfilm: 1:0, 4:0, 6:0, 8:1 (13.), 9:2, 11:3 (15.), 14:5 (24.), 15:7 (27.), 17:9 (Halbzeitpause), 18:10 (32.), 20:13 (37.), 24:16 (43.), 26:18 (47.), 29:19 (50.), 31:21 (55.), 35:23 (Abpfiff)