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Eine Halbzeit zum Vergessen – Kiel ringt Löwen nieder

Titelverteidiger verliert 22:27 bei Rekordmeister, zeigt nach der Pause Moral

Die Rhein-Neckar Löwen haben nach elf Siegen in Folge einen Rückschlag in der DKB Handball-Bundesliga hinnehmen müssen. Am 26. Spieltag verloren sie 22:27 (9:17) beim THW Kiel. Die vierte Niederlage in der Liga haben sich die Löwen in der ersten Halbzeit eingebrockt, als sie zahlreiche technische Fehler produzierten und sich von Kiel in den Mann-gegen-Mann-Duellen immer wieder düpieren ließen. Beste Werfer waren für Kiel Niclas Ekberg mit sechs Toren und bei den Löwen Hendrik Pekeler und Gudjon Valur Sigurdsson mit je vier Treffern.

THW-Kreisläufer Patrick Wiencek sah die eigene Abwehrleistung als entscheidend an, lobte im ARD-Interview aber auch seinen Torwart: „Niklas hat viele Bälle gehalten und uns damit sehr geholfen.“ Andy Schmid, Spielmacher der Löwen, beklagte die Leistung in Halbzeit eins: „Wir haben einen guten THW gesehen. Bei uns war das keine Nervosität, es haben einfach überall ein paar Prozentpunkte gefehlt. Wir sind nicht in die Gänge gekommen. Keiner hatte Normalform in der ersten Halbzeit.“ Kiels Trainer Alfred Gislason lobte seine Jungs: „Die Mannschaft war hellwach von Anfang an. Nur so geht es gegen die Rhein-Neckar Löwen, die eine überragende Saison spielen.“

In der Wiencek-dos Santos-Zange

Im Spiel ist beiden Teams der Respekt voreinander direkt anzumerken. In der Abwehr setzen sowohl THW-Coach Alfred Gislason als auch Löwen-Trainer Nikolaj Jacobsen auf eine 6:0-Formation in der Abwehr – was der Intensität der Partie nicht abträglich ist. Das Spiel nimmt sofort Fahrt auf, zu viel Fahrt. Nach siebeneinhalb hektischen Minuten voller Fehler auf beiden Seiten steht es 2:2. Spätestens als Petersson von Wiencek und dos Santos in die Zange genommen wird, ist klar, dass das hier ein Kampfspiel wird. So treffen auch Kim Ekdahl Du Rietz und Steffen Weinhold nur, weil sie es wirklich wollen. Ansonsten geht es hochgradig nervös weiter: Landin wirft einen Ball nach Parade weg, Petersson läuft unbedarft ins Stürmerfoul.

Auch das 4:3 von Vujin zwischen Ekdahl Du Rietz und Sigurdsson hindurch ist eine Willensleistung. Dieses Spiel ist kein filigraner Handball, sondern Arbeit pur. Beim 5:3 nimmt Jacobsen die Auszeit. „Ruhe bewahren“, ist die Parole. Der Trainer spürt, dass seine Mannschaft Hilfe braucht. Kurz darauf muss Firnhaber nach Foul an Pekeler zwei Minuten vom Feld. Die Löwen aber nutzen das nicht, begehen den nächsten technischen Fehler. Schließlich stehen nach mehr als 15 Minuten für den Tabellenführer gerade einmal drei Tore zu Buche – eine erschütternde Zahl.

Zumal die Kieler treffen. Nach dem nächsten Löwen-Ballverlust läuft der THW den x-ten Gegenstoß. Auf das 8:3 obendrauf gibt es noch zwei Minuten gegen Petersson, weil er Schütze Ekberg beim Wurf behindert. Patrick Groetzki mit seinem ersten Tor zum 9:4 bringt nach sieben Gegentreffern am Stück eine Art Hoffnungsschimmer für die sichtlich konsternierten Löwen. Doch der Angriff macht weiter größte Sorgen. Auf der anderen Seite tankt sich Wiencek durch zum 10:4, da sind bereits mehr als 20 Minuten auf der Uhr. Als der starke Bilyk auf 11:4 erhöht, muss Jacobsen schon die zweite Auszeit nehmen.

Jacobsen versucht es mit 7 gegen 6

Der Coach versucht es jetzt mit Sieben-gegen-Sechs. Dos Santos trifft nach Ballverlust zum 12:4 ins leere Tor. Den Löwen misslingt heute tatsächlich fast alles. Eine der wenigen Ausnahmen: Pekeler macht nach klugem Reinkind-Pass das 12:5. In Minute 25 wechselt Jacobsen auf der Torwartposition. Appelgren kommt ins Spiel. Bei seiner ersten Szene hat der Blondschopf keine Chance. Wiencek nach feinem Pass von Vujin setzt den Heber kühl zum 14:6 ins Netz. Drei Minuten vor der Pause liegen die Löwen mit acht Toren hinten. Nun stellt Jacobsen auch in der Abwehr um. Pekeler verteidigt in der 5:1-Formation auf der Spitze. Zarabec solo und Bilyk per Gegenstoß erhöhen auf 16:7. Baena verkürzt auf 16:8. Mit 17:9 geht es in die Halbzeitpause. Ein dickes Brett für den Titelverteidiger gegen einen wie entfesselt spielenden Rekordmeister.

Ermutigend startet Durchgang zwei dann auch nicht. Rahmel trifft ins leere Tor zum 18:9. Schmid meldet sich und die Löwen mit dem 18:10 in den zweiten 30 Minuten an, vergibt aber den nächsten Wurf nach Appelgren-Parade. In Kiel tobt die Halle, der Meister muss jetzt Moral beweisen. Sigurdsson trifft zum 19:11, Pekeler zum 19:12. Die Abwehr steht besser, rückt enger zusammen und konsequenter raus. Kiel zeigt dieselben Konzentrationsschwächen wie zu Spielbeginn, Baena macht das 19:13 (38.). Es ist die letzte Chance für die Löwen, in dieses Spiel zurückzukehren. Zumal Pekelers 19:14 Kiels Gislason dazu bringt, seine erste Auszeit in einem bis dahin fast makellosen Spiel zu nehmen. Beendet wird die kleine Löwen-Aufholjagd dann durch einen Ekberg-Treffer und eine Landin-Parade gegen Groetzki.

Zu viele schlechte Würfe

In die letzten 20 Minuten geht es mit 20:15 – noch ist alles möglich. Auch Kiel macht weiter seine Fehler. Schön anzusehen ist das Topspiel nicht. Reinkind murmelt einen Wurf aus dem Rückraum zum 20:16 an Landin vorbei, die Löwen sind plötzlich wieder in Reichweite. Ein verrücktes Spiel steuert dem dazu passenden Finale entgegen. Auch Appelgren meldet sich zu Wort, hält großartig und muss dann von der Bank mitansehen, wie Wiencek nach der nächsten starken Landin-Aktion das 21:16 macht. Landin dreht weiter auf, der Ex-Löwe hält den Zebras die Führung fest. Auch weil sich die Mannheimer wie schon in der ersten Halbzeit viel zu viele schlechte Würfe nehmen. Da kann Appelgren halten, wie er will, und der Schwede dreht deutlich auf.

Und doch: Ranzukommen gelingt den Löwen bei allem Einsatz nicht. Sieben Minuten vor dem Ende führt der THW mit fünf Toren, Nilsson besorgt das 24:19. Auch wenn sich die Gelbhemden im zweiten Durchgang deutlich steigern, fehlt der letzte Punch, um die Kieler noch einmal ins Wanken zu bringen. Die Ostseestädter haben immer wieder eine Antwort parat, wenn sich die Jungs aus dem Rhein-Neckar-Kreis anschicken, den Rückstand entscheidend zu verkürzen. Näher als auf vier Tore schnuppern die Löwen nicht an den Ausgleich heran. Nach 60 Minuten steht es 27:22. Die zweite Hälfte immerhin konnten die Löwen 13:10 gewinnen – und damit die Höhe der Niederlage in Grenzen halten.

THW Kiel – Rhein-Neckar Löwen 27:22 (17:9)

Kiel: Landin, Wolff – Ekberg (6/2), Rahmel (1), Weinhold (2), Zarabec (2), Firnhaber, Dissinger, Bilyk (4), Nilsson (3), Vujin (3), Wiencek (3), Duvnjak, dos Santos (3)

RNL: Appelgren, Palicka – Tollbring, Sigurdsson (4/2), Groetzki (1), Radivojevic, Schmid (3), Pekeler (4), Petersson (3), Reinkind (2), Taleski, Baena (2), Ekdahl Du Rietz (2), Mensah (1)

Trainer: Alfred Gislason – Nikolaj Jacobsen

Schiedsrichter: Robert Schulze / Tobias Tönnies

Zuschauer: 10.285

Zeitstrafen: 3 – 2

Strafminuten: Firnhaber (4), Dissinger (2) – Ekdahl Du Rietz (2), Petersson (2)  

Siebenmeter: 2/2 – 2/3

RNL: Sigurdsson scheitert an Landin

Spielfilm: 0:1, 1:1, 1:2, 2:2, 2:3, 3:3, 4:3, 9:3, 9:4, 11:4, 13:5, 14:7, 16:7, 17:9 (Halbzeitpause), 18:10, 19:11, 19:14, 20:16, 25:19, 26:22, 27:22 (Abpfiff)