Rhein-Neckar Löwen

Andy Schmid: Zwischen zwei Welten (NZZ)

In Mannheim weht eine Schweizer Flagge. Bei jedem Heimspiel des Handball-Bundesligisten Rhein-Neckar Löwen hängt sie festgezurrt an der Brüstung in Block 216 der SAP-Arena. Die Fahne ist eine Liebeserklärung an Andy Schmid, den Captain der Löwen.

Schmid ist der Publikumsliebling in Mannheim – «der König der Löwen», wie ihn die Frankfurter Allgemeine Zeitung jüngst betitelte. Er ist der Lenker und Denker der Mannschaft. Mit Schnelligkeit und Cleverness kompensiert er die für Bundesliga-Verhältnisse mit 1,90 m bescheidene Physis und führt die Rhein-Neckar Löwen von Sieg zu Sieg. Achtzehn Mal hat das Team in dieser Saison gewonnen, nur zwei Mal verloren. Auch der Liga-Krösus THW Kiel muss sich derzeit auf Platz zwei hinter den Löwen einreihen.

Ein lustiger Typ muss er sein, denkt, wer Schmid während der Partien beobachtet. Der Spielwitz ist seine Stärke. Häufig gelingt es ihm, den Gegner mit unerwarteten Aktionen zu überraschen. Anfang Dezember im Spitzenspiel gegen Flensburg wurde Schmid vorübergehend als zusätzlicher Feldspieler anstelle des Torhüters eingesetzt. Bei einem abrupten Gegenstoss der Flensburger stellte er sich kurzerhand ins Tor und wehrte den Schuss des heranstürmenden Gegners ab – mit dem schlechteren linken Arm. Nach dem Spiel lachte er schelmisch in die Kamera eines TV-Teams und sagte: «Ich habe den Kopf weggedreht, weil ich ein bisschen Angst hatte. Dann habe ich meinen linken dünnen Arm ausgefahren, und zum Glück hat er den Ball dahin geworfen.» Mit solchen Aktionen sichert sich Schmid die Sympathien der deutschen Handball-Fans und -Experten. Im Frühling wurde er von einer Fachjury zum zweiten Mal in Folge zum MVP, zum wertvollsten Spieler, der deutschen Bundesliga gewählt.

In der Schweiz findet Schmids Leistung meist nur in einer Randnotiz Erwähnung – auf drei, vier Zeilen, eingeklemmt zwischen Golf-Resultaten und Segel-Meldungen. Das liegt vor allem an der Schweizer Handball-Nationalmannschaft, die abseits des Scheinwerferlichts um den Anschluss an die Weltelite ringt. Das Team verpasste 2015 zum fünften Mal in Folge die Qualifikation für eine EM-Endrunde. Der Tiefpunkt war ein Heimspiel gegen Tschechien. Schmid musste das Feld kurz vor der Halbzeit nach einem Zusammenstoss mit einem Gegenspieler verlassen. Diagnose: Gehirnerschütterung. Die Schweizer gaben ohne den Captain die Führung aus der Hand und verloren die vorentscheidende Partie. Die EM-Kampagne endete für die Schweizer mit dem Worst-Case-Szenario: 6 Spiele / 0 Punkte – letzter Platz.

Wenn Schmid das Nationaltrikot trägt, ist er in einer anderen Welt. In einer ohne grosse Siege und Konfettiregen. Und manchmal ist dann auch er ein anderer – einer, der vergeblich den Spielwitz sucht.

Von Claudia Rey

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