Familientag in der SAP Arena
Die HSG Wetzlar ist das Überraschungsteam der Liga. Nach dem 27:23-Sieg über den SC Magdeburg am achten Spieltag und den Punkten zehn und elf konnte selbst der sonst so wortgewandte Kai Wandschneider nicht viel sagen. Der nächste Coup der HSG machte den Trainer mehr oder weniger sprachlos. „So langsam wird’s unheimlich!“, sagte der Coach, nachdem seine Mannschaft zuvor schon den Meisterschaftsfavoriten SG Flensburg-Handewitt besiegt hatte.
„Es ist unfassbar, dass es uns gelungen ist, mit dem Sieg einen neuen Startrekord für unseren Klub aufzustellen.“ Was er an jenem 2. Oktober noch nicht wissen konnte: Es sollte noch besser werden. Beim ThSV Eisenach (29:25-Sieg) und gegen den Bergischen HC (28:19) punkteten die Mittelhessen erneut doppelt, doch allzu große Euphorie lässt der Trainer nicht zu. „Ich habe der Mannschaft gesagt, dass uns die Tabelle zum jetzigen Zeitpunkt völlig egal sein muss. Es gibt keinen Grund, sich auszuruhen“, sagte Wandschneider, der den Zusammenhalt als große Stärke der HSG ausgemacht hat: „Diese Mannschaft ist eine echte Einheit! Es macht Riesenspaß, mit diesem Team zusammenzuarbeiten. Unsere Mannschaft zeichnet derzeit aus, dass wir immer wieder Spieler finden, die im entscheidenden Moment das Richtige tun.“ Mehr als einmal war das in dieser Saison Torwart Andreas Wolff, der wöchentlich zur Hochform aufläuft – und wohl nicht mehr lange für die HSG spielen wird. Angeblich steht der Schlussmann vor einem Wechsel zum THW Kiel.
Wandschneider weiß, dass er das nicht beeinflussen kann. Der Trainer konzentriert sich deshalb auf seine Arbeit – und duldet als akribischer Tüftler keine Fehler. So tadelte er zur allgemeinen Überraschung nach dem Sieg über Magdeburg den neunfachen Torschützen Joao Ferraz, weil dieser zu oft zu früh den Abschluss suche: „Das müssen wir besprechen und verbessern.“ Dennoch sei es natürlich „fantastisch“, was sein Team im bisherigen Saisonverlauf geleistet habe. „Das war überhaupt nicht zu erwarten, schon gar nicht in der Kürze der Zeit“, sagte der Diplom-Sportlehrer. „Wir haben es wirklich schnell geschafft, unsere neuen Spieler auf und abseits des Parketts zu integrieren, und sie sind mittlerweile unersetzbar. Allerdings müssen wir gerade jetzt eine Sache zwingend verinnerlichen: Es gilt, auf dem Boden zu bleiben und in jedes Spiel konzentriert und fokussiert zu gehen.“
Vielleicht ist aber auch mehr drin, denn die Abgänge hat die HSG dank eines feinen Gespürs auf dem Transfermarkt hervorragend ersetzt. Der portugiesische Linkshänder Joao Ferraz sorgt für Torgefahr aus dem rechten Rückraum, der erst 20-jährige ehemalige Leutershausener Jannik Kohlbacher agiert glänzend am Kreis und gilt schon jetzt als zukünftiger Nationalspieler. Und dann ist da noch der 35-jährige Evars Klesnik, der als zentrale Defensivfigur bei den Mittelhessen seinen dritten Frühling erlebt. „Er ist Torstellvertretender Kapitän, im Mannschaftsrat, unumstrittener Abwehrchef und eine großartige Persönlichkeit. Ich habe selten einen Menschen mit solch hundertprozentiger Einstellung gesehen. Evars Klesniks ist ein wahres Geschenk für die HSG Wetzlar“, sagt Wandschneider, der sich außerdem auf den wurfgewaltigen Steffen Fäth verlassen kann.
Der Ex-Löwe von der halblinken Königsposition ist mittlerweile Kapitän der Mittelhessen und genießt beim Trainer ebenso großes Ansehen wie sein Stellvertreter Klesniks: „Beide werden sich in dieser Aufgabe gut ergänzen, zumal Steffen seit vielen Jahren im Verein ist und die Strukturen und Mechanismen sehr gut kennt“, ist sich der Coach sicher.
„Ich wollte gerne einen Feldspieler als Kapitän haben und Steffen Fäth hat sich mir durch seine sportliche Leistung, seinen Stellenwert in der Mannschaft und sein zwischenmenschliches Verhalten in meinen Überlegungen aufgedrängt – ohne jedoch selbst jemals Anspruch auf dieses Amt erhoben zu haben. Er hatte bei uns auch in der abgelaufenen Saison eine Führungsposition inne und ist eines der Aushängeschilder unseres Klubs. Er will und muss Verantwortung übernehmen.“
Während die Löwen erst am gestrigen Freitag von der Pleite in Kristianstad zurückgekehrt sind, konnten sich die morgigen Gäste ausgibig auf die Partie vorbereiten. „Wir wollen nach der Niederlage in Schweden wieder in die Erfolgsspur zurück“, lässt Löwen-Spielmacher Andy Schmid keine Zweifel aufkommen. Und auch für Nikolaj Jacobsen ist die Ausgangslage klar. „Auch wenn wir in der vergangenen Saison in Wetzlar verloren haben und sie wirklich eine starke Saison spielen, wir spielen zu Hause und da zählen für uns nur zwei Punkte“, so der Coach.