Rhein-Neckar Löwen

Der alte Fritz – plötzlich wieder König (MM)

Mannheim. Er kennt dieses Gefühl seit Jahren, diese Extremsituation, diesen Nervenkitzel. Wenn alle Blicke auf einen gerichtet sind, wenn alle plötzlich Wunderdinge erwarten, wenn die Mannschaftskollegen einen Impuls des Torwarts herbeisehnen – dann ist der Druck enorm. Henning Fritz hat diese unglaublich intensiven Phasen schon x-mal durchgemacht. Oft genug wurde der Schlussmann zum Matchwinner, zum Sieggaranten, zum Helden. In letzter Zeit war es um den Weltmeister von 2007 allerdings ein wenig still geworden. Beim Handball-Bundesligisten Rhein-Neckar Löwen wurde der Ex-Kieler kaum noch gebraucht, Goran Stojanovic ist die klare Nummer eins von Trainer Gudmundur Gudmundsson.

Vom Reservisten zum Helden

Und Fritz? Der war meistens Reservist, oft sogar nur Statist. Hier und da ein paar Kurzeinsätze. Das war’s. Die schillernde Karriere des 37-Jährigen, dessen Vertrag bei den Badenern am Saisonende nicht verlängert wird, schien heimlich, still und leise zu Ende zu gehen. Einer der ganz Großen seiner Zunft, so sah es lange aus, wird fast unbemerkt von der Bundesliga-Bühne, aus dem Rampenlicht verschwinden.

Doch seit Mittwochabend kennt jeder wieder Fritz als Meister seines Fachs, als unbezwingbaren Hexer. Gegen die Berliner Füchse kam er nach 41 Minuten bei einem 20:22-Rückstand rein – und zeigte Paraden wie zu seinen besten Zeiten. Wer auch immer von den Füchsen aufs Tor warf, er scheiterte am Schlussmann, der mit Wahnsinns-Reflexen am Fließband riesigen Anteil am 31:29-Sieg im Topspiel über den Hauptstadt-Klub hatte. „Es ist immer unangenehm, in solch einer Situation reinzukommen. Umso glücklicher bin ich, dass wir gewonnen haben“, sagte der 1,89-Meter-Mann, der zuletzt schon in Göppingen nach seiner Einwechslung eine ordentliche Leistung zeigte.

Wie beliebt der gebürtige Magdeburger immer noch ist, zeigte sich, als er das Feld betrat. Die Fans jubelten – und wurden mit jedem gehaltenen Ball lauter. Sein Name schallte nach dem Schlusspfiff durch die Arena, während der Gefeierte zum gefragten Mann beim Fernsehen wurde. Das hatte es lange nicht gegeben. Fritz genoss den Augenblick und sprach anschließend zu den Fans: „Ich bin überglücklich. Danke, dass Ihr uns so unterstützt habt. Für solche Spiele und den Applaus des Publikums stehen wir alle Woche für Woche auf der Platte.“

Gespannt verfolgten die Anhänger seine Sätze. Sie hingen ihm an den Lippen, weil er die richtigen Worte fand, den richtigen Ton traf, ihre Herzen erreichte: „Wir müssen Euch für uns gewinnen. Ich weiß, dass wir nicht immer den attraktivsten Ball spielen. Und ich hoffe, dass wir ein versöhnliches Ende miteinander finden.“

Der Torwart genoss die Ovationen und strahlte weit nach Spielende wie ein Karnevalsprinz, als er einen roten Leiterwagen hinter sich herzog und Chipstüten in die Menge warf. Er wusste: Vielleicht war diese Partie sein letzter großer Auftritt bei den Badenern, seine Zeit bei den Gelbhemden läuft ab. Seit 2007 ist er ein Löwe – und ganz sicher hat sich der charismatische Keeper die fünf Jahre ein bisschen erfolgreicher und vor allem weniger turbulent vorgestellt. Er hätte sich hinsetzen, die letzten Monate irgendwie hinter sich bringen, einen Haken an sein Engagement beim Bundesligisten machen können. Doch das tat er nicht.

Auch wenn der Torwart meistens nur zuschauen durfte, fieberte Fritz in jeder Partie mit, gab Tipps und feuerte seine Kollegen an. Kurzum: Er nahm die Reservistenrolle an, beschwerte sich nicht öffentlich, präsentierte sich als absoluter Vollprofi. Selbst als er ironischerweise im Hinspiel gegen Berlin aus dem Kader gestrichen und überraschenderweise durch Torwarttrainer Tomas Svensson ersetzt worden war, blieb der Welthandballer des Jahres 2004 nach außen hin ruhig. In ihm sah es jedoch ganz anders aus, die für ihn unbefriedigende Situation machte ihm zu schaffen: „Ich habe mich auf das Wesentliche konzentriert. Aber natürlich war ich mit meiner Rolle nicht zufrieden.“

Weil er mehr für die Mannschaft sein wollte als nur der Routinier, der mit Rat und Tat zur Seite steht. Gegen Berlin ging dieser Wunsch in Erfüllung – und Fritz machte keinen Hehl daraus, dass ihm das richtig gut tat. „Seit langer Zeit konnte ich endlich den Beitrag leisten, den ich mir wünsche“, sagte der Keeper, der nach seiner Gala gegen Berlin heute (20.15 Uhr) im Heimspiel gegen den VfL Gummersbach einen Einsatz von Beginn an verdient hätte.

Doch Forderungen zu stellen, das ist nicht das Ding des Europameisters von 2004, der sich augenblicklich Gedanken um seine Zukunft macht. Er fühlt sich wohl in der Region und hatte zuletzt angedeutet, gerne eine Aufgabe bei den Löwen zu übernehmen. Ein Signal der Klubführung in diese Richtung blieb bislang indes aus. Doch auch die dürfte gesehen haben, wie unglaublich populär der Ex-Nationaltorwart ist.

Von Marc Stevermüer

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