Veröffentlichung:
Nach dem EM-Triumph heißt es arbeiten gegen das Vergessen (RNZ)
Die Handballer brauchen nach dem EM-Triumph Konzepte, damit das große öffentliche Interesse kein Strohfeuer bleibt
Die deutschen Handballer sind seit Tagen das Gesprächsthema bei den Sportfans der Republik. In den sozialen Medien überschlugen sich die Menschen förmlich auf der Suche nach Superlativen und schrägen Ideen, nachdem die Nationalmannschaft in Polen am Sonntag mit einem 24:17-Sieg gegen Spanien Europameister geworden war. Von Dauer wird die Euphorie nicht sein, dennoch bietet der Triumph der jungen Wilden Chancen für die Sportart.
Selbst in der Allianz-Arena in München war am Sonntagabend Handball das Thema, denn während der FC Bayern in der Fußball-Bundesliga gegen die TSG 1899 Hoffenheim locker und leicht 2:0 gewann, wurden die Zuschauer über die Anzeigetafel immer wieder über die Zwischenstände in Krakau informiert. Am zurückliegenden Wochenende stellten die Handballer selbst die Fußballer in den Schatten – vor einer Woche war das noch unvorstellbar.
Die Erfolge und viel mehr noch die Leistungen einer Mannschaft, die ohne Stars und Erwartungen in die Europameisterschaft startete, haben zu einer Eigendynamik geführt und damit die Sportnation mitgerissen. Das Endspiel gegen Spanien, das zu einer Demonstration der Stärke der deutschen Handballer wurde, sahen 12,98 Millionen Menschen vor dem TV, nur beim Gewinn der Heim-WM 2007 (16,16 Millionen) schauten sich noch mehr Menschen in Deutschland ein Handballspiel an.
„Wir haben heute Sportgeschichte geschrieben“, sagte Bob Hanning. Der Vizepräsident des deutschen Handballbundes (DHB) benutzte diesen Superlativ bewusst – und hatte Recht mit seiner Einschätzung.
Es ist gerade eine Woche her, dass der Bundesligist HSV Hamburg sein Team aus der Bundesliga zurückgezogen hat. Allein die guten Leistungen der Nationalmannschaft haben den GAU überschattet, denn mit Hamburg verliert der Handball einen seiner wichtigsten Standorte. Und die Pleite der HSV-Handballer machte deutlich, dass die Sportart der Harz-Artisten massive Probleme hat. Bei vielen Klubs der ersten Liga mussten die Budgets in den vergangenen Jahren heruntergeschraubt werden. Auch bei den sportlich dominierenden Teams vom THW Kiel und den Rhein-Neckar Löwen. Es ist schwer geworden, Spitzen-Handball in Deutschland zu finanzieren.
Der Triumph von Krakau bietet Chancen für die Sportart, denn die Mannschaft spielte unerschrocken und gab sich außerhalb des Spielfelds unverbraucht. Spieler wie Torhüter Andreas Wolff oder Abwehrchef Finn Lemke sind Vorbilder für Kinder geworden und haben das Zeug, zu echten Stars zu erwachsen. „Ich habe E-Mails vom fremden Menschen bekommen, die sich bei mir bedankt haben, weil wieder mehr Kinder in ihre Vereine kommen und Handball spielen wollen“, sagte Hanning in den vergangenen Tagen.
Eigentlich wollte der DHB bis 2019 ein Team aufbauen, das bei der Heim-WM um den Titel mitspielen kann und ein Jahr später bei den Olympischen Spielen in Tokio eine realistische Gold-Chance hat. Eine unbekümmerte Mannschaft hat diesen Zeitplan außer Kraft gesetzt – und das gibt dem Handball neue Kraft. Die Zuschauerzahlen in der Liga werden in den kommenden Monaten steigen, das Interesse bei Sponsoren zunächst größer werden. Die Handballer brauchen Konzepte, damit dieser Effekt kein Strohfeuer wird. Die Klubs und der Verband müssen nachweisen, dass sie die Euphorie nachhaltig nutzen können.
Die Handballer haben nach dem Triumph 2007 schon erlebt, dass Erfolge der Nationalmannschaft nicht gleichbedeutend mit einem dauerhaften Aufschwung der Sportart verbunden sein müssen. Die Basketballer haben das mehrfach erfahren, nach dem EM-Sieg 1993 genauso wie nach den Erfolgen mit dem Aushängeschild Dirk Nowitzki.
Wenn der FC Bayern in ein paar Wochen im Achtelfinale der Champions League spielt, wird Handball kein Thema mehr in München sein. Und in der Allianz-Arena werden keine Zwischenstände mehr eingeblendet. Die EM liegt dann ein paar Wochen zurück, und der Handball ist wieder in seine Nische zurückgekehrt. Die Aufgabe der Verantwortlichen in Liga und Verband ist es nun, den Handball im Gespräch zu halten.
Von Michael Wilkening