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Nach der Gala folgt die Pflicht

Löwen empfangen den Aufsteiger TVB 1898 Stuttgart

Rund 20 Jahre ist es her, als Günter Schweikardt in geselliger Runde für überraschte, vielleicht sogar irritierte Blicke sorgte. Der TV Bittenfeld fristete damals ein eher tristes Dasein in der Verbandsliga, doch Visionär Schweikardt dachte schon in viel größeren Dimensionen „Unser Ziel muss es sein, mit dem TV Bittenfeld irgendwann in der Handball-Bundesliga zu spielen“, verkündete der damalige Trainer und heutige Sportliche Leiter voller Überzeugung.

2015 ist der TVB tatsächlich in der stärksten Liga der Welt angekommen und heißt nicht mehr TV Bittenfeld, sondern TVB Stuttgart. In der baden-württembergischen Landeshauptstadt haben die Schwaben ein neues Zuhause gefunden, sie spielen wahlweise in der Scharrena oder der Porsche-Arena. Durch die Namenserweiterung erhoffen sich die Verantwortlichen des TVB mehr Zuspruch bei Medien, Sponsoren und Zuschauern. „Stuttgart ist nun schon seit Jahren unser Spielort. Unsere Fans und wir fühlen uns in der Landeshauptstadt sehr wohl. Mit der Namenserweiterung wollen wir dies auch nach außen sichtbar machen und uns noch mehr als das Team der Handballregion Stuttgart präsentieren. Jedoch werden wir mit diesem Schritt keine komplett neue Identität annehmen, sondern unsere Identität für einen noch größeren Kreis öffnen“, erklärt Geschäftsführer Jürgen Schweikardt die Beweggründe des Vereins.

Nachdem der Klub 2014 den anvisierten Sprung ins Oberhaus noch knapp verpasst hatte, klappte es in diesem Jahr endlich. „Wir standen von den Aufstiegskandidaten vielleicht am meisten unter Druck, nachdem wir in der vorherigen Saison so knapp gescheitert waren“, gibt Jürgen Schweikardt zu. In Personalunion als Trainer und Manager hatte er den Klub zuletzt betreut, seit dem Sommer konzentriert er sich allerdings einzig und allein auf seine umfassenden Aufgaben als Geschäftsführer. Für den Trainerposten holten die Stuttgarter unterdessen einen alten Bekannten: Thomas König. Neun Jahre war der Coach zuvor für die TSG Friesenheim tätig. Er stieg mit den Pfälzern zwei Mal in die Bundesliga auf und schaffte mit den stark spielenden Eulen in der vergangenen Runde fast sensationell den Erstliga-Klassenerhalt. Doch am Ende stand der Abstieg – ein Szenario, das Taktikfuchs König nicht noch einmal erleben möchte. „Für jeden Aufsteiger wird es schwer, aber wir haben eine bundesligataugliche Mannschaft. Nur mit den Löwen können wir uns normalerweise nicht messen“, sagte König vor Saisonbeginn als sein Team im DHB-Pokal bereits auf den Vizemeister traf. Die Badener lösten diese Aufgabe beim Final Four in Kornwestheim souverän und siegten 27:18, der TVB-Trainer war dennoch nicht unzufrieden: „Alles ist gut. Wir haben zwei vernünftige Halbzeiten gespielt. Wir müssen die Kirche schon im Dorf lassen und bilden uns nicht ein, mal so eben gegen Mannschaften zu gewinnen, die einen deutlich höheren Etat als wir haben und zur internationalen Spitzenklasse zählen.“

König weiß um das große Leistungsgefälle in der Liga, 13 der letzten 15 Aufsteiger in die Bundesliga sind in ihrer Premierensaison direkt wieder abgestiegen: „Wir werden in dieser Saison vielleicht auch mal ein Spiel mit 20 Toren verlieren, auch dann werde ich nicht nervös.“ Als mittelfristiges Ziel haben die Stuttgarter die Etablierung in der Bundesliga ausgerufen. „Wir wissen aber auch, dass es dazu einer Verdoppelung unseres Etats bedarf“, sagt Jürgen Schweikardt, dem mit dem TVB ein sehr, sehr schwieriges und wahrscheinlich auch lehrreiches erstes Jahr bevorsteht: „Jedem ist bewusst, dass es für uns nur gegen den Abstieg gehen kann. Wir werden vom ersten Spieltag an darum kämpfen, dass wir nicht nur zweimal gegen Kiel spielen dürfen, sondern mehrere Jahre. Der Ligaverbleib wäre sicherlich ein toller Erfolg. Andererseits ist auch ein Weg möglich, wie ihn der Bergische HC beschritten hat. Nach dem Wiederabstieg in die Zweite Liga ist er gestärkt in die Bundesliga zurückgekehrt.“

Mit einem Etat von zwei Millionen Euro sind die Schwaben in die Saison gestartet – und gehören damit zu den Klubs mit den geringsten fianziellen Mitteln. Neun Spieler aus der Region gehörten zur Aufstiegsmannschaft, doch im Sommer wurde der Kader mit einigen erfahrenen Kräften verstärkt. So angelten sich die Stuttgarter beispielsweise den gebürtigen Mannheimer Michael Spatz, der beim TSV Birkenau das Handball-ABC erlernte, bei der SG Leutershausen weiter reifte und dann in der Bundesliga für den VfL Gummersbach und den TV Großwallstadt am Ball war. Der Rechtsaußen bringt viel Erfahrung mit, es stehen immerhin auch neun Länderspiele für Deutschland in seiner Vita. „Über das Angebot aus Bittenfeld habe ich mich sehr gefreut. Meine acht Jahre in Großwallstadt waren großartig, aber ich habe immer noch große Lust auf die Erste Liga und will dort jetzt mit dem TVB voll angreifen. Unser Ziel wird es sein, die Klasse zu halten und unseren Fans starke Spiele in Stuttgart zu bieten“, sagt Spatz, den sie beim Aufsteiger als Leader brauchen, wie Jürgen Schweikardt verdeutlicht: „Er wird nicht nur unsere beiden jungen Außenspieler weiter voranbringen, sondern als Führungsspieler der gesamten Mannschaft mit seiner Erfahrung
weiterhelfen.“

Während die Löwen nach der Galavorstellung gegen den Champions League Sieger FC Barcelona weiterhin ohne Punktverlust in den Pflichtspielen der laufenden Saison sind, setzte es für die morgigen Gäste in der Bundesliga bisher fünf Niederlagen in sechs Spielen. Den einzigen Saisonsieg fuhren die Schwaben bisher im Duell der Aufsteiger gegen Leipzig (28:26) ein, standen aber bei den beiden unglücklichen Niederlagen gegen die HSG Wetzlar (27:28) und den HSV Hamburg (27:31) jeweils kurz vor einem Punktgewinn. In den beiden bisherigen Auswärtsspielen präsentierte sich der TVB trotz der 26:30 Niederlange in Melsungen und dem 20:26 in Berlin mit einer ansprechenden Leistung. „Ich bin selbst gespannt, wie schnell meine Mannschaft nach dem Höhepunkt gegen Barcelona morgen wieder die Konzentration auf die Bundesliga findet. Für uns zählen nur zwei Punkte“, nimmt Löwen-Trainer Nikolaj Jacobsen die Favoritenrolle gerne an. Anwurf in der SAP Arena ist am morgigen Mittwoch um 19 Uhr, Eintrittskarten gibt es noch an der Abendkasse.