Veröffentlichung:

„Der Sieggarant zu sein, ist eines der besten Gefühle, die es gibt.“

Mikael Appelgren im Interview

Seit dieser Saison steht Mikael Appelgren im Tor der Rhein-Neckar Löwen. Gemeinsam mit Darko Stanic bildet der Schwede eines der besten Gespanne der Handball-Bundesliga und hat großen Anteil am starken Saisonstart der Badener. Im Interview spricht Appelgren über die ersten Wochen in der Rhein-Neckar Region, seine neue Mannschaft und über seine Ziele.

Mikael, ihr seid jetzt mittendrin in den englischen Wochen, bestreitet 18 Spiele in achteinhalb Wochen. Wie fühlt sich das an?

MIKAEL APPELGREN: Dieser Spielplan ist eine Herausforderung, vor allem für den Kopf. Alle drei Tage müssen wir zu 100 Prozent konzentriert sein, gegen keinen Gegner kann man sich Nachlässigkeiten erlauben.

Welchen Eindruck hast du bislang von den Löwen und der Region gewonnen?

APPELGREN: Ich habe mich hier super eingelebt und eine Wohnung in Heidelberg gefunden. Mein ehemaliger Melsunger Mitspieler Michael Müller, der ja auch mal bei den Löwen war, hat mir ein paar Tipps gegeben, wo man es gut aushalten kann (lacht). Der Verein wird sehr professionell geführt, das Trainingsniveau ist höher, alles ist einfach etwas besser als in Melsungen. Wenn ich etwas brauche, bekomme ich es. Es wird sich immer um alles gekümmert.

Zusammen mit Darko Stanic bist du Nachfolger von Niklas Landin. Wie bist du diese Aufgabe angegangen?

APPELGREN: Niklas ist ein fantastischer Torwart. Aber ich verspüre keinen Druck, sondern gehe mein neues Kapitel bei den Löwen positiv an. Natürlich ist das eine Herausforderung, Nachfolger von Landin zu sein, sogar eine sehr große. Aber das macht diese Aufgabe doch so reizvoll. Und ganz neu ist diese Erfahrung für mich auch nicht.

Das musst du uns erklären.

APPELGREN: Als ich 2009 als damals 19-Jähriger von meinem Heimatverein GF Kroppskultur zu IFK Skövde in die erste schwedische Liga wechselte, folgte ich auf Johan Sjöstrand, der damals zur SG Flensburg-Handewitt ging. Das war nicht einfach für mich und auch eine große Herausforderung. Denn Johan genoss in Skövde einen ebenso guten Ruf wie Niklas hier bei den Löwen. Ich wusste also, was bei den Löwen auf mich zukommt.

Kurioserweise ist Johan jetzt dein Nachfolger in Melsungen und ihr seid in der schwedischen Nationalmannschaft Konkurrenten um den Platz hinter dem 37-jährigen Routinier Mattias Andersson. Wie ist dein Verhältnis zu ihm?

APPELGREN: Wir verstehen uns super. Aber klar ist auch, dass ich in die Nationalmannschaft will. Damit das gelingt, muss ich besser werden. Bei den Löwen sehe ich die Chance, dass mir das gelingt. Aber wer weiß, vielleicht spielt Mattias ja nicht mehr so lange. Dann wäre der Weg für Johan und mich frei (lacht).

Claes Hellgren, Peter Gentzel, Tomas Svensson und jetzt Andersson – seit Jahren stehen Ausnahmekönner zwischen den Pfosten der schwedischen Nationalmannschaft. Das ist doch kein Zufall, oder?

Appelgren: Gute Frage, aber ich glaube da auch nicht an Zufall. Das Torwarttraining hat eine große Tradition bei uns in Schweden. Einer lernt vom anderen. Und schon seit vielen Jahren wird mit den Schlussleuten individuell gearbeitet.

Du selbst hast schon einmal an einem Trainingscamp mit Tomas Svensson teilgenommen. Welche Erfahrungen hast du mit dem ehemaligen Co-Trainer der Löwen gemacht?

APPELGREN: Tomas war jahrelang mein Vorbild. Seine Spiele habe ich mir immer wieder angesehen. Ich schätze ihn sehr, denn er ist eine tolle Persönlichkeit, ein ganz bescheidener Mann – und das trotz seiner großen Erfolge.

Wie bewertest du die Zusammenarbeit mit deinem Torwart-Kollegen Stanic?

APPELGREN: Ich kannte Darko ja zuvor nur aus dem Fernsehen und habe ihn schon spielen sehen, als ich noch nicht in der Bundesliga war. Ich freue mich unheimlich, mit ihm zusammenarbeiten zu dürfen. Wir reden sehr viel miteinander und ergänzen uns gut. Wir sind unterschiedliche Torhüter, er hat die jugoslawische Torwartschule durchlaufen und ich die skandinavische. Das passt.

Erkläre uns das mal.

APPELGREN: Bei Würfen aus sechs Metern habe ich die Arme eher oben, Darko ist hingegen sehr stark in der Zwischenhöhe. Die jugoslawische Torwartschule ist vielleicht eher ausgerichtet auf Würfe aus der Nahwurfzone, die skandinavische hingegen auf Würfe aus dem Rückraum. Wir vereinen beide Philosophien bei uns – und ich finde, dass wir uns genau deshalb so gut ergänzen.

Du warst in Melsungen der Stammtorwart, bei den Löwen gibt es keine klare Nummer eins. Wie schwierig ist das für dich?

APPELGREN: Überhaupt nicht. Es stimmt, dass ich in Melsungen in den vergangenen zwei Jahren fast immer 60 Minuten gespielt habe, aber in meinem ersten Jahr war das nicht so. Insofern ist diese Situation nicht neu für mich. Natürlich will ich immer spielen. Aber ich kenne unseren Spielplan bis zum Jahreswechsel. Da ist es fast unmöglich, an jedem dritten Tag eine Topleistung abzurufen.

Wer entscheidet denn, wer von Beginn an spielt?

APPELGREN: Darko und ich beraten uns vor jedem Spiel, wir tauschen uns aus und fragen uns, wer von uns beiden besser anfangen soll. Dann beraten wir uns mit Nikolaj Jacobsen. Er ist der Trainer, er hat das letzte Wort.

Die Löwen spielen mehrere Abwehrformationen. Inwieweit beeinflusst das dein Spiel?

APPELGREN: Als ich zu den Löwen kam, war das etwas Neues für mich. Dieses ständige Wechseln der Abwehrvarianten kannte ich bislang nicht, ich muss immer umdenken und mich auf die unterschiedlichen Formationen vorbereiten: Bei der 6:0-Deckung gibt es mehr Würfe aus der Distanz, bei der 3:3-Formation kommen die Schützen eher aus sechs Metern zum Abschluss. Da gibt es mehr Würfe vom Kreis und von den Außenpositionen. Darauf muss ich mich einstellen, aber das klappt bislang ganz gut, weil wir das auch in der Vorbereitung schon so praktiziert haben.

In der Champions League wurde der Modus verändert, es stehen 14 statt bislang zehn Vorrundenpartien an. Was hälst du davon?

APPELGREN: Für die deutschen Starter in der Champions League ist diese Reform kein Vorteil, denn die Belastung in der Liga ist hier schon deutlich höher als in allen anderen europäischen Ligen. Manchmal weiß ich wirklich nicht mehr, was ich dazu noch sagen soll: Wir sind wahrscheinlich die einzige Sportart, bei der im Juni die Saison endet und im Juli die Saisonvorbereitung beginnt. Zwischendurch spielen wir in jedem Winter eine WM oder EM und alle vier Jahre auch noch zusätzlich Olympia. So richtig verstehen kann ich das nicht.

Dein Klub-Kollege Kim Ekdahl du Rietz hat bereits die Konsequenzen gezogen und ist aus der schwedischen Nationalmannschaft zurückgetreten. Kannst du das verstehen?

APPELGREN: Kim würde uns in der Nationalmannschaft mit seiner Klasse natürlich extrem helfen. Aber er spielt bei den Löwen sehr viel und hat noch dazu immer mal wieder gesundheitliche Probleme wegen dieser Belastung gehabt. Ich kann verstehen, wenn er dieses riesige Pensum seinem Körper nicht mehr zumuten will.

Erinnerst du dich noch an dein erstes „richtiges“ Bundesligaspiel?

APPELGREN: Natürlich, das war 2012 gegen die Löwen. Am ersten Spieltag stand ich im Auswärtsspiel beim TV Großwallstadt zwar schon im Tor, aber nur bei einem Siebenmeter. Gegen die Löwen durfte ich da schon länger ran.

Die 23:26-Niederlage konntest du trotzdem nicht verhindern.

APPELGREN: Das stimmt, aber ich habe gleich zu Beginn einen Ball von Uwe Gensheimer gehalten und war richtig stolz, einen Wurf eines solchen Weltklassespielers abgewehrt zu haben. Das hat mich förmlich euphorisiert (lacht).

Du hast dir in deiner ersten Saison gleich den Ruf als Siebenmeter-Killer erworben. Sind Strafwürfe deine Spezialität?

APPELGREN: So pauschal kann man das nicht sagen. Ich kam 2012 neu in die Liga, da konnte ich vielleicht den einen oder anderen Schützen überraschen, weil er mich nicht kannte. Beim Siebenmeter gehört immer ein bisschen Glück dazu – ein paar gute Paraden waren aber auch von mir dabei (lacht).

Apropos Siebenmeter: Beim Auswärtssieg in Magdeburg hast du trotz guter Leistung eine Minute vor dem Abpfiff deinen Platz für Stanic geräumt, der prompt den Strafwurf von Robert Weber abwehrte und den Weg zum Sieg ebnete. Wie kam es zu diesem unerwarteten Torwarttausch?

APPELGREN: Ich hatte zuvor einen Siebenmeter von Robert Weber durch die Beine kassiert, den ich aber fast gehalten hätte. Ich hatte dann so ein Gefühl, dass Darko den nächsten Siebenmeter hält. Und unser Trainer hatte dieses Gefühl auch. Also haben wir kurz gesprochen und uns für den Wechsel ausgesprochen – im Nachhinein war das eine Super-Entscheidung aller Beteiligten (lacht).

Legst du dir vor jedem Spiel ein bestimmtes persönliches Ziel zurecht? Zum Beispiel, dass du in 15 Minuten eine bestimmte Anzahl an Paraden haben willst?

APPELGREN: Nein, ein Spiel kann man meiner Meinung nach nicht in solch ein Schema pressen. Mal hat man eine gute Phase, mal eine schlechte. Das gilt für mich als Torwart genauso wie für den Rest der Mannschaft. Ich fokussiere mich einfach immer nur auf den nächsten Wurf, versuche mich durch nichts aus der Ruhe bringen zu lassen. Kassiere ich ein Tor, geht es weiter. Ich kann das nicht mehr rückgängig machen. Halte ich den Ball, geht es auch weiter. Denn dann will ich auch den nächsten Ball abwehren.

Was ist das Schöne an der Torwartposition?

APPELGREN: Man hat eine große Möglichkeit, der Mannschaft zu helfen. Der Sieggarant zu sein, ist eines der besten Gefühle, die es gibt.