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„Wir können schon zum Start sehr viel verspielen“

Nikolaj Jacobsen im Interview

Mit dem Heimspiel am morgigen Samstag gegen den SC Magdeburg starten die Rhein-Neckar Löwen in die neue Saison. Trainer Nikolaj Jacobsen spricht im Interview über die abgelaufene Sommerpause, die Vorbereitungszeit, seine Neuzugänge und Ziele, sowie den schwierigen Saisonstart und die vergangenen Olympischen Spiele mit den Erfolgen der dänischen und deutschen Nationalmannschaft.

Nikolaj, am morgigen Samstag startet die Bundesliga, wie hast du die Sommerpause genutzt? Hast du irgendwie entspannen können?

Nikolaj Jacobsen: Ich war den ganzen Sommer über in Deutschland, weil meine Kinder hier in die Schule gehen. Als die Ferien begannen, startete unsere Saisonvorbereitung. An einen großen Urlaub war also nicht zu denken. Aber ich habe die Zeit mit meinen Kindern genossen, war mit Linus und Sille bei unglaublich vielen Jugendturnieren oder mit ihnen in Leimen im Schwimmbad. Ich bin also entspannt (lacht).

Inwieweit hat Olympia die Vorbereitung erschwert?

Jacobsen: Das war die schlimmste Vorbereitung seit vielen Jahren für mich. Auf vier Spieler musste ich wegen der Olympischen Spiele verzichten, mit Harald Reinkind (Kahnbeinbruch, Anmerkung der Redaktion) und Alexander Petersson (Jochbeinbruch, Anmerkung der Redaktion) haben sich beide Halbrechten verletzt. Das hat dazu geführt, dass Andy Schmid, Gedeón Guardiola und Kim Ekdahl du Rietz schon in den Testspielen viel auf der Platte stehen mussten. Mit Blick auf die Belastung war das natürlich nicht so optimal.

Wie überraschend war für dich die Goldmedaille deiner dänischen Landsleute bei den Olympischen Spielen?

Jacobsen: Man musste Dänemark schon auf dem Zettel haben, aber Frankreich war der Topfavorit. Zu Turnierbeginn sah es nicht unbedingt nach Gold aus, aber gerade im Endspiel haben die Dänen eine ganz starke Leistung gezeigt. Da hat man auch gesehen, dass bei den Franzosen viel an Daniel Narcisse und Nikola Karabatic hängt. Wenn diese beiden Topstars mal eine Pause brauchen, bekommt Frankreich auch Probleme.

Und was sagst du zur Bronzemedaille der Deutschen?

Jacobsen: Als Europameister waren auch sie ein Medaillenkandidat. Sicherlich kam der EM-Titel im Januar überraschend, aber diese junge Mannschaft hat unheimlich schnell gelernt und sich auf hohem Niveau stabilisiert. Viele Spieler haben einen großen Sprung gemacht und sind noch lange nicht am Ende ihrer Entwicklung angelangt. Julius Kühn, Fabian Wiede, Paul Drux, Hendrik Pekeler, Andreas Wolff und Finn Lemke sind zwischen 21 und 25 Jahre alt. Wolff gehört zu den besten Torhütern der Welt, das Gleiche gilt für die Außen Uwe Gensheimer und Tobias Reichmann. Mit dem Berliner Rückraumspieler Steffen Fäth hat diesmal sogar ein Schlüsselspieler gefehlt. Keine Frage: Mit dieser Mannschaft wird Deutschland in den nächsten Jahren immer zu den Topfavoriten gehören.

In der vergangenen Bundesliga-Rückrunde und auch in der Olympia-Vorrunde hast du wenig Verständnis für die Auslegung des Kreisläuferspiels gehabt. Was stört dich?

Jacobsen: Schauen wir uns Rafael Baena bei den Löwen an. Gegen ihn wurden unheimlich viele Offensivfouls gepfiffen, was ich nicht verstehen kann. Es gehört zum Handball, dass der Kreisläufer seinen Körper einsetzt. Oder wollen wir von nun an Kreisläufer, die nur noch rumstehen und hoch angespielt werden? Das fände ich nicht fair: Denn Rafael kann doch nichts dafür, dass er nicht so groß ist. Dafür hat er einen guten Körperschwerpunkt. Allerdings muss ich auch sagen, dass in der K.o.-Runde bei den Olympischen Spielen das Kreisläuferspiel nicht mehr so streng geahndet wurde.

Wie bewertest du das Startprogramm der Löwen?

Jacobsen: Schwer, sehr schwer sogar. Wir spielen erst gegen Pokalsieger Magdeburg, dann in Coburg. Einen Aufsteiger wünscht man sich nicht unbedingt in seinem ersten Auswärtsspiel. In Melsungen wird es wie immer hart zur Sache gehen – und dann kommt schon Flensburg. Dieses Programm hat es in sich, wir können schon zum Start sehr viel verspielen.

Mit welchen Zielen gehen die Löwen in die neue Saison?

Jacobsen: Ich gehe davon aus, dass der THW Kiel, die SG Flensburg-Handewitt und wir um die Meisterschaft spielen. Kiel hat mit Niklas Landin und Andreas Wolff das beste Torwartgespann der Welt, die Flensburger Mannschaft ist eingespielt und sehr breit aufgestellt. Bei uns wird viel davon abhängen, ob wir von Verletzungen verschont bleiben. Denn einen so großen Kader wie Kiel und Flensburg haben wir nicht.

Wird eine Mannschaft in die Phalanx der großen Drei einbrechen können?

Jacobsen: Ich glaube zumindest, dass der Abstand kleiner wird. Klubs wie Melsungen, Berlin und Magdeburg werden näher an die Topmannschaften heranrücken. Das wäre bei Melsungen schon in der vergangenen Saison der Fall gewesen, wenn nicht mit Johan Sjöstrand ein überragender Torwart so lange ausgefallen wäre. Magdeburg hat sich mit Christian O’Sullivan und Mads Christiansen sehr clever verstärkt, mit dieser Mannschaft müssen sie unter die ersten Fünf kommen. Gleiches gilt aber auch für Berlin, die mit Steffen Fäth einen Schlüsselspieler der Nationalmannschaft geholt haben.

Was erwartest du von dir als Trainer in dieser Runde?

Jacobsen: Wir werden versuchen, in der Abwehr wieder zu variieren. In der vergangenen Saison haben wir gerade zu Beginn der Runde von unserer offensiven 3:3-Formation profitiert. Diese Variante hat sich durch die neue Regel mit dem siebten Feldspieler aber eigentlich erledigt.

Wie fällt dein Urteil über die Neuzugänge aus?

Jacobsen: Gudjon Valur Sigurdsson, Dejan Manaskov und Andreas Palicka kennen die Bundesliga und beherrschen die Sprache. Es gab so keine Integrationsprobleme. Sigurdsson bringt viel Erfahrung mit und ist trotz seiner 37 Jahre unglaublich fit. Aber er kann die Saison nicht alleine auf der Linksaußenposition bestreiten, weshalb wir noch Manaskov geholt haben. Er hat einen guten Eindruck hinterlassen. Und auch Palicka hat stark im Tor gespielt.

Gibt es also keine klare Nummer eins?

Jacobsen: Mikael Appelgren und Andreas Palicka werden beide sehr viel spielen. Denn ich finde, dass wir zwei sehr starke Torhüter haben. Es kann aber natürlich
sein, dass ich mich irgendwann auf einen Torwart festlege, wenn er wirklich besser ist. Beide Torhüter werden die Chance bekommen, mir das zu beweisen.

Welche Rolle fällt Michel Abt zu?

Jacobsen: Der Sprung von der Dritten Liga in eine eingespielte Meister-Mannschaft ist natürlich groß. Er wird Zeit brauchen, um sich zurechtzufinden. Aber Michel hat mir in der Vorbereitung vor allem in der Abwehr gezeigt, dass er bereit ist. Er ist sehr wissbegierig und ich bin froh, ihn in der Mannschaft zu haben. Denn Michel ist ganz einfach ein guter Typ.

Mit Stefan Kneer fehlt künftig eine Alternative für den Mittelblock mit Gedeón Guardiola und Hendrik Pekeler. Wer wird im Notfall einspringen?

Jacobsen: Kim Ekdahl du Rietz hat mir in der Vorbereitung gezeigt, dass er eine Option für das Deckungszentrum ist. Ein paar Mal stand er zu defensiv – aber das bekommen wir in den Griff (lacht).

Mit welchen Erwartungen startet ihr in die VELUX EHF Champions League?

Jacobsen: Mit Skopje, Kielce, Szeged und Zagreb treffen wir in der Vorrunde schon auf vier Mannschaften, die in ihren nationalen Ligen wenig oder gar nicht gefordert werden. Diese Klubs haben einen Wettbewerbsvorteil, weil sie sich vielleicht zwei Wochen auf uns vorbereiten können. Es wird für uns also schwer, Erster oder Zweiter zu werden. So realistisch muss man einfach sein. Aber wir wollen weiterkommen, und dann wissen wir, dass wir in der K.o.-Runde an zwei guten Tagen jeden Gegner schlagen können. Dieses Selbstvertrauen haben wir.

In der vergangenen Saison hast du die Champions League auch ab und zu dazu genutzt, Spieler mit hoher Belastung zu schonen. Wirst du das wieder machen?

Jacobsen: Mir bleibt keine andere Wahl. Als Trainer habe ich eine Verantwortung für meine Spieler. Wenn ich all meine Leistungsträger jeden dritten Tag 60 Minuten durchspielen lasse, sind die Jungs im März fix und fertig und wir haben dann recht schnell gar keine Titeloption mehr. Die Champions League ist ein harter Wettbewerb, wir treffen auf starke Gegner. Aber zur Wahrheit gehört auch: Wir verdienen in diesem Wettbewerb insbesondere in der Gruppenphase kein Geld und unser Kader ist nicht darauf ausgelegt, die Vorrunde unbedingt als Gruppenerster beenden zu müssen.

Noch einmal zurück zu Magdeburg, am vergangenen Mittwoch konntet ihr den SCM im Pixum Super Cup bezwingen, nun kommt der Pokalsieger in die SAP Arena, da sollte doch eigentlich nichts schief gehen?

Jacobsen: Ich erwarte wieder ein Spiel auf Augenhöhe. Wir haben am Mittwoch eine sehr starke erste Halbzeit gespielt. Als wir dann in der zweiten Hälfte einige Fehler gemacht haben, war der SCM sofort wieder im Spiel. Sie sind eine Spitzenmannschaft die jeden kleinen Fehler des Gegner sofort bestraft. Leicht wird die Partie nicht, aber der Sieg vom Mittwoch gibt uns Rückenwind, und ich zähle natürlich auch auf die Unterstützung unserer Zuschauer. Leider ist das Spiel noch in der Ferienzeit in Baden-Württemberg, deswegen gibt es aber auch auf jeden Fall noch genug Karten. (lacht)