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Familien-Dynastie im Tor

Sławomir Szmal fühlt sich in Baden pudelwohl

Als Sławomir Szmal auf seinen Heimatort angesprochen wird, muss er schmunzeln. „Das ist das Ende der Welt“, sagt der Torhüter der Rhein-Neckar Löwen, der in Tiefenbach seine Zelte aufgeschlagen hat, seit er 2005 nach Baden kam. Etwas mehr als 1300 Mitbewohner hat die Familie Szmal in dem Weinort, dessen herausragendes Bauwerk die katholische Pfarrkirche St. Johannes ist. „Wir fühlen uns hier sehr wohl“, ist Szmal überzeugt, im Sommer 2005 alles richtig gemacht zu haben. Schon nach der ersten Wohnungsbesichtigung entschieden sich Aneta und Sławomir für das neue Zuhause, das offiziell in einem Stadtteil von Östringen liegt.

Fast zeitgleich bezog auch die Familie Chevtsov die Wohnung im Erdgeschoss des schicken Gebäudes und machte das Haus damit zur Handballer-Hochburg. „Das ist ein sehr feiner Mensch“, erinnert sich der Vermieter heute noch gerne an den früheren Löwen-Trainer zurück. Mittlerweile ist die Familie Szmal übrig geblieben, doch das ändert nichts an der guten Meinung des Tiefenbacher Immobilienbesitzers über die Rhein-Neckar Löwen. Der Fan der Bundesliga-Handballer und  Hobby-Musiker träumt sogar davon, einmal bei einem offiziellen Löwen-Event mit seiner Band zu spielen – vielleicht kann er Sławomir ja überreden, bei der ersten Titelfeier die musikalischen Klänge vorzugeben.

Das geräumige Wohnzimmer im ersten Stock des Hauses bestimmt die Farbe rot, was nur ganz zufällig mit der Trikotfarbe des Löwen-Keepers zu tun hat. Weniger zufällig ist, dass der kleine Filip mit einem Torwarttrikot mit der Nummer 1 auf dem Rücken über die Fliesen flitzt. Schließlich strebt der viereinhalbjährige Sohn der Szmals seinem Vater, dem großen Vorbild nach. Filip ist ein Wirbelwind, ständig auf Achse, immer aktiv. Eine Wesensart, die er von seinem Vater in die Wiege gelegt bekam. „Sławomir kann auch nicht still sitzen“, sagt Aneta, die seit 2000 mit ihrer Jugendliebe verheiratet ist. Schon 1994, also vor 15 Jahren, lernten sich die heutigen Ehepartner in Zawadzkie, der Heimatstadt von Sławomir, kennen und lieben. Bis heute sind sie unzertrennlich und machen keinen Schritt mehr alleine. Auch bei den späteren Ortswechseln – bedingt durch die Transfers ihres Mannes – war Aneta immer dabei.

Schnell wird deutlich, dass Filip viel Raum im täglichen Leben von Aneta und Sławomir einnimmt. Der Blondschopf verlangt viel Aufmerksamkeit. „Er kann nicht alleine spielen, also muss immer einer von uns ran“, erklärt Sławomir, der diese Rolle in seiner freien Zeit gerne übernimmt. Oft bauen Vater und Sohn an Lego-Bauwerken herum, aktuell hat Filip besonders viel Spaß daran, einen Leuchtturm immer wieder ab- und aufzubauen. „Das ist immerhin besser, als immer wieder etwas Neues kaufen zu müssen, das würde mit der Zeit sehr teuer“, hat Sławomir nichts dagegen, den Leuchtturm schon wieder von Grund auf zu bauen.

Filip wechselt dabei immer wieder die Sprachen. Neben dem Polnischen beherrscht der Filius auch die deutsche Sprache schon sehr gut. „Er hat irgendwann angefangen, auch deutsch zu sprechen“, erzählt Aneta, die mit ihrem Sohn wie ihr Mann zunächst nur in der Heimatsprache kommunizierte. Filip schnappte aber die deutschen Wörter in seiner Umgebung ebenfalls auf und brabbelt jetzt fein säuberlich getrennt in beiden Sprachen daher, was ihm im Kindergarten natürlich entgegen kommt.

Zunächst aus sicherer Entfernung beobachtet Kitek das Treiben auf dem Teppich im Wohnzimmer, wo Vater und Sohn mit Lego-Bausteinen spielen. Der Kater ist mit neun Jahren schon im gesetzten Alter und hat gerne seine Ruhe. Als Filip noch deutlich jünger war, aber schon genauso agil, machte Kitek einen großen Bogen um das jüngste Familienmitglied – er wollte lieber seine Ruhe haben. „Früher lag er tagsüber auf dem Schrank und ist erst runtergekommen, wenn Filip im Bett war“, schmunzelt Aneta ob des schwierigen Starts der Beziehung zwischen ihrem Sohn und dem Kater. Mittlerweile hat sich Kitek aber an Filip gewöhnt und lässt sich etwas später mit Wohlwollen von dem Kleinen mit etwas Käse füttern.

Mit der Verpflichtung von Sławomir Szmal im Sommer 2005 machten die Löwen übrigens einen doppelten Fang, denn Aneta spielt ebenfalls Handball – und steht beim Damen-Team der SG Kronau/Östringen im Tor. Der gemeinsame Job zwischen den Pfosten war allerdings nicht der Hauptgrund dafür, dass die Beiden zueinander fanden. „Wir haben uns zwar beim Handball kennengelernt, aber da gibt es schon noch eine andere Basis, die Chemie zwischen uns stimmt ganz einfach“, sagt Sławomir.

Das Handballtor spielt in jedem Fall eine zentrale Rolle im Leben Sławomir Szmals und das überrascht nicht, wenn man die Vergangenheit der Szmals kennt. Vater Kaziemierz war bei Stal Zawadzkie, dem Heimatverein von Sławomir, dessen Trainer und coachte seinen Sprössling von der F-Jugend bis ins Senioren-Alter. Und den Impuls, sich ins Tor zu stellen, bekam er von seinem Onkel Andreas Mientus, der früher beim TV Hüttenberg in Deutschland spielte und polnischer Nationalkeeper war. „Andreas war bei den großen Erfolgen der polnischen Nationalmannschaft in den 80er Jahren dabei“, berichtet Sławomir und schwärmt dabei sogar etwas. Dass er selbst am größten Erfolg des polnischen Handballs beteiligt war, vergisst er in dieser Sekunde einfach.

In Zawadzkie hatte es Sławomir nicht leicht, denn mit seinem Vater hatte er einen strengen Trainer. „Er hat von mir immer etwas mehr verlangt“, erinnert sich der Torhüter zurück. Vielleicht ist das der Grund, warum „Kasa“ – das ist der Spitzname von Sławomir Szmal – so gut wurde. „Wir Szmals sind extrem ehrgeizig und können uns nie mit etwas Erreichtem zufrieden geben“, glaubt der 30-Jährige zu wissen, was ihn antreibt. Schon als kleiner Junge schäumte „Kasa“ nach einer Niederlage vor Wut, was sich bis heute nicht geändert hat. „Wenn wir verloren haben, kann ich nachts nie schlafen und sitze vor dem Fernseher“, verrät Sławomir und ist dann froh, im ländlichen Tiefenbach zu leben. „Am nächsten Tag kann man dann ausführlich spazieren gehen und Stress abbauen.“

Der Ehrgeiz und das unbestrittene Talent des polnischen Nationaltorhüters sorgten dafür, dass Szmal nach seiner Jugendzeit schnell für andere Klubs in Polen interessant wurde. 1996 entschied er sich schließlich für den ersten Wechsel seiner Karriere zum Zweitligisten Hutnik Krakau. „Viele haben damals gesagt, es sei ein Fehler, in die Zweite Liga zu gehen, aber für mich war dieser Schritt richtig, denn ich hatte in Krakau viele Spielanteile und konnte hart an mir arbeiten“, sagt „Kasa“. Drei Jahre später folgte der Sprung in Liga eins, als sich Sławomir Wianki Warschau anschloss. Gemeinsam mit Aneta zog er in die polnische Hauptstadt, um endlich um Titel kämpfen zu können. In der Liga reichte es zwar nur zum zweiten Platz, aber nach dem Pokalsieg 2001 konnte er endlich einen Pott in den Händen halten.

Im Sommer 2002 entschied sich Szmal schließlich zu Wisła Płock weiterzuziehen, weil er beim Konkurrenzteam von Wianki bessere Konditionen ausgehandelt hatte, was einen Wechsel ins Ausland angeht. „Ich wollte immer schon in der Bundesliga spielen und bei Wianki wäre es schwer geworden, den Klub bei einem entsprechenden Angebot zu verlassen.“ Nicht nur, weil Onkel Andreas in Deutschland lebte und spielte, sondern auch, weil die Bundesliga im polnischen Fernsehen übertragen wurde, war die HBL das Ziel des Torhüters, der sich mittlerweile schon einen Namen gemacht hatte.

Es war deshalb nicht überraschend, dass mit dem TuS N-Lübbecke im Frühjahr 2003 ein deutscher Verein bei Szmal anklopfte. „Ich habe mich damals mit Aneta beraten und wir sind zu dem Entschluss gekommen, diese Chance zu nutzen“, sagt der 30-Jährige, der auch in Kauf nahm, dass die Ostwestfalen zu dieser Zeit gerade in die Zweite Liga abgestiegen waren. „Ich wollte in die Bundesliga und Lübbecke hat mir gute Perspektiven aufgezeigt.“ Ein knappes Jahr später war der Traum Realität, mit einer Rekordserie von 68:0-Punkten marschierte der TuS durch die Zweite Liga Nord und kehrte mit Szmal in die Beletage zurück.

Noch ehe er sein erstes Spiel in der Bundesliga machen konnte, landete Sławomir aber auf dem Operationstisch. In der Vorbereitung riss er sich ausgerechnet in einem Testspiel gegen Hüttenberg, dem Klub seines Onkels, das Kreuzband. „Ich musste ein halbes Jahr pausieren, das war keine schöne Zeit“, schaut Szmal zurück. Allerdings arbeitete er damals im Rekordtempo an seiner Rückkehr und stand knapp ein halbes Jahr nach der Verletzung wieder zwischen den Pfosten.

Ein paar Monate später, im April 2005, rief Iouri Chevtsov bei Szmal an und überredete ihn, von Lübbecke aus nach Kronau zur SG Kronau/Östringen weiterzuziehen. Erneut war mit dem Wechsel ein Risiko verbunden, denn die Kronauer spielten noch in der Zweiten Liga, als Sławomir zusagte, zu den Badenern zu wechseln. „Iouri hat mir klargemacht, dass die Entwicklung hier steil nach oben gehen würde. Und da wollte ich dabei sein“, begründet der Keeper dem Umzug nach Süddeutschland. Dass die Entscheidung richtig war, wurde schon wenige Wochen später klar, als die SG über die Relegation die direkte Rückkehr in die Bundesliga realisierte.

Seither steht er bei der SG Kronau/Östringen, die inzwischen Rhein-Neckar Löwen heißt, zwischen den Pfosten und ist nach Uwe Gensheimer der dienstälteste Akteur im Kader. Sein Vertrag läuft noch bis Juni 2011 und Szmal denkt im Augenblick auch nicht daran, seine Zelte bei den Badenern abzubrechen. „Ich möchte ganz nach oben kommen und das ist mit den Löwen möglich.“ Ganz wie es seinem Charakter entspricht, steckt er sich die höchsten Ziele: „Ich will Deutscher Meister werden und die Champions League gewinnen.“

Eine Rückkehr nach Polen ist erst in ein paar Jahren geplant, wenn der Schlussmann seine Laufbahn in der Heimat ausklingen lassen möchte. „Das haben wir mit den Kollegen der Nationalmannschaft so besprochen“, erzählt Szmal. Der heimischen Liga könnte eine Rückkehr der Stars weiteren Aufschwung geben. Mariusz Jurasik, der die Löwen in Richtung Kielce verließ, machte im Sommer den Anfang dazu.

Mit seinen polnischen Landsleuten erlebte Szmal die bisherigen Sternstunden seiner Karriere. Im Januar und Februar 2007 erreichten die Polen überraschend das Finale der Handball-WM in Deutschland und mussten sich erst dort Deutschland geschlagen geben. „Leider haben wir im Endspiel die schlechteste Turnierleistung abgeliefert“, sagt „Kasa“, für den das Endspiel in Köln zwar das bisher größte Spiel seiner Laufbahn war, aber nicht das emotionalste.

Ähnlich wie Deutschland in der Vorschlussrunde gegen Frankreich hatten die Polen im Halbfinale ein Handball-Drama gegen Dänemark zu überstehen. Nach zweimaliger Verlängerung gewannen Szmal & Kollegen in Hamburg mit 36:33. „Das ist so ein Spiel, in dem man zwischenzeitlich zu Boden sinkt und Gott bittet, dass man diese Partie gewinnen möge“, blickt Sławomir zurück. Die Sekunden nach Spielende sind diese Momente, wofür ein Sportler trainiert und lebt. Trotz der finalen Niederlage gegen die Deutschen wurde die gesamte Mannschaft direkt nach der WM mit dem Goldenen Verdienstkreuz der Republik Polen ausgezeichnet.

Im Januar und Februar 2009 bestätigten die Polen mit Sławomir zwischen den Pfosten bei der WM in Kroatien mit dem Gewinn der Bronzemedaille, dass sie bei großen Turnieren jetzt ständig zum Favoritenkreis gehören. „Die Leistung war stark, weil wir ohne den verletzten Grzegorz Tkaczyk auskommen mussten“, ist Szmal überzeugt, mit dem Mannschaftskollegen von den Rhein-Neckar Löwen noch bessere Chancen gehabt zu haben.

Im Augenblick muss Szmal im Klub erneut ohne Tkaczyk auskommen, doch das hindert den Keeper nicht daran, ehrgeizige Ziele zu formulieren. „Wir können auch in diesem Jahr etwas Großes erreichen, weil wir eine starke Mannschaft haben“, ist „Kasa“ überzeugt.

Das Verhältnis zu Henning Fritz beschreibt Szmal übrigens als sehr kollegial. „Als Henning damals zu den Löwen kam, wusste ich nicht, wie sich das entwickeln würde, aber ich wurde deutlich überrascht“, bilden die Keeper ein starkes Duo und den Rückhalt der Rhein-Neckar Löwen. Das soll auch gegen den HSV Hamburg (Freitag, 19:45 Uhr) wieder so sein.