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„Gudmis Geist schwebt durch die Halle“ (MM)

Handball: Löwen-Abwehrchef Oliver Roggisch spricht über die Saisonvorbereitung, seine Rolle als Routinier und den Neuanfang des Bundesligisten

MANNHEIM. Er schont weder sich noch seine Gegner: Oliver Roggisch. Der Abwehrchef des Handball-Bundesligisten Rhein-Neckar Löwen kennt keinen Schmerz – auch nicht in der Saisonvorbereitung. Heute (19 Uhr/Östringer Stadthalle) bestreiten die Badener ein weiteres Testspiel gegen die Aufstiegsmannschaft der SG Kronau/Östringen aus der Saison 2002/03.

Oliver Roggisch, die Olympischen Spiele laufen gerade, die deutsche Mannschaft ist nicht dabei. Haben Sie den Schmerz überwunden?

Oliver Roggisch: Das dachte ich, aber als ich in der vergangenen Woche noch einmal die Bilder der Eröffnungsfeier von Peking 2008 gesehen habe, tat das richtig weh.

Statt Olympia ging es für die Löwen am Freitag nach Osthofen zum Testspiel. Heute steht die nächste Begegnung an. Welche Aussagekraft haben solche Partien?

Roggisch: Erst einmal ist es schön, vor Zuschauern zu spielen. Wir trainieren seit etwas mehr als zwei Wochen unglaublich hart unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Vor Publikum macht die Bewegung natürlich deutlich mehr Spaß.

Im vergangenen Sommer kamen Sie mit weniger Gewicht aus dem Urlaub zurück. Haben Sie wieder ein paar Kilos verloren?

Roggisch (lacht): Alle schmunzeln, wenn ich sage, ich hätte schon wieder abgenommen und jetzt ginge es an den Feinschliff. Nein, Spaß beiseite. Es ist doch klar, dass ich mit 34 Jahren mehr für meine Fitness tun muss als andere. Das spüre ich – und deshalb achte ich auch darauf.

Chefcoach Gudumundur Gudmundsson weilt bei den Olympischen Spielen. Dennoch dürften die ersten Wochen kein Zuckerschlecken gewesen sein.

Roggisch: Das ist richtig. Gudmis Geist schwebt bei jeder Einheit durch die Halle. Der Trainingsplan ist von ihm geschrieben, seine Handschrift ist klar erkennbar und der Plan wird von Tomas Svensson toll umgesetzt. Wir ziehen alle voll mit und ich muss Tomas ein riesiges Kompliment aussprechen. Er hat noch nie eine Mannschaft alleinverantwortlich betreut und macht das wirklich sehr, sehr gut. Wir haben viel Spaß. Tomas geht insbesondere auf die jungen Spieler zu, arbeitet mit ihnen – er macht das einfach großartig.

Stichwort junge Spieler: Wie sehen Sie Ihre Rolle in der Mannschaft? Einige Jungs sind 15 Jahre jünger als Sie.

Roggisch: Ich war ja auch mal jung und weiß aus eigener Erfahrung ganz genau, wie wichtig und schön das ist, wenn jemand in einer Bundesligamannschaft da ist, der den jungen Spielern ein wenig zur Seite steht. Ich versuche, diese Rolle einzunehmen, Uwe Gensheimer als Kapitän oder Bjarte Myrhol ebenso. Wir haben immer ein offenes Ohr, stehen bei Fragen zur Verfügung und geben gerne Tipps. So war es bei mir früher auch. Man muss es aber nicht übertreiben, die Jungs können ja auch Handball spielen. Sonst wären sie nicht bei uns. Grundsätzlich gilt: Jeder kann jedem helfen, jeder ist mündig – auch die Jungen. Nur so funktioniert eine Mannschaft.

Wer wurde Ihnen in jungen Jahren zur Seite gestellt?

Roggisch: In meinen ersten Bundesligajahren beim TuS Schutterwald habe ich mir viel von Martin Heuberger abgeschaut. Danach war diese Lernphase noch lange nicht abgeschlossen. Ich war schon 23 Jahre alt und Nationalspieler, als ich zu TuSEM Essen kam. Trainer Iouri Chevtsov stellte mir damals Dimitri Torgovanov zur Seite, wovon ich unheimlich profitierte. Iouri sagte nur: Pino passt auf dich auf und kümmert sich um dich. So war es dann auch – und dieses Wissen möchte ich jetzt gerne weitergeben.

Neben Trainer Gudmundsson weilen noch fünf Spieler, darunter vier Neuzugänge, bei den Olympischen Spielen. Inwieweit erschwert das die Saisonvorbereitung?

Roggisch: Es trifft ja nicht nur uns, weshalb es keinen Grund gibt, sich benachteiligt zu fühlen. Natürlich ist es aber schwierig, sich zu finden, weil mit Alexander Petersson, Gedeon Guardiola und Kim Ekdahl Du Rietz drei komplett neue Rückraumspieler wegen Olympia zurzeit nicht da sind.

Der Umbruch ist groß, der Verein hat eine deutliche Kurskorrektur vorgenommen, die Vorbereitung gestaltet sich schwierig. Verbietet es sich, von Saisonzielen zu sprechen?

Roggisch: Wir wollen das Gesicht und das Image der Löwen verändern. In den vergangenen Jahren haben wir sehr viel in den Medien gestanden und es wurde sehr viel geredet. Das kam aber nicht immer von der Mannschaft. Wir wollen bescheidener werden und definieren unsere Ziele intern. Wenn wir uns öffentlich dazu äußern, machen wir uns selbst nur zusätzlichen Druck.

Aber ohne ein bisschen Druck geht es im Leistungssport doch nicht.

Roggisch: Das stimmt, aber den machen wir uns schon selbst. Da muss sich niemand Sorgen machen. Wir wollen uns nur nicht mehr öffentlich so weit aus dem Fenster lehnen, weil wir dann darauf festgenagelt werden. Das haben wir in den vergangenen Jahren gemerkt. Und dann bekommt alles plötzlich einen negativen Touch, obwohl man realistisch gesehen eigentlich eine ordentliche Saison gespielt hat.

Von Marc Stevermüer