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Mit Glück und purem Willen: Deutschland im EM-Finale (RNZ)
Dank einer Energieleistung schlugen die deutschen Handballer Norwegen mit 34:33 nach Verlängerung und sind im EM-Finale
Die deutschen Handballer hatten viel Glück, aber noch mehr Willen und stehen deshalb am Sonntagabend um 17.30 Uhr (live in der ARD) im Finale der Europameisterschaft in Polen. In einem unglaublich spannenden Spiel schlug die Auswahl des Deutschen Handball-Bundes (DHB) gestern Norwegen im Halbfinale mit 34:33 (27:27, 14:13) nach Verlängerung. Gegner im Endspiel ist Spanien, das Kroatien mit 33:29 besiegte.
Norwegen hat allerdings Protest gegen den Sieg der Deutschen eingelegt. Demnach sollen in den letzten fünf Sekunden der Verlängerung zwei Deutsche regelwidrig mit gelbem Torwartleibchen auf dem Parkett gestanden haben. Die Europäische Handball-Föderation will den Einspruch heute um 9 Uhr verhandeln, bis 11 Uhr soll ein Urteil vorliegen.
Finn Lemke stand in den Katakomben der Tauron-Arena in Krakau, und auch mehr als 15 Minuten nach dem Ende der Partie zitterte der Abwehrchef der deutschen Mannschaft an Armen und Beinen. „Ich habe einen Adrenalinüberschuss“, sagte der 23-Jährige mit leiser Stimme. Dem Spieler des SC Magdeburg war anzusehen, was es bedeutet, ein Halbfinale einer EM zu spielen. Lemke befand sich gedanklich noch im Tunnel, obwohl die Emotionen ihn schon hätten übermannen sollen. „Ich habe nur noch daran gedacht, dass hier keiner mehr an mir vorbeikommt. Und als plötzlich Harald Reinkind vor mir stand, wusste ich, dass wir unser Territorium verteidigen müssen.“
Die Deutschen hatten ein Spiel gewonnen, das sie nach den Gesetzen des Handballs nicht hätten gewinnen dürfen. Zu viele Dinge hatten über 70 Minuten nicht funktioniert. Im Angriff wirkten die Überflieger des Turniers unentschlossen, teilweise schien ihnen der Mut abhanden gekommen zu sein. Und im Tor war Andreas Wolff diesmal kein Erfolgsfaktor, trotz einer richtig guten Arbeit seiner Vorderleute blieb der Keeper hinter den eigenen Ansprüchen zurück.
In der regulären Spielzeit lagen die Schützlinge von Dagur Sigurdsson sechs Minuten vor dem Ende zurecht mit zwei Toren (24:26) hinten, doch die junge und unerfahrene Mannschaft überzeugte in dieser Phase mit einer Eigenschaft, die nicht schön, aber beeindruckend war. Purer Wille verhinderte das Aus gegen die Norweger – und die Kaltschnäuzigkeit von Rune Dahmke, der 19 Sekunden vor Schluss einen schweren Wurf von außen zum 27:27 ins Netz hämmerte. In der Schlussphase der regulären Spielzeit hatten die Deutschen Glück, denn die starken Norweger hatten mehrfach die Chance, entscheidend davonzuziehen.
Den Einzug ins Endspiel machten aber die Deutschen in der zehnminütigen Verlängerung klar. Plötzlich war etwas mehr Sicherheit in die Aktionen der DHB-Auswahl zurückgekehrt, die im Rückraum mehr Mut zeigte und deshalb mit dem Sieg belohnt wurde. Neben dem nervenstarken Tobias Reichmann, der alle seine zehn Würfe – sieben davon von der Siebenmeterlinie – traf, wurde ein Spieler zum Matchwinner, der das Turnier in Polen bis zum vergangenen Sonntag von der eigenen Couch aus verfolgt hatte. Kai Häfner erzielte drei seiner fünf Tore in der Verlängerung, das entscheidende zum 34:33-Erfolg vier Sekunden vor dem Ende. Häfner jubelte erst gemeinsam mit seinen Kollegen, danach entschwand er zur Dopingkontrolle. Deshalb konnte sich der Linkshänder nicht zu seinen Emotionen und seiner Leistung äußern, die bemerkenswert unerschrocken war.
Zu seinem Teamkollegen hatte auch Lemke nicht viel zu sagen. „Hat der gut gespielt?“, fragte der Abwehrchef in die Runde, als er auf den Auftritt Häfners angesprochen wurde. „Ich habe nicht gesehen, was wir im Angriff gemacht haben, aber der war bestimmt gut“, sagte Lemke entschuldigend.
Wenn sich seine Kollegen im Angriff gegen die Norweger mühten, war der Magdeburger nur mit seiner Aufgabe im Deckungsverbund beschäftigt. „Das war das intensivste Spiel, das ich je gespielt habe“, sagte Lemke. Das Adrenalin hatte immer noch die Oberhand über seinen Körper.
Von Michael Wilkening