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„Die größte Sportsensation der vergangenen 20 Jahre“

Europameister Hendrik Pekeler über den Erfolg in Polen

Hendrik Pekeler ist zurück bei den Rhein-Neckar Löwen. Am gestrigen Donnerstag absolvierte der Europameister seine erste Trainingseinheit nach dem EM-Erfolg von Polen. Viel Zeit zur Erholung bleibt dem Kreisläufer nach dem Titelgewinn unterdessen nicht, bereits heute heißt es wieder Tasche packen. Die Nationalmannschaft trifft sich in Nürnberg zum All-Star-Game. (19:45 Uhr SPORT1 live). Für ein ausführliches Interview nahm sich Hendrik Pekeler dann allerdings doch noch die Zeit.

Hendrik, du bist Europameister: Wo hängt deine Goldmedaille?

Hendrik Pekeler: Ich habe mir mein Final-Trikot von allen unterschreiben lassen. Das werde ich in einem Rahmen zusammen mit der Medaille aufhängen.

Wann hast du realisiert, dass ihr euch den Titel geholt habt?

Pekeler: Zum ersten Mal habe ich das so wirklich bei der Ankunft in Berlin an der Max-Schmeling-Halle verstanden. Dieser Empfang mit 10 000 Menschen war unglaublich. Da habe ich realisiert, was wir ausgelöst haben und was da in Polen passiert ist.

Was war denn das Schwierigste: die acht Spiele in zwei Wochen, die mentale Anspannung oder die Feier?

Pekeler (lacht): Der härteste Tag war der Montag nach dem Finale. Wir haben echt nicht viel geschlafen…

Ihr seid als totaler Außenseiter nach Polen gefahren. Wie ist dieser Titel einzuordnen?

Pekeler: Das ist eine der größten Sportsensationen der vergangenen 20 Jahre. Man muss sich nur mal die Konstellation ansehen: Wir sind eigentlich eine Mannschaft, die sich noch im Aufbau befindet. Wir sind jung. Wir mussten Ausfälle von Leistungsträgern vor dem Turnier verkraften. Wir mussten Ausfälle während des Turniers verkraften. Wir sind unerfahren. Mit Rune Dahmke, Tobias Reichmann und mir standen in den letzten drei Spielen gegen Dänemark, Norwegen und Spanien nur drei Jungs im Kader, die in dieser Saison in der Champions League aktiv sind. Und trotzdem haben wir den Titel gewonnen. Was für eine unglaubliche Geschichte…

Wann habt ihr ernsthaft an das eigentlich Unmögliche geglaubt?

Pekeler: Nach dem letzten Hauptrundenspiel gegen Dänemark. Da hatten wir einen großen Gegner besiegt und wussten: Wir können wirklich jeden schlagen und jetzt sind es nur noch zwei Siege bis zum Titel.

Gab es ein Schlüsselerlebnis in diesem Turnier, mit dem praktisch der Wahnsinnslauf zum Titel begann?

Pekeler: Die zweite Halbzeit gegen Schweden. Wir lagen zur Pause mit vier Toren zurück, hatten davor das erste Vorrundenspiel gegen Spanien verloren. Aber dann hatten wir uns nach der Abwehrumstellung auf eine 4:2-Formation gefunden. Im Prinzip haben wir bei der EM die ersten eineinhalb Spiele gebraucht, um
eine vernünftige Abwehr hinzustellen.

Auch die nachnominierten Julius Kühn und Kai Häfner brachten sofort Leistung.

Pekeler: Sie haben unheimlich gut gespielt. Kai hat als Torschütze geglänzt, Julius hat richtig Power in die Abwehr gebracht und wichtige Tore im Halbfinale gegen
Norwegen gemacht. Julius und Kai haben sofort gezeigt, dass sie zu dieser Mannschaft gehören und haben sofort Verantwortung übernommen. Es war sensationell, wie sie sich integriert und wie wir sie aufgenommen haben.

Empfindet man in der Stunde des Triumphes auch Mitleid mit den Löwen-Kollegen Uwe Gensheimer und Patrick Groetzki, die verletzungsbedingt nicht dabei sein konnten?

Pekeler: In einer ruhigen Minute habe ich an alle Jungs gedacht, die wegen einer Verletzung nicht dabei waren. Ich hoffe, dass wir in Zukunft noch häufiger die Chance haben, so etwas zu erleben.

Wie tickt eigentlich Dagur Sigurdsson?

Pekeler: Er ist kein Mann großer Worte, sagt wirklich nicht viel. Wir gucken 20 Minuten Video vor dem Spiel, schauen uns Auslösehandlungen, Stärken und Schwächen des Gegners an, ein paar Sequenzen zu jedem einzelnen Spieler an. Das war’s -und dann weiß jeder, was zu tun ist.

Ihr habt euch direkt für Olympia und die WM qualifiziert. Das ist mehr als ein schöner Nebeneffekt, oder?

Pekeler: Auf jeden Fall: Wir haben uns nach dem Final-Einzug unglaublich gefreut, dass wir diese WM-Play-offs nicht spielen müssen. Zwei Spiele nach der Bundesliga-Saison noch dranhängen, das braucht kein Mensch. Und durch den Wegfall des Olympia-Qualifikationsturniers sind es noch einmal drei Pflichtspiele
weniger. Mit Blick auf die Regeneration ist das natürlich super.

Dagur Sigurdsson war sehr bescheiden vor der EM, sprach von Rang 9 bis 12. Muss man jetzt die Ziele korrigieren?

Pekeler: Das sehe ich nicht so. Wir haben Großes erreicht, das stimmt. Aber wir haben auch am absoluten Limit gespielt und das entsprechende Glück gehabt. Viele Begegnungen haben wir knapp gewonnen. Eine Torwartparade weniger, ein Abpraller mehr beim Gegner – und schon hätte alles ganz anders laufen können. Ich denke, dass jetzt ein wenig Demut angebracht ist und man nicht immer Medaillen erwarten sollte. Wir sind immer noch eine junge Mannschaft.

Was bedeutet dieser Titel für den Handball?

Pekeler: Ich freue mich für Löwen, weil es ihnen jetzt hoffentlich leichter fällt, einen neuen Hauptsponsor zu finden. Der Handball ist in aller Munde, die Einschaltquoten bei der EM sprechen für sich. Ich hoffe, dass sich jetzt wieder mehr Sponsoren und Zuschauer für diese Sportart begeistern.

Gibt dir der Titel einen Schub oder bist du nur noch müde?

Pekeler: Direkt nach dem Turnier war ich einfach müde. Aber natürlich gibt dieser Titel mir auch einen unheimlichen Schub. Ich bin gespannt, welche Signale mein Körper in den nächsten Wochen sendet.

Löwen-Trainer Nikolaj Jacobsen meint, dass die EM dir aufgrund der Verletzungspause zu Saisonbeginn sehr gut getan habe.

Pekeler: Auf jeden Fall. Ich habe acht Spiele auf hohem Niveau bestritten, war immer gefordert, bekam auch im Angriff meine Spielzeit. Das war unglaublich wichtig.

Wie bewertest du eure Ausgangssituation in der Bundesliga?

Pekeler: Wir wollen Meister werden und müssen gut durch den Februar kommen mit den Spielen gegen Göppingen und Flensburg. Im Prinzip ist die Situation bei den Löwen wie bei der EM nach unserer Vorrunden-Niederlage gegen Spanien. Wir mussten einfach alles gewinnen.

Vor dem Liga-Start geht es in der Champions League am kommenden Donnerstag in Frankfurt noch gegen Skopje.

Pekeler: Eine starke Mannschaft, im Hinspiel haben wir uns unter Wert verkauft. Aber bei Skopje sind viele Spanier dabei, das ist vielleicht ein gutes Zeichen. (lacht)

Fotos: Michael Heuberger