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28:35 gegen Skopje: Für die Löwen war’s ein Handball-Abend zum Vergessen (RNZ)

Die Löwen gehen in der Königsklasse mit 28:35 gegen Skopje unter.

St. Leon/Rot. Die Blicke leer, die Schultern hängend, die Arme in die Hüfte gepresst. Nein, glücklich sahen sie am späten Samstagabend nicht aus, die Spieler der Rhein-Neckar Löwen. Eher fassungslos, am Boden zerstört, gezeichnet von einem 60-minütigen Handball-Drama. Denn das Endspiel um den zweiten Platz in der Gruppe C der Champions League entwickelte sich zu einem Scheibenschießen, zum Tag des offenen Löwen-Tors. Mit sage und schreibe 28:35 (13:20) gingen die Gelben gegen Vardar Skopje unter, waren völlig chancenlos. Stimmt, irgendwie schwer vorstellbar, aber genau so war’s.

Und auch die Kommandobrücke litt mit. Lars Lamadé vor allem. Nach der Schluss-Sirene lehnte der Geschäftsführer im Sportzentrum Harres über einem Geländer. Sein Handy hielt er in der Hand, tippte und tippte. Sprachlos war er, aber nur kurz, dann redete der SAP-Mann nämlich doch. Von einem „kollektiven Blackout“, von einem „ganz, ganz schlechten Spiel“, ehe er schulterzuckend feststellte: „Ich habe wirklich noch kein Löwen-Spiel gesehen, in dem wir so oft am Tor vorbeigeworfen haben wie heute.“

Der Löwen-Plan war klar: Der Heimvorteil sollte genutzt werden, der entscheidende Trumpf im Kampf um den zweiten Rang sein. Doch dieser Masterplan wurde schon rund eine Stunde vor Spielbeginn durchkreuzt. Denn letztlich war es für die Badener alles, nur kein Heimspiel: Rund zweihundert Skopje-Fans hatten sich unter die Löwen-Anhänger gemischt und die entfachten im ausverkauften Harres einen Höllenlärm. Mit Tröten, mit Pfeifen, mit allem, was eben so dazugehört. Musste man vielleicht sogar Angst vor Übergriffen haben? Eher nicht. Die Löwen hatten vorgesorgt. Mit einem Großaufgebot an Sicherheitskräften und unzähligen Polizisten. Ein Hochsicherheitsspiel – Fußball-Verhältnisse beim Handball.

Und die Löwen schienen sich von der hitzigen Atmosphäre anstecken zu lassen. Denn es war erschreckend, was die Besten aus dem Südwesten auf die Platte brachten. Es fehlten die Ideen, die klaren Aktionen. Regelrecht vorgeführt wurden sie. Hinten sowieso. Das hing allerdings auch mit einer Verletzung zusammen: Bereits in der dritten Minute musste Gedeon Guardiola runter. Der spanische Kreistorero war auf seine linke Schulter gestürzt. Die Diagnose: ausgekugelt. An weitermachen war nicht zu denken.

Ausgerechnet er, ausgerechnet der Abwehrchef. Ohne den baumlangen Hünen im Zentrum glich das eigentliche Prunkstück der Löwen eher einem Hühnerhaufen, der von den Mazedoniern Angriff für Angriff aufgescheucht wurde. In Zahlen: 0:3 (7.), 3:7 (11.), 8:15 (22.), 16:26 (37.), 20:29 (47.).

Frustrierende Zwischenstände, für die insbesondere ein Mann sorgte: Arpad Sterbik, 35, der Altmeister zwischen den Vardar-Pfosten. Unglaublich war’s, was der alles entschärfte. Löwen-Hexer Niklas Landin konnte da diesmal nicht mithalten.

Irgendwie erinnerte das Ganze schwer an Göppingen, an die kürzliche Löwen-Gala im Derby. Nur andersherum. Aus den Helden wurden Opfer. Auch Nikolaj Jacobsen wirkte ratlos, probierte jedoch alles: Bereits in der 18. Minute bat der Löwen-Trainer zur zweiten Auszeit. Doch diesmal hätten ihm wohl selbst zehn Auszeiten nichts gebracht.

Alles in allem 60 Handball-Minuten zum Vergessen. Aber so einfach ist das nicht. Vor allem für Jacobsen nicht. Der musste reden, sich erklären. Sein Ansatz: „Das Hauptproblem war die Verletzung von Gedeon. Du kannst keine Abwehr stellen, wenn du mit Stefan Kneer nur noch einen Spieler hast, der im Innenblock stehen kann.“ Nachvollziehbar. Und beunruhigend. Schließlich droht Guardiola, der erst heute genauer untersucht wird, länger auszufallen. Für die Löwen ist das eine Hiobsbotschaft, denn es stehen schwere Wochen an, echte Zerreißproben. Nach der vermeintlich leichten Heimaufgabe am Dienstag gegen Bietigheim (19 Uhr), reisen am Samstag die Flensburger in die SAP Arena und am nächsten Mittwoch folgt dort der Pokal-Knaller gegen den THW Kiel.

Ein Monsterprogramm. Jacobsen nickt, leicht gequält tut er das: „Da gilt es nun eine Lösung zu finden.“ Ist Bjarte Myrhol vielleicht eine? Der Kreisläufer, der durchaus auch im Innenblock seinen Mann stehen kann, hat große Fortschritte gemacht. Sein Knie ist wieder belastbar. Allerdings noch nicht voll: „Möglicherweise wird Bjarte uns schon in dieser Woche wieder im Angriff helfen können, für Abwehrarbeit ist es jedoch noch zu früh.“

Im Klartext: Jacobsen muss sich etwas einfallen lassen, ein neu formiertes Bollwerk muss her. Und zwar schnell. Das Dumme daran: Viel Zeit zum Einspielen bleibt nicht. „In der Bundesliga hast du doch nie Zeit“, grummelt Jacobsen, „aktuell trainieren wir so gut wie gar nicht, wir sind ja ständig am spielen.“ Im schlimmsten Fall, also falls Guardiola wochenlang ausfallen sollte, müssten die Löwen möglicherweise nochmals nachlegen und einen vereinslosen Spieler verpflichten. Oder sogar Oliver Roggisch, den eigenen Co-Trainer, reaktivieren. Die Lufthoheit im Zentrum hätte der lange Blonde nach wie vor. Lamadé wollte gestern zu derartigen Gedankenspielen nichts sagen. Nur so viel: „Wir werden uns erst nach der Untersuchung äußern.“

Klar ist: Ohne Guardiola, den „besten Abwehrspieler der Wüsten-WM“ (Jacobsen), kann der Tanz auf drei Hochzeiten rasch ausgetanzt sein.

Rhein-Neckar Löwen: Schmid 6/4, Gensheimer 3, Sigurmannsson 3, Larsen 5, Reinkind 2, Petersson 3, Groetzki 5, Ekdahl du Rietz 1.

Von Daniel Hund