Veröffentlichung:

„Das war wahrscheinlich der beste Tag meines Lebens“

Löwen-Star Kim Ekdahl Du Rietz über Afrika, die Löwen und seinen zukünftigen Arbeitgeber

Fünfeinhalb Jahre hat Kim Ekdahl Du Rietz für die Rhein-Neckar Löwen gespielt, zahlreiche Titel gesammelt und einen Moment erlebt, von dem er meint, er könne sogar der schönste seines Lebens gewesen sein. 

Kim, während deiner Auszeit hast du 17 Tage lang Liberia besucht und darüber einen Reisebericht geschrieben, der sehr detailliert das Leben der Leute dort und deine eigenen Erfahrungen beschreibt. Wie bist du darauf gekommen?

Kim Ekdahl Du Rietz: Ich wollte etwas runterkritzeln und habe mir das ganz schön vorgestellt, einen Reisebericht zu schreiben. Das ziellose Herumreisen ist ja auf die Dauer auch nicht erfüllend. Man muss ja etwas zu tun haben – und da fand ich das mit dem Reisebericht ganz spannend und habe das einfach mal versucht.

Lass’ uns teilhaben an deinen Erfahrungen. Warum bist du ausgerechnet nach Liberia beziehungsweise in die  Hauptstadt Monrovia gereist?

Ekdahl Du Rietz: Liberia ist sicherlich kein Land, in das man einfach mal nur so reist. Aber eine wirklich gute Freundin  aus Kindheitstagen wohnt dort. Ihr Papa ist Liberianer und mittlerweile sogar Außenminister des Landes. Und ich wollte sie einfach mal besuchen. Es hat sich also angeboten. Außerdem lebt Momi Flemister dort. Er hat auch mal für meinen Heimatverein Lugi Lund gespielt und ist später zur HSG Nordhorn gewechselt. Momi war so etwas wie ein Kindheitsidol für mich und er ist der Onkel meiner Freundin. Da habe ich die Chance genutzt, mich auch noch mit ihm zu treffen.

Kriminalität, Armut, Unsicherheit – über Liberia hört man selten schöne Dinge. Kannst du diese Vorurteile bestätigen?

Ekdahl Du Rietz: Ich frage mich, ob die Leute überhaupt Vorurteile über Liberia haben. Die meisten kennen das Land wahrscheinlich nicht oder wissen zumindest nicht, wo es liegt. Ich wusste, dass es dort in den 90er Jahren und Anfang dieses Jahrtausends einen Bürgerkrieg gegeben hat. Und mir war auch bekannt, dass ich da in eines der ärmsten Länder der Welt reise. Ich bin schon in Ländern gewesen, in denen es den Menschen nicht so gut geht wie zum Beispiel in Westeuropa.

Aber…

Ekdahl Du Rietz: Liberia war noch einmal ein weiterer Schritt. Allerdings wusste ich, auf was ich mich da einlasse und wurde deshalb auch nicht negativ überrascht. Im Gegenteil: Ich habe mich sehr willkommen und auch sehr sicher gefühlt. Klar passiert da immer mal wieder etwas. Man sollte halt nachts nicht überall rumrennen, aber das weiß man ja. Ich musste auf jeden Fall nicht in ständiger Angst leben.

Hat dich etwas überrascht?

Ekdahl Du Rietz: Wenn ich im Ausland unterwegs bin, fehlt mir hin und wieder ein Cappuccino oder ein Kaffee, so wie wir ihn kennen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich dieses Bedürfnis in Liberia stillen kann, habe dort aber recht schnell ein Hotel gefunden, in dem das ging.

Was für Leute trifft man dort?

Ekdahl Du Rietz: Ich habe eigentlich immer die gleichen Gesichter gesehen. In den teuren Hotels Monrovias verkehren die Reichen und natürlich die Weißen. Die normalen Menschen von der Straße oder die Ärmeren trifft man dort natürlich nicht. Das ist nicht ihre Welt.

In die du aber auch eingetaucht bist?

Ekdahl Du Rietz: Ja, ich habe ein Unicef-Projekt in West Point, einem der bekanntesten Slums in Monrovia, besucht. Da musste ich aufpassen, meinen Kopf an den runterhängenden Blechdächern nicht aufzuschlitzen. Als ich gesehen habe, unter welchen Umständen und wie zusammengequetscht die Menschen dort leben, konnte ich mir kaum erklären, wie man hier Ebola unter Kontrolle bekam. Das war ein Wunder.

Inwieweit hat dich dieses Erlebnis geprägt?

Ekdahl Du Rietz: Ich bin kein Freund davon, ein eigenes Negativerlebnis mit etwas Schlimmeren zu vergleichen. Das sollte man nicht machen – und das ist mir zu klischeehaft. Ich bevorzuge eher eine andere Herangehensweise und versuche mich immer mal wieder daran zu erinnern, was ich da erlebt habe. Denn wenn die eigene Welt ein bisschen größer ist und man seinen Horizont erweitert, ändert sich der Blickwinkel auf viele Dinge im Leben.

Wie sicher warst du dir eigentlich vor einem Jahr, dass du nie wieder Handball spielen wirst? Du hattest das eigentlich mehr oder weniger ausgeschlossen.

Ekdahl Du Rietz: Ich bin mir im Leben niemals sicher. Aber das mit dem Karriereende war wirklich eine Geschichte, bei der ich voller Überzeugung gesagt habe: Zu fast 100 Prozent werde ich nicht mehr spielen. Heute vor einem Jahr wäre das für mich auch unvorstellbar gewesen. Aber es ist doch auch schön, im Leben von sich selbst überrascht zu werden. Das mag ich.

Was spürst du mittlerweile, wenn du in der Trainingshalle bist?

Ekdahl Du Rietz: Es fühlt sich richtig an. Eigentlich genau so, als sei ich nicht weg gewesen. Ich habe Freude, sonst  würde ich es nicht machen.

Du sagtest kurz nach deiner Rückkehr: „Ich habe mich mehr als Handballer gefühlt, als ich keinen Handball gespielt habe.“ Wie meinst du das?

Ekdahl Du Rietz: So lange ich Handball gespielt habe, habe ich meine Identität eher außerhalb des Sports gesucht. Der Handball war ja sowieso immer da. Erst nachdem ich aufgehört habe, ist mir bewusst geworden, dass ich ein Teil dieser Szene bin. Und es ist schwer, von etwas loszukommen, was man 20 Jahre lang gemacht hat.

Wie oft haben die Löwen versucht, dich während deiner Auszeit zum Comeback zu überreden?

Ekdahl Du Rietz: Es gab schon vor meiner Rückkehr mehrere Versuche, mich zu holen. Irgendeiner aus dem Verein hat sich eigentlich immer mal wieder gemeldet. Als ich gelesen habe, dass Gedeón Guardiola sich schwerer verletzt hat, war mir allerdings klar, dass ich jetzt nicht absagen kann, sondern in den Zug springen und den Jungs helfen muss.

Als du im März zu den Löwen zurückgekommen bist, war dir da klar, dass du über die Saison hinaus weiterspielen wirst?

Ekdahl Du Rietz: Nein, das war nicht klar. Ich habe mit dem Gedanken gespielt und es war auch sehr wahrscheinlich. Aber eine Entscheidung gab es nicht. Für mich stand lediglich fest, dass ich etwas Neues in meinem Leben brauche und deswegen auch definitiv nicht bei den Löwen bleiben werde, wenn ich weiterspiele. Wichtig ist für mich, dass ich keinen Stillstand spüre. Ich brauche Veränderung, damit ich mich entwickle.

Ab nächster Saison setzt du deine Karriere bei Paris Saint-Germain fort. Wäre für Dich auch etwas anderes denkbar gewesen?

Ekdahl Du Rietz: Grundsätzlich kann ich mir vorstellen, überall hinzugehen. Wichtig ist für mich der Abenteuer-Faktor. Aber natürlich finde ich es geil, ab Sommer für die größte Mannschaft im Welt-Handball zu spielen. Das ist eine einzigartige Möglichkeit und ja auch irgendwie eine krasse Geschichte. Ich war ja schon halb in Rente und gehe jetzt zu diesem unglaublichen Verein. Als das Angebot kam, stand für mich relativ schnell fest, dass ich das machen will.

Weil die Kombination aus Stadt und Verein einfach zu reizvoll ist?

Ekdahl Du Rietz: Ja, so kann man das formulieren. Ich habe zu meinen Kumpels nach meinem Karriereende gesagt. Okay, es gibt wahrscheinlich zwei Mannschaften, bei denen ich mir vielleicht noch einmal vorstellen könnte, doch wieder Handball zu spielen: FC Barcelona und Paris.

Es hat für dich mit den Löwen nie gereicht, sich für das Final Four der Champions League zu qualifizieren. Holst du das jetzt mit Paris nach?

Ekdahl Du Rietz: Ich glaube, die Chancen stehen gut. Es war und ist ein Traum von mir, dort in Köln mal zu spielen. Ich hätte es lieber mit den Löwen gemacht. Die emotionale Bindung zu diesem Verein wird etwas Einzigartiges bleiben. Es wird schwer, das zu toppen. Ich glaube kaum, dass das möglich ist.

Du bist fünfeinhalb Jahre bei den Löwen gewesen. Das widerspricht eigentlich deinem Naturell.

Ekdahl Du Rietz: Das mag sein. Damals habe ich mir aber keine Gedanken darüber gemacht, ich bin einfach hin.

Warum sind es fünfeinhalb Jahre geworden?

Ekdahl du Rietz: Weil ich mich hier einfach sehr wohl gefühlt habe.

Haben sich deine Hoffnungen auch erfüllt?

Ekdahl Du Rietz: Ich bin ohne Hoffnungen hierhergekommen. Ich bin als 22-Jähriger nach Frankreich zu HBC Nantes gewechselt und habe mir damals auch keine großen Gedanken gemacht. Ich habe meinen Vertrag unterschrieben, habe meine Tasche gepackt und bin gefahren. Und hier bei den Löwen war es genauso.

Gibt es im Rückblick zumindest so etwas wie den schönsten Augenblick bei den Löwen?

Ekdahl Du Rietz: Ja, das Heimspiel gegen Kiel in der vergangenen Saison. Unser Titelrivale SG Flensburg-Handewitt verlor in Göppingen, wir wurden in einer ausverkauften Halle gegen den THW vorzeitig Meister. Es folgte eine spontane Party. Das war einfach schön und in emotionaler Hinsicht das absolute Highlight. Wenn ich zurückdenke, war das wahrscheinlich sogar der beste Tag meines Lebens.

Was wird aus deinem Schrebergarten in deiner schwedischen Heimatstadt Lund, wenn du demnächst in Paris lebst?

Ekdahl Du Rietz: Meine Mutter hat jede Menge Bilder geschickt und schwer geschuftet. Den Schrebergarten werde ich behalten, er ist der feste Punkt in meinem Leben und kostet praktisch nichts. Dort werde ich auch den Sommer verbringen.

Du hast deine Medaille vom Pokalsieg für einen guten Zweck versteigert. Was hat die Auktion eingebracht?

Ekdahl Du Rietz: 1111 Euro. Patrick Groetzki hat dann noch auf 2000 Euro aufgerundet und ein Trikot mit reingeworfen.