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„Dein Geburtsdatum gibt dir keine Sonderrechte“

Gudjon Valur Sigurdsson im Interview

Seit der laufenden Saison ist Gudjon Valur Sigurdsson zurück bei den Rhein-Neckar Löwen. Bereits von 2008 bis 2011 trug der isländische Nationalspieler und  Rekordtorschütze das Trikot der Löwen, war sogar Mannschaftskapitän der Badener. Im Interview spricht Sigurdsson über seine Rückkehr in der DKB Handball-Bundesliga, den Unterschied zur spanischen Liga, sagt wie er die Chancen seiner Mannschaft sieht, die Meisterschaft zu verteidigen, äußert sich zu den neuen Reglen, sowie zu seiner Rolle als 37-jähriger in der Mannschaft des Deutschen Meister.

Gudjon, die Saison ist jetzt schon ein paar Wochen alt. Damit dürftest du ausreichend Zeit gehabt haben, dich hier einzuleben. Du bist ja zudem ein Neuzugang, dem schon vieles hier vertraut ist …

Gudjon Valur Sigurdsson: Als ich vor acht Jahren das erste Mal zu den Löwen kam, war noch alles etwas anders. Ich kam nach meiner Zeit in Gummersbach direkt von den Olympischen Spielen aus Peking und habe fast die ganze Vorbereitung verpasst. Jetzt war das alles deutlich entspannter. Ich musste mich nicht zurechtfinden, die Autobahnen sind noch da, wo sie früher waren, und auch die Halle steht ja noch an ihrem alten Platz. Von der alten Mannschaft sind allerdings nur noch Patrick Groetzki und Andy Schmid geblieben.

Muss man sich da neu zusammenfinden?

Sigurdsson: Das ist ja immer so, wenn du zu einem neuen Verein kommst. Da hat man meistens mit den wenigsten Kollegen schon einmal zusammengespielt. Aber Oliver Roggisch ist ja noch hier, unser Betreuer Conny, viele Leute auf der Geschäftsstelle oder im weiteren Umfeld des Vereins. Das macht dann doch vieles einfacher und manches geht schneller.

Auch deine Familie ist nun zurück in der Region. Fühlen sich alle wohl?

Sigurdsson: Ja, das läuft. Wir wohnen jetzt in Walldorf und haben kurze Wege. Das passt.

Du hast die vergangenen zwei Jahre in Barcelona verbracht. War es eine große Umstellung, von der spanischen Weltstadt wieder ins etwas ländlichere Nordbaden zurückzukehren?

Sigurdsson: So groß ist die Umstellung gar nicht. Man darf nicht vergessen, dass ich in Barcelona zum Arbeiten war. Mit drei Kindern und einem Hund musst du als Familie da genauso deinen Alltag organisieren wie hier. Das ist ja etwas anderes, als wenn du mit deiner Frau oder Freundin ein Wochenende dort verbringst oder mit deinen Kumpels dahin fliegst, um zu feiern.

Aber die Stadt bietet ja schon einiges…

Sigurdsson: Ja natürlich, Barcelona bietet tolle Möglichkeiten, wir haben die Zeit genossen, nicht nur aus der sportlichen Perspektive.

Man hat dort das Meer vor der Haustür…

Sigurdsson: …das habe ich in Island auch.

…aber nicht in Walldorf…

Sigurdsson: Nein, aber, wie gesagt, muss man das nicht vergleichen. Wir haben uns schon während meiner ersten Zeit bei den Löwen hier sehr wohl gefühlt. Deshalb musste ich auch nicht lange überlegen, als die Anfrage kam.

Du sollst hier nicht zuletzt die Lücke schließen, die Uwe Gensheimer nach seinem Wechsel in Richtung Paris hinterlassen hat. Da gibt es die sportliche Seite, aber Uwe war hier auch eine Figur, ein Leader.

Sigurdsson: Zunächst einmal habe ich einen Riesen-Respekt davor, was Uwe hier für den Verein und die Region geleistet hat. Aber diese Rolle kann ich natürlich nicht ausfüllen. Uwe war ein Junge aus Mannheim, ein Junge aus der Region. Ich werde dagegen immer der Junge aus Island sein. Was ich aber tun kann, ist hart zu arbeiten, mich fit zu halten, alles dafür zu tun, damit ich der Mannschaft und dem Verein so gut wie möglich helfen kann. Das ist meine Aufgabe und die möchte ich erfüllen.

Als du vor fünf Jahren von den Löwen zunächst nach Kopenhagen gegangen bist, war hier nach dem Ausstieg des Hauptsponsors viel Unruhe im Verein, was den Klub in den vergangenen Jahren immer auch finanziell belastet hat. In der vergangenen Spielzeit haben die Löwen nun die Meisterschaft geholt. Hast du die Entwicklung weiter verfolgt?

Sigurdsson: Natürlich hat man da immer ein Auge darauf, vor allem als ich dann wieder in Kiel war und die Löwen ein echter Konkurrent waren. Der Verein musste tatsächlich schwere Zeiten für die Spieler und das Umfeld durchmachen. Vielleicht hat er dadurch aber auch sein Potenzial wirklich ausgeschöpft und sich mit der Meisterschaft belohnt. Ich habe mich jedenfalls für die Löwen gefreut.

Die Meisterschaft zu holen, ist das eine, die Meisterschaft zu verteidigen, eine andere Aufgabe. Für wie realistisch hältst du dieses Ziel?

Sigurdsson: Für sehr realistisch. Wir haben eine sehr gute Mannschaft, die eingespielt ist und die Jungs wissen, was zu tun ist, um erfolgreich zu sein. Das war ja in den Vorjahren schon so, auch als ich noch in Kiel gespielt haben, saßen uns die Löwen im Nacken und haben uns alles abverlangt. Wenn wir ohne großes Verletzungspech durch die Runde kommen, haben wir sicher eine große Chance, den Titel zu verteidigen. Dafür arbeiten wir jeden Tag.

Viele Beobachter denken, dass der Kader – speziell im Rückraum – zu klein sein könnte, um die Belastung dauerhaft zu meistern. Hast du da ähnliche Bedenken?

Sigurdsson: Also ich bin immer jemand, der nicht den Spielern hinterher weint, die wir nicht haben oder haben könnten, wenn wir das Geld dafür hätten, sondern ich bin zunächst einmal glücklich über die, mit denen ich hier zusammenspielen darf. Darum beneiden uns viele andere Teams, das darf man nicht vergessen. Und es bringt ja nichts, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was passieren würde, wenn sich der ein oder andere verletzt. Das ist nicht meine Denkweise. Im Moment haben wir die besten Voraussetzungen und das zählt.

Wie bist du generell mit dem Start in die Bundesliga zufrieden?

Sigurdsson: Natürlich kannst du immer sagen, da hätten wir höher gewinnen müssen – und wenn du mit acht Toren vorne bist, hättest du auch mit zehn in Führung gehen können. Aber in der Bundesliga zählen zuallererst die Punkte, und da können wir uns nicht beschweren. Natürlich war das Spiel gegen Flensburg eine große Enttäuschung, da hatten wir einen ganz anderen Plan, aber ansonsten sind wir absolut im Soll. Zu Beginn suchen alle Mannschaften noch ein bisschen ihren Rhythmus – vor allem wenn viele Spieler bei Olympia waren. Das ist bei Kiel, Berlin oder zum Beispiel Melsungen nicht anders. Aber wenn wir unseren Rhythmus gefunden haben, bin ich mir sicher, dass wir unseren Gegnern noch deutlicher unser Spiel aufzwingen können.

Die Doppelbelastung mit den Aufgaben in der Champions League ist immer ein großes Thema für die Bundesliga-Mannschaften, die auch Ambitionen auf den Titel haben. Wie hast Du das in Barcelona wahrgenommen?

Sigurdsson: Das ist schwer zu vergleichen. In Spanien ist das Gefälle in der Liga tatsächlich ein anderes. Aber das heißt nicht, dass sich die Spitzenteams, die in der Champions League dabei sind, da ständig ausruhen. Man hat da ganz andere Möglichkeiten, es wird viel härter trainiert, du kannst an deinem Körper arbeiten, es wird viel handballspezifischer trainiert. In Deutschland gibt es dafür kaum Zeit, weil nach dem Spiel schon wieder Videostudium und vor allem die taktische Vorbereitung ansteht. Das ist der gravierende Unterschied – von der körperlichen Belastung mal ganz abgesehen.

Die scheinst du ja aber blendend zu verkraften. Mit 37 Jahren gehörst du mit Alexander Petersson zu den erfahrensten Spielern in der Mannschaft. Gehst du die körperliche Vorbereitung heute anders an als früher?

Sigurdsson: Natürlich macht man heute Dinge anders, als man sie mit 25 gemacht hat, aber das ist auch ein Erfahrungsprozess.

Hast du mit deiner Erfahrung eine besondere Stellung in der Mannschaft?

Sigurdsson: Ich glaube es ist völlig egal, ob du 15 oder 85 bist. Ich muss jedes Mal mein Trikot mit der Nummer neun anziehen und meine Leistung bringen. Es ist auch nicht so, dass mich die Trainer um meine Meinung fragen oder ich den jüngeren Spielern sage, wie es zu laufen hat. Wenn mich einer fragt, ist das eine andere Sache, aber dein Geburtsdatum gibt dir keine Sonderrechte.

Du kannst inzwischen auf über 30 Jahre Handball zurückblicken. Was hältst du von den neuen Regeln?

Sigurdsson: Ich mochte schon die Regel mit dem Leibchen nicht. Wenn eine Mannschaft zwei Minuten bekommt, ist das eine Strafe und sollte nicht durch einen zusätzlichen Feldspieler zu einer Teilstrafe werden. Auch die Regel mit den sechs Pässen hat nichts gebracht, jetzt dauert es sogar länger, bis abgepfiffen wird, weil immer wieder ein Freiwurf herausgeholt wird. Das Spiel wird so keinesfalls attraktiver. Ich frage mich manchmal, wer solche Regeln macht, während Ansätze wie die Shot-Clock blockiert werden. Da hätte man nach 35 Sekunden den Ball los und alles wäre klar.

Viele isländische Trainer feiern derzeit Erfolge. Gudmundur Gudmundsson hat Olympia-Gold geholt, Dagur Sigurdsson die deutsche Nationalmannschaft auf Vordermann gebracht. Haben die Isländer das Spiel besser verstanden?

Sigurdsson: Das muss man die Trainer fragen, ich bin Spieler.

Wäre Trainer zu sein auch mal eine Option für dich?

Sigurdsson: Noch bin ich Spieler, das hängt also zunächst einmal davon ab, wie lange mich Nikolaj und Oli hier haben wollen.

Du lebst also eher in der Gegenwart und lässt den Rest auf dich zukommen?

Sigurdsson: Nein, ich denke natürlich auch an die Zukunft, das tut sicher jeder Sportler in meinem Alter. Das heißt ja aber nicht, dass ich jetzt schon in einem Interview verrate, wie ich mir diese vorstelle.