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Der große „Wow“-Effekt (MM)

Löwen sind glücklich über 44 189 Zuschauer und den Sieg gegen Hamburg – sie freuen sich aber auch auf die SAP Arena

FRANKFURT. Im goldenen Konfetti-Regen bildeten die Rhein-Neckar Löwen zunächst einen Kreis. Sie tanzten. Sie jubelten. Sie lachten. Dem „Tag des Handballs“ hatte der Bundesligist die Krone aufgesetzt, der 28:26-Sieg über den HSV Hamburg war vielen Löwen sogar wichtiger als der Zuschauer-Weltrekord: 44 189 Fans kamen in die Frankfurter Fußball-Arena.

„Es war ein geiles Gefühl“, meinte ein spürbar erleichterter Andy Schmid: „Wir haben unseren Heimvorteil hergegeben und der Druck war groß, diese Partie gewinnen zu müssen.“ Allerdings zeigten sich die Badener sowohl von der Kulisse als auch von der Erwartungshaltung unbeeindruckt, was der lächelnde Schweizer fast schon erwartungsgemäß mit einem trockenen Spruch kommentierte: „Vielleicht sind wir für die große Bühne geschaffen.“

Kapitän Uwe Gensheimer sprach von einem „Wow“-Effekt, den er beim Einlauf in das gigantische Stadion verspürt habe. Mit dem Anpfiff sei das aber verflogen gewesen: „Ich habe mich auf mein Spiel und die Taktik konzentriert.“ Trotzdem: Diese Dimension, diese Weitläufigkeit – all das war für den Mannheimer und fast jeden anderen Spieler Neuland. Nur für Niklas Landin nicht. Der Löwen-Torwart war dabei, als er 2011 im dänischen Meisterschaftsfinale vor 36 651 Besuchern mit Bjerringbro-Silkeborg auf Kopenhagen traf. Vom Erlebnis in Frankfurt war er durchaus angetan, aber nicht restlos begeistert: „Es hat schon riesigen Spaß gemacht, aber die Atmosphäre war nicht so intim wie in einer Handball-Halle.“ Ähnlich äußerte sich Kim Ekdahl du Rietz: „Für die Zuschauer war es bestimmt ein besonderes Erlebnis. Aber für die Spieler ist die Atmosphäre in der SAP Arena besser.“

Dennoch: Bei den Löwen waren alle glücklich. Über das Erlebnis. Über das Ergebnis. Doch irgendwie sehnen sich nun auch alle wieder nach Normalität. „Nach dem Start mit vier Siegen in vier Spielen sind wir zwar gut in die Saison gekommen, aber wir brauchen noch ein bisschen Zeit, um das Niveau aus dem Vorjahr zu erreichen“, bat Regisseur Schmid ein wenig um Geduld. Denn nach dem starken ersten Durchgang, den die entfesselt auftrumpfenden Löwen mit 17:8 für sich entschieden, folgte eine schwache zweite Halbzeit.

Landin mahnt

„Nach der Pause hatten wir eigentlich nur zehn gute Minuten. Da hat man gesehen, dass Hamburg eine starke Mannschaft hat. Allerdings wurde auch deutlich: Wenn wir 100 Prozent geben, sind wir besser“, meinte Trainer Nikolaj Jacobsen, der allen Profis die Möglichkeit geben wollte, bei diesem Weltrekord auf der Platte zu stehen. Es wurde gegen Spielende munter durchgewechselt, entsprechend schmolz der Vorsprung, was den Coach aber nicht störte: „Das nehme ich auf meine Kappe. An so einem Tag soll jeder auf der Platte stehen.“

Der stets anspruchsvolle, ehrgeizige und zielstrebige Landin empfahl dennoch, nicht einfach so zur Tagesordnung überzugehen. „Wir können viel aus der zweiten Halbzeit lernen und müssen uns fragen, warum wir nicht mehr so gespielt haben wie vor der Pause“, sagte der Däne: „Das Problem war weniger der HSV, sondern vielmehr unsere fehlende Bereitschaft, gegen Kentin Mahé und Richard Hanisch aggressiver zu verteidigen.“ Nach der knapp verpassten Meisterschaft in der vergangenen Saison duldet der Weltklasse-Keeper keine Nachlässigkeiten, er will sich unbedingt mit einem Titel verabschieden.

Den Hamburger Kevin Schmidt hat die Vorstellung des Tabellenführers auf jeden Fall beeindruckt, weshalb er den Badenern viel zutraut: „Kiel hat schon zwei Mal verloren und wir haben in der ersten Halbzeit erlebt, wie eingespielt die Löwen sind. Da könnte etwas Richtung Meisterschaft für sie gehen.“ Bislang sind allerdings erst vier Spieltage vorbei, weshalb Landin sich in seiner Rolle als Mahner und Warner gefällt: „Wir haben gegen die Topklubs noch keine Auswärtspartie bestritten und sollten auf dem Boden bleiben.“ Gleichwohl hätte er am allerwenigsten dagegen, wenn die Löwen in dieser Saison noch einmal im goldenen Konfetti-Regen stünden – und zwar mit der Schale in der Hand.

Von Marc Stevermüer