Veröffentlichung:

Der Überraschungsdompteur

Was als stinknormale Pressekonferenz vor dem ersten Auftritt in der Champions League angekündigt war, entpuppte sich gestern bei den Rhein-Neckar-Löwen als Überraschungsei. Entschlüpft ist dem Gudmundur Gudmundsson als neuer Trainer.

Die ungewöhnliche Besetzung der „Podestplätze“ mit eben Gudmundsson und dem Aufsichtsratsvorsitzenden Jesper Nielsen machte im Blick auf die Samstagspartie beim FC Barcelona stutzig, doch die eigentlich erwarteten Ola Lindgren und Kent Harry Andersson hatten zu diesem Zeitpunkt keine Funktion mehr beim Handball-Bundesligisten. „Wir planen langfristig, ein Meilenstein ist 2015, bis dahin wollen wir international etabliert sein. Ich hatte kein Vertrauen, dass wir das mit Ola erreichen können“, erklärte Nielsen. Es sei keine Panikhandlung gewesen, auch wenn es nun sehr schnell ging, sondern habe sich bei der Betrachtung der vergangenen Saison ergeben.

„So ein Wechsel kommt nie zu einem guten Zeitpunkt, Ola und Kent Harry sind keine schlechten Trainer, aber manchmal passt es halt nicht“, erklärte Manager Thorsten Storm, dessen Vertrag, wie der etlicher Spieler, kürzlich bis ins Meilenstein-Jahr 2015 verlängert worden war. Das Ex-Trainer-Duo, das mit einer „fairen Abfindungsregelung“ rechnen darf, wurde am Vormittag informiert, danach die Kapitäne Gudjon Valur Sigurdsson und Henning Fritz und dann die Mannschaft.

„Ola und Kent Harry waren nicht erfreut, in der Mannschaft gab es weder Luftsprünge noch Tränen“, beschrieb Storm die Reaktionen. Nun ist als aus dem Sportlichen Leiter und Koordinator der Kooperation mit der AG Kopenhagen der Löwen-Dompteur geworden. Gudmundur Gudmundsson, ein absoluter Fachmann und „24-Stunden-Handball-Workaholic“ (Nielsen) ist 49 Jahre alt, seit 22 Jahren Trainer und war als National-Linksaußen in 236 Länderspielen für Island Publikumsliebling. 2008 führte er sein Nationalteam, das er auch weiterhin betreut, in Peking zur Silbermedaille, 2010 zu EM-Rang drei in Österreich.

Gerade die Tatsache, dass er auch mit der Nationalmannschaft wenig Vorbereitungszeit hat, macht den Isländer zuversichtlich, sein Team bestens auf den Samstagsauftritt in Barcelona (16.30 Uhr, live, Eurosport) vorzubereiten. „Ich mache viel Videoanalyse und lege dann die Taktik fest“, erklärte Gundmundsson, der jeweils zwei Einheiten Video und Training zur Verfügung hat.

„Ich werde einiges ändern, was Angriff und Abwehr angeht, aber nicht in Form einer Revolution, sondern behutsam“, sagt der Trainer, der einen Vertrag bis 2015 besitzt und die Löwen bis dahin zur „weltbesten Mannschaft“ machen will. Ganz im Sinne Jesper Nielsens. Ola Lindgren nahm die Entwicklung mit möglicherweise nur vorgetäuschter Gelassenheit. „Ich will das nicht kommentieren, im Profigeschäft muss man bereit sein, mit solchen Dingen konfrontiert zu werden“, sagte er gestern Abend am Telefon.

Von Dietmar Einzmann

 24.09.2010