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Kein Vertrauen mehr in Lindgren

Mannheim. Als das alte Trainerteam gerade erst ein paar Stunden von seinen Aufgaben entbunden war, leitete schon der neue Chefcoach die erste Übungseinheit bei den Rhein-Neckar Löwen. Keine Frage: Beim Handball-Bundesligisten überschlugen sich gestern die Ereignisse. Am Mittag erfuhren Ola Lindgren und sein Assistent Kent-Harry Andersson von ihrer Entlassung. Die Gesellschafter Michael Notzon, Jesper Nielsen und Manager Thorsten Storm teilten den beiden Schweden die Entscheidung mit.

„Sie waren natürlich nicht erfreut“, sagte Storm, der am Nachmittag schon den neuen Trainer vorstellte: Gudmundur Gudmundsson sitzt ab sofort auf der Bank bei den Badenern und wird erstmals am Samstag beim schweren Auswärtsspiel in der Champions League in Barcelona (16.20 Uhr) für die Mannschaft verantwortlich sein.

„Die Trennung war keine Panik-Handlung“, beteuerte Nielsen, der dem Vorwurf vehement widersprach, dass die Inthronisierung von Gudmundsson schon seit langer Zeit geplant gewesen sei: „Das ist definitiv nicht der Fall.“ Zur Erinnerung: Seit wenigen Monaten arbeitet der isländische Nationaltrainer als Sportlicher Leiter der Kooperation zwischen den Löwen und AG Kopenhagen. Diesen Job gibt Gudmundsson nun ab. „Er hinterlässt eine Lücke, wir werden einen neuen Mann für diese Aufgabe finden müssen. Wir brauchen Gudmundur aber jetzt bei den Löwen“, stellte Nielsen klar.

Der neue Coach erhält bei den Badenern einen Vertrag bis zum 30. Juni 2015. „Diese lange Laufzeit ist ein Signal. Gudmunsson ist ein erstklassiger Fachmann, das hat er bei der isländischen Nationalmannschaft gezeigt. Wir wollen der beste Klub in Europa werden und ich habe keine Zweifel, dass wir dieses Ziel mit unserem neuen Trainer erreichen werden“, sagte Nielsen, der kein Vertrauen mehr in die Arbeit von Lindgren und Andersson hatte. „Wir haben zuletzt viele Leistungsträger langfristig an diesen Verein gebunden. In einem zweiten Schritt habe ich den Vertrag mit Manager Thorsten Storm bis 2015 verlängert“, blickte der dänische Geldgeber noch einmal zurück: „Der logische dritte Schritt wäre bei dieser Strategie gewesen, auch mit den Trainern einen langfristigen Vertrag abzuschließen. Doch an diesem Punkt bin ich zu der Erkenntnis gekommen, dass wir unsere Ziele mit Ola und Kent-Harry nicht erreichen werden. Deshalb haben wir die Reißleine gezogen.“
Überzeugung fehlt

Manager Storm, der sich schon Ende der vergangenen Saison im Interview mit dieser Zeitung nicht eindeutig zu Lindgren und Andersson bekannte, legte Wert auf die Feststellung, dass die beiden Schweden keine schlechten Trainer seien: „Aber wir müssen immer die Entwicklung des Vereins im Auge behalten. Und da fehlte uns die Überzeugung, dass wir unsere Ziele erreichen.“

Entscheidend für die Trennung von den beiden Trainern sei deshalb auch nicht die Niederlage in Magdeburg gewesen, erklärte der Manager. Er verwies auf die vergangene Saison, in der die Löwen mehr als einmal bitter enttäuschten und in der Bundesliga nur auf dem vierten Rang landeten. Eine Platzierung, die für die stets von Titeln redenden Badener nicht akzeptabel ist und die Nielsen verärgert hatte. Der Däne ist ein Mann mit klaren Vorstellungen. Der Gesellschafter wirkt nach außen charmant, offen und locker. Doch er kann auch anders, wenn der Erfolg trotz gut dotierter Verträge ausbleibt. Das bekamen nun die Trainer zu spüren. „Mit einer Entlassung muss man immer rechnen. Mehr möchte ich dazu nicht sagen. Meine Arbeit sollen die Verantwortlichen der Löwen bewerten. Ich werde das nicht tun“, sagte Lindgren dieser Zeitung.

Die Vereinsführung teilte ihre einstimmige Entscheidung der Mannschaft mit. „Es hat kein Spieler geweint und es ist auch keiner in die Luft gesprungen. Das ist eben Profisport, da geht es nur um Ziele und Erfolg“, berichtete Storm, der von den Qualitäten des neuen Trainers absolut überzeugt ist: „Gudmundur Gudmundsson ist ein Handball-Workaholic. Er wird unserem Klub sehr gut tun.“ Ähnliche Worte wählte der Manager vor rund eineinhalb Jahren. Damals stellten die Löwen Lindgren als neuen Trainer vor.

KOMMENTAR
Versprechen gebrochen

Acht Siege in neun Pflichtspielen reichten nicht aus. Die Rhein-Neckar Löwen haben sich von Trainer Ola Lindgren und seinem Assistenten Kent-Harry Andersson getrennt. Mit dieser Entscheidung werfen die Badener ihr vor Saisonbeginn postuliertes Credo „Kontinuität“ schon nach fünf Bundesliga-Spieltagen über den Haufen. Sie haben ihr Versprechen gebrochen.

In Lindgrens Bilanz steht eine Saison 2009/2010, in der die Löwen ihre Ziele nicht erreichten und zweifelsohne die Fans mehr als nur einmal enttäuschten. Auf der anderen Seite spricht die Führungsriege des Klubs seit Jahren davon, dass für den Sturm auf den nationalen und internationalen Thron Zeit und Geduld notwendig seien. Beides wurde Lindgren nicht zugestanden. Im Gegenteil: Nach etwas mehr als einem Jahr wurde der Trainer schon wieder vor die Tür gesetzt und in Gudmundur Gudmundsson der nächste Coach verpflichtet.

Seit der Trennung von Iouri Chevtsov im Herbst 2008 ist Gudmundsson nun der vierte Trainer bei den Gelbhemden innerhalb von nur zwei Jahren. Wolfgang Schwenke hatte Erfolg, aber keinen großen Namen. Deshalb musste er gehen und für Lindgren Platz machen, der nun auch schon wieder weg ist. So sieht wahrlich keine Kontinuität aus, mal ganz abgesehen von den jährlichen Umbaumaßnahmen am Kader. Doch nur wenn etwas zusammenwachsen kann, stellt sich auch der Erfolg ein – gerade in einem Mannschaftssport.

Nun wird mit Gudmundsson der nächste Anlauf unternommen, den seit Jahren angekündigten Titel einzufahren – nach Möglichkeit schon in dieser Spielzeit. Für den Isländer ist das eine schwierige Mission, denn er muss mitten in der laufenden Saison seine Ideen und Vorstellungen einbringen. Die Löwen müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, nicht schon früher gehandelt zu haben. Sie hatten bereits nach der vergangenen Saison kein uneingeschränktes Vertrauen mehr in Lindgren. Im Juni wäre der richtige Zeitpunkt für eine Trennung gewesen.

Von Marc Stevermüer

 24.09.2010