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„Die Löwen sind erwachsener geworden“

Rückraumspieler Sergei Gorbok im Interview

Meisterschaftskandidat im Anflug: Die Rhein-Neckar Löwen erwarten am Mittwoch die SG Flensburg-Handewitt zum Bundesligaduell in der Mannheimer SAP Arena. Anwurf ist um 20.15 Uhr, die Halle öffnet um 18.45 Uhr. Es gibt noch Tickets an der Abendkasse. Vor diesem Topspiel stand der Löwen-Neuzugang Sergei Gorbok Rede und Antwort.

Sergei, willkommen zurück bei den Löwen. Hast du dich gut eingelebt?

Gorbok: Auf jeden Fall. Ich kenne ja den Klub und auch die Region. Meine Frau Veronika, unsere Drillinge Eva, Sara und Daniela und ich haben es uns in Heidelberg gemütlich gemacht, wir wohnen nur fünf Minuten von der Innenstadt entfernt. Ich finde es toll, noch einmal hier zu sein. Jetzt kann ich meinen Kindern zeigen, wo sie geboren wurden.

Können die drei Mädchen denn Deutsch?

Gorbok: Sie lernen fleißig und nehmen Unterricht. Die wichtigsten Wörter haben sie schon drauf: Hunger und Durst.

Du standest die vergangenen drei Jahre in Russland bei Medwedi Tschechow unter Vertrag, sprichst aber immer noch fließend Deutsch. Woran liegt das?

Gorbok: Ich interessiere mich für Sprachen und es wäre doch schade gewesen, wenn ich alles verlernt hätte. Wenn wir mit Medwedi in der Champions League gegen Bundesligisten spielten, habe ich immer Deutsch mit den Gegnern gesprochen. Veronika und ich haben zudem immer versucht, unsere Sprachkenntnisse noch zu verbessern. Wie gut, dass wir das gemacht haben. Jetzt zahlt sich das aus.

Welche Erinnerungen hast du an deine erste Zeit bei den Löwen?

Gorbok: Das waren schöne Jahre bei einem tollen Klub. Ich habe hier den nächsten Schritt in meiner Entwicklung gemacht. Wir hatten eine starke Mannschaft, noch dazu habe ich hier viele Freunde gefunden. Es war aber auch sehr anstrengend, als meine Drillinge geboren wurden. Jeder Vater weiß, wie unruhig die Nächte mit nur einem Baby sein können. Und wir hatten dieses Vergnügen gleich dreifach.

So schön die Zeit auch war, es gelang aber kein Titelgewinn.

Gorbok: Bislang habe ich das mit jeder meiner Mannschaften geschafft. Ich hoffe, dass ich das bei den Löwen nachholen kann. Das ist mein großer Wunsch. 2008 hatten wir eine große Chance im Europapokal der Pokalsieger, doch leider verloren wir im Endspiel gegen Veszprém. Die Löwen waren damals aber noch ein junger Klub. Es ist nicht so einfach, einen Titel zu holen. Eine Mannschaft muss wachsen. In der vergangenen Saison hat es dann ja ohne mich geklappt, was mich sehr gefreut hat. Jetzt steht der EHF-Cup in der Vitrine, die Löwen sind also ein wenig erwachsener geworden.

Als feststand, dass du Medwedi verlassen wirst, war da für dich klar, dass du zurück zu den Löwen gehst?

Gorbok: Als ich das Angebot bekam, stand mein Entschluss eigentlich fest. Ich hatte ein paar andere Anfragen, aber Veronika und ich waren uns schnell einig, dass wir erneut nach Deutschland gehen. Mit dem Wechsel zu den Löwen ergibt sich für uns die Chance, unseren Kindern zu zeigen, wo sie ihre Wurzeln haben. Das ist uns sehr wichtig. Und nicht zuletzt sind die Löwen ja auch ein toller Verein. Ich wollte nicht wieder etwas Neues anfangen, sondern zurück in eine gewohnte Umgebung.

Überraschte dich der finanzielle Engpass von Medwedi? Nur deshalb wurde dein Wechsel ja möglich.

Gorbok: Nein, das hatte sich über mehrere Monate angedeutet. Die finanzielle Unterstützung durch das Sportministerium der Region Moskau wurde immer weniger. Medwedi ist aber auf diese Gelder angewiesen, um seinen Spielbetrieb aufrecht zu erhalten. Mir fehlen eigentlich noch zwei Monatsgehälter, aber durch die Vertragsauflösung hat sich das für mich erledigt. Geld ist schließlich nicht alles. Ich bin einfach nur froh, jetzt wieder hier zu sein. 

Medwedi wurde mangels Klasse der Konkurrenz jedes Jahr russischer Meister. Wie motiviert man sich da?

Gorbok: Die Liga war sehr schwach, das stimmt. Man muss aber trotzdem professionell sein. Ich hatte immer die höchsten Ansprüche an mich. In jedem Spiel, in jedem Training. Schließlich waren wir ja auch in der Champions League gegen Gegner von großer Klasse gefordert. Und gegen diese Mannschaften besteht man nicht, wenn man nicht auch die Liga professionell angeht. Einfach so den Schalter umzulegen, das funktioniert nicht.

Welchen Stellenwert hat Handball in Russland?

Gorbok: An Eishockey führt kein Weg vorbei. Das ist wie eine Religion. Als der Lockout in der nordamerikanischen Profiliga NHL war, kamen die ganzen Stars wie Alexander Owetschkin oder Pawel Dazjuk nach Russland und spielten hier. Das war ein Riesen-Ding, es herrschte ein richtiger Hype. Dann gibt es auch noch Fußball, Basketball und Volleyball. Erst danach spielt Handball eine Rolle, obwohl dieser Sport eine große Tradition in Russland hat. Schließlich hat die Nationalmannschaft schon einige Medaillen bei großen Turnieren gewonnen.

Erlebt der Sport in Russland gerade einen Aufschwung?

Gorbok: Ich finde schon. Es wird unheimlich viel Geld investiert, der Zuschlag für die Olympischen Spiele in Sotschi 2014 und für die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 hat im ganzen Land eine große Begeisterung ausgelöst. Ich bin mir sicher: Russland wird im nächsten Jahr mit unglaublichen Olympischen Spielen die Welt überraschen.

Bei Medwedi war Wladimir Maximow dein Coach. Wie hast du ihn, die lebende Legende, erlebt?

Gorbok: Er ist ein toller Trainer – sowohl für Handball als auch für das Leben. In den Trainingseinheiten kann Wladimir auch mal laut werden, aber im Privatleben ist er sehr nett, fast wie ein Opa. Er liebt seine Spieler wie seine Enkelkinder.

Wie unterscheidet sich das Leben in Russland und Deutschland?

Gorbok: Heidelberg und Moskau kann man nicht miteinander vergleichen, das sind zwei verschiedene Welten. Ich hatte eine Wohnung in Tschechow, war aber auch viel in Moskau bei einem Freund. Moskau ist eine unglaubliche Metropole, in der man alles sehen und erleben kann. Es ist aber auch sehr anstrengend dort. Das tägliche Leben ist ein kleiner Kampf. Viel Verkehr, viel Hektik. Es leben fast 12 Millionen Menschen nur in Moskau, dazu kommen die dicht besiedelten Außenbezirke. Da sind einfach jeden Tag unglaubliche Menschenmassen unterwegs.

Russland ist ein riesiges Land. Da hast du bei Auswärtsreisen bestimmt viel Zeit im Flugzeug verbracht.

Gorbok: Das stimmt, ich bin wirklich unheimlich viel gereist und habe sehr viel gesehen. Wir saßen ständig im Flugzeug, ich war in Wolgograd und Astrachan, im Ural und fast in Sibirien. Gott sei Dank ist Wladiwostok nicht dabei gewesen.

Als zweite Kraft in der russischen Handball-Liga hat sich St. Petersburg etabliert. Die Mannschaft wird von Ex-Löwe Dmitri Torgowanow trainiert. Wie schätzt du seine Arbeit ein?

Gorbok: Er macht wirklich einen sehr guten Job. Ich freue mich schon auf die Champions-League-Spiele gegen ihn. St. Petersburg hat eine junge Mannschaft, die Jungs geben richtig Gas und werden uns alles abverlangen. Medwedi wird jetzt einen ähnlichen Weg gehen, denn die guten Spieler sind weg.

In der Champions League geht es für dich mit den Löwen nicht nur nach St. Petersburg, sondern auch nach Celje. Dort hast du von 2005 bis 2007 gespielt. Freust du dich schon?

Gorbok: Ja, auf jeden Fall. Ich habe zwei Jahre in Celje gespielt, damals war der Wechsel von Zaporozhye nach Slowenien ein großer Schritt für mich. Als Mensch bin ich dadurch richtig gereift und erwachsen geworden. Sportlich war es natürlich auch eine aufregende Zeit. Ich habe in einer tollen Halle vor fantastischen Fans gespielt, wurde mit dem Klub zwei Mal Meister. Das habe ich nicht vergessen, weshalb ich mich natürlich besonders auf das Spiel in Slowenien freue. Celje ist für mich genauso Heimat wie Heidelberg oder Minsk, wo ich geboren wurde. Ich brauche nicht viel, um mich wohl zu fühlen – nur ein paar Freunde und meine Familie.