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Die Standortbestimmung fällt ernüchternd aus

Es sollte die erste echte Standortbestimmung werden, ein Mutmacher für den nahenden Alltag in der Handball-Bundesliga. Doch es kam anders. Ganz anders. Was bleibt ist die bittere Erkenntnis, dass es bei den Rhein-Neckar Löwen eben noch nicht so läuft, wie es bald laufen soll: Die Badener sind am Wochenende unsanft auf dem Boden der Tatsachen gelandet, förmlich abgestürzt.

Beim „Eurotournoi“ in Straßburg, an dem fünf weitere internationale Topteams teilnahmen, reichte es nur zum fünften Platz. Nach zwei Pleiten gegen Medvedi Cechov (29:32) und Montpellier HB (28:39) glückte gestern wenigstens ein Erfolgserlebnis: Die Franzosen von Chambéry Savoie HB wurden mit 35:26 (16:12) bezwungen. Ein versöhnlicher Abschluss – mehr aber auch nicht: „Heute bin ich zufrieden“, resümierte Löwen-Trainer Ola Lindgren, „aber keine Frage: Wir haben noch viel Arbeit vor uns.“ Grzegorz Tkaczyk schaute gegen Montpellier und Chambery nur zu. Er kurierte eine leichte Prellung am rechten Mittelfuß aus. Bloß nichts riskieren lautete hier die Devise. Schließlich soll der Pole bald wieder glänzen. Denn er ist nach wie vor der Denker und Lenker. Derjenige, der sagt wo es lang geht. Wenn er passt, wenn er dribbelt, wenn er Maß nimmt, wird einiges von ihm erwartet.

Geistesblitze wollen die Leute sehen, Zuckerpässe ansatzlos aus dem Unterarm gespielt. Löwen-Manager Thorsten Storm bezeichnete ihn einst als seinen „spielenden Geschäftsführer“, als Anführer zwischen den Kreisen. Auf seinen durchtrainierten Schultern lastet viel Verantwortung. Er scheint ihr gewachsen zu sein. Selbstbewusst tritt er auf, der gebürtige Warschauer, hebt auch abseits der „Platte“ schützend die Hand über sein Löwenrudel. Tkaczyk mit Nachdruck: „Es war doch klar, dass wir nicht von Beginn an ein blindes Spielverständnis entwickeln werden. Es dauert eben seine Zeit, bis so eine Mannschaft zusammen wächst.“ Auch Grzegorz Tkaczyk selbst, dem Tätowierten, der sein Rockstar-Image hegt und pflegt, ist noch nicht wieder bei hundert Prozent. Seine Meniskusverletzung – sie zwang ihn in der letzten Saison zu einer monatelangen Auszeit – wirkt noch ein wenig nach. „Manchmal“, gesteht der 28 Jährige, „manchmal habe ich noch leichte Schmerzen im Knie, aber nur dann, wenn die Belastung richtig groß ist.“ Und das kam zuletzt häufiger vor. Ola Lindgren, der neue Löwen-Dompteur, ist nämlich für seine intensiven Trainingsmethoden bekannt. Vor allem in der Vorbereitung heißt es bei ihm häufiger Hantelbank statt Sprungwurf, Beinpresse statt Pass-Spiel. Der Schwede lädt regelmäßig in die „Muckibude“. Er braucht kräftige und zähe Burschen. Echte Typen eben, denn nur so kann er seine Handball-Philosophie in der badischen Manege umsetzen. Tkaczyk schwört auf seine Praktiken: „Das ist ein Super-Trainer. Er beeindruckt nicht nur mich.“ Unter seiner Regentschaft glaubt der Mittelmann ganz fest an eine echte Titelchance. Endlich will er sich mit den Löwen in Pokalen spiegeln, Goldmedaillen abstauben. Daraus macht er kein Geheimnis, sagt aber auch: „Es gibt andere Mannschaften, die das gleiche Ziel haben: Starke Mannschaften.“ An wen der Regisseur dabei denkt, ist klar: „Kiel und Hamburg.“ Er schmunzelt als er das sagt: „Diese zwei Klubs musst du in der Bundesliga einfach immer auf der Rechnung haben. Wer weiß, vielleicht holt sich Kiel nun ja sogar noch Daniel Narcisse.“ Der TBV Lemgo geistert auch in Tkaczyks Hinterkopf herum: „Spätestens, wenn Holger Glandorf wieder fit ist“, grübelt das Rückraum-Ass. Glandorf, Narcisse – Namen, die für die gehobene Ballwerfer-Kunst stehen. Doch auch die Löwen sind alles andere als eine Formation der Namenlosen. Im Kronauer Trainingszentrum tummeln sich etliche Ausnahme-Könner, die bei diversen Allstar-Games geschlossen antanzen könnten. Seit diesem Sommer hat man zudem eine neue Lichtgestalt: Olafur Stefansson, den Magier. Sein Auge, seine Spielintelligenz, sein Abschluss. Das Komplettpaket stimmt. Tkaczyk schwärmt: „Von ihm kannst du noch einiges lernen. Das macht Spaß.“ Seine neuen Anspielpartner am Kreis kommen ebenfalls gut weg. „Zwei Weltklasse-Leute“, wie er sagt. Bjarte Myrhol bezeichnet er als eine Art Kämpfer am Kreis: Robust und einsatzfreudig. „Der rackert um jeden Zentimeter.“ Bald könnten Tkaczyk und Myrhol ein kongeniales Tandem bilden – der Pole „füttert“ den Norweger mit genau getimten Bodenpässen, gemeinsam verbreiten sie Angst und Schrecken. Eine Wunschvorstellung – für den nahenden Alltag.

Von Daniel Hund

24.08.2009