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Frischer Wind der Südbesten

Hamburg. Sie sind und sie bleiben vorerst die Jäger des verlorenen Pokals, die Rhein-Neckar Löwen. Unfassliche Szenen spielten sich in der Color Line Arena am Sonntag ab. Da musste der sonst zurückhaltende, stets besonnen wirkende Schwede Ola Lindgren von einer Schimpfkanonade auf das schwäbische EHF-Schiedsrichter-Duo Holger Fleisch und Jürgen Rieber abgehalten werden. Da saß Löwen-Identifikationsfigur Uwe Gensheimer gesenkten Hauptes auf einer Werbebande und wollte nicht begreifen, dass sich Sportgeschichte wiederholt. Da wurde Patrick Groetzki von Abwehr-Hüne Oliver Roggisch wie ein kleiner Bub getröstet, dem sein erster großer Bagger für den Sandkasten geklaut wurde.

Sie waren zu Tode betrübt, leer und entsetzt. Und auch wütend – über die eigenen klitzekleinen Unzulänglichkeiten, über die vergebene Chance, übermanch – in ihren Augen – einseitige Regelinterpretation der beiden Referees. „Die Spieler und der Trainer sind auf mich zugekommen“, schilderte Manager Thorsten Storm gegenüber der RNZ jene Mischung aus Enttäuschung, Emotion und Empörung, „und haben gefragt, ob sie dazu etwas sagen dürfen.“ Storm ließ den Sturm der Entrüstung nach dem tragischen 33:34 nach Verlängerung für den Pokalsieger HSV Hamburg zu. „Ich will für meine Spieler und Trainer da sein“, sagte er mit dem zeitlichen Abstand von einer Nacht.

Gerade auch Torhüter-Routinier Henning Fritz (35) suchte nach dem Pokal-Drama die verbale Offensive. „Fast alle kritischen Entscheidungen waren zum Vorteil des HSV“, schimpfte „Fritze“ wie ein Rohrspatz. Der Mann zwischen den Pfosten gilt ansonsten als sachlicher Analytiker. Fritz plädierte darüber hinaus für einen neutraleren Standort des Final Four. Es sei nun einmal „die Heimhalle des HSV und die Fans der Hamburger sind eindeutig in Überzahl. Das ist ungerecht.“

Er regte ein rotierendes System an – Hamburg, Mannheim, Kiel oder Köln und Berlin. Doch dies ist allenfalls Zukunftsmusik. Der Vertrag der Handball-Bundesliga (BL) mit der Arena läuft bis 2012. Was danach kommt, ist ungewiss. Andererseits fahren die Handballer auf Hamburg ab wie die Fußballer auf Berlin. Die „ColinA“ steht für tolles Ambiente und für Gänsehaut-Atmosphäre.

Dazu trugen wesentlich die Löwen-Anhänger bei. Knallig gelbe T-Shirts mit der Aufschrift „Final Five“, gestreifte Zipfelmützen, ein großer Mond, dazu ein Transparent mit dem programmatischen Wunsch „Lasst Träume wahr werden!“ – sie waren originell und hätten den Pokalsieg im fünften Anlauf nach 2006, 2007, 2008 und 2009 wie ihre Lieblinge verdient gehabt.

„Kiel vermisst dieses Jahr keiner“, sagte gar ein Kollege der Kieler Nachrichten, so etwas wie die Hauspostille des THW. Ein Riesenkompliment, ein handballerischer Ritterschlag – inzwischen wird die einwandfreie Leistung der Löwen anerkannt. Frischer Wind der Südbesten – das tut der nordlastigen Handball-Szene Deutschlands spürbar gut…

Sonnenklar scheint unterdessen, dass die „Schlachten“ auf der „Platte“ und am Spielfeldrand immer brutaler werden. Gerade zwischen Branchenführer Kiel, Herausforderer eins Hamburg und Herausforderer zwei „Mannheim“. Siehe der Kampf um den 26-jährigen Polen Krzyzstof Lijewski, der im Finale dank seiner neun Tore zum Matchwinner avancierte. Der HSV will den „kleinen“ Lijewski, dessen Vertrag bis 2011 läuft, möglichst halten, der THW buhlt um den Linkshänder, und auch die Löwen signalisierten Interesse.

„Er ist auf uns mit seinem Berater zugekommen“, bestätigt Storm, „wir hatten in den Wochen vor dem Final Four ein gutes Gespräch, und er hat ein gutes Angebot erhalten.“ Lijewski selbst hielt wie ein Boxer vor der Kabine Hof. Der Zwei-Meter-Mann genoss mit nacktem Oberkörper, der Goldmedaille um den Hals, ein Holsten-Bier in der Hand und einem Eisbeutel über der lädierten Schulter den Moment sichtlich. Er habe in der Szene, die zum 34:33 führte, einen „Leberhaken“ abbekommen, dass „ihm schwarz vor Augen“ geworden sei. Von einem Stürmerfoul wollte „Zloty“ nichts wissen.

Sei’s drum: Lijewski könnte 2011 der Stefansson-Nachfolger werden. Er pokert, soll nach RNZ-Informationen annähernd 30.000 Euro (netto!) monatlich verdienen wollen. Ob in Kiel, Hamburg oder „Mannheim“, das reguliert der Markt. Lijewski: „Der HSV hat eine perfekte Mannschaft. Ich will da sein, wo man Titel gewinnt.“ Ein Treuebekenntnis sieht anders aus, auch wenn die hungrigen Löwen zum vierten Mal in ihrer jungen Geschichte ein Finale verloren haben.

Von Joachim Klaehn

 13.04.2010