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„Gemeinsam ein Zeichen setzen“
Rhein-Neckar Löwen empfangen am Mittwoch Montpellier zum Rückspiel
Am heutigen Nachmittag sind die Rhein-Neckar Löwen vom Champions League Auswärtsspiel in Montpellier zurückgekehrt. Die Rückreise mit dem Flieger aus Montpellier verlief, wie der gesamte Trip der Löwen, problemlos. Viel Zeit zum verschnaufen bleibt den Badenern aber nicht, bereits am kommenden Mittwoch kommt es zum Rückspiel mit dem französischen Rekordmeister. Die Partie ist gleichzeitig die Premiere der Löwen in der Fraport Arena Frankfurt. Anwurf ist um 18:45 Uhr.
Nikolaj Jacobsen fiel es schwer, nach der Partie am gestrigen Sonntag das Spiel sportlich zu analysieren, die Gedanken drehten sich nicht nur beim Trainer der Löwen noch um die schrecklichen Terroranschläge von Paris, die nur zwei Tage vor dem Spiel nicht nur ganz Frankreich in Angst und Schrecken versetzten. „Es ist uns allen schwer gefallen, uns auf das Spiel zu konzentrieren,“ sprach auch Löwen-Kapitän Uwe Gensheimer nach der Partie. Gensheimer macht aber auch deutlich, dass es richtig war die Partie in Frankreich zu spielen. „Ich weiß gar nicht, wie viele Nationen heute vor dem Anwurf gemeinsam auf dem Feld standen. Ich bin stolz, als Sportler mit meinen Kollegen ein Zeichen gesetzt zu haben. Wir dürfen uns von Terror niemals einschüchtern lassen und haben als Sportler auch eine Vorbildfunktion für unsere Gesellschaft“.
Sportlich feierten die Löwen gestern mit 30:28 den zweiten Auswärtserfolg der laufenden Champions League Saison. Montpelliers Trainer Patric Canayer bedankte sich nach dem Spiel ausdrücklich bei den Löwen, die dem Wunsch von Montpellier entsprachen und zu der Partie angetreten waren. Dass seine Mannschaft gegen den Tabellenführer der Bundesliga unterlag, beschäftigte Canayer nach einem denkwürdigen Spiel ebenfalls nur kurz. „Am Mittwoch haben wir eine neue Chance gegen eine der Topmannschaften Europas. Meine Mannschaft ist nicht so erfahren wie die Löwen, das hat in einer umkämpften Partie vielleicht den Ausschlag gegeben“, analysierte Canayer, der in Montpellier auch schon andere Zeiten erlebt hat.
Glorreich ist die Vergangenheit. Keiner weiß das so gut wie Canayer, denn er hat diesen Klub geprägt wie kein anderer. Seit 1994 (!) ist er Trainer von Montpellier HB, unglaubliche 14 Meisterschaften und zwölf Pokalsiege feierte der 54-Jährige mit „seinem“ Verein, dem der Franzose 2003 zur absoluten Krönung verhalf: dem Triumph in der Champions League. Damals
gab es noch kein Final Four, das Endspiel gegen SDC San Antonio aus Spanien wurde mit Hin- und Rückspiel ausgetragen und nahm einen verrückten Verlauf. MHB verlor das erste Duell 19:27, vollbrachte aber im Rückspiel ein Handball-Wunder, das es nur selten gibt. Erst recht in einem Champions-League-Finale.
Die Franzosen gewannen in eigener Halle 31:19 – Canayer machte sich mit diesem Triumph endgültig unsterblich. Keine Frage: Wer an Handball in Montpellier denkt, verbindet das sofort mit seinem Namen: Patrice Canayer. Trainer zu sein ist für ihn nicht nur ein Beruf, sondern eine Berufung. Bereits mit 29 Jahren beendete der ehemalige Profi seine Spielerkarriere, in seiner aktiven Zeit trug Canayer das Trikot von Spuc Bordeaux und Paris Racing Asnieres. Beim Hauptstadt-Klub agierte er anschließend eher erfolglos als Trainer, in Montpellier startete Canayer dann aber richtig durch.
Vor seinem Amtsantritt hatte der 1992 in die Erste Liga aufgestiegene Verein stets gegen den Abstieg gekämpft, ein 1993 gegründetes Nachwuchszentrum sollte aber schließlich der Grundstein für die folgenden Titelgewinne sein. Immer wieder kamen Talente nach, zum Beispiel der legendäre Grégory Anquetil. Schon in seiner ersten Saison wurde Canayer Meister – es war der Beginn einer eindrucksvollen Erfolgsgeschichte und innigen Beziehung, die auch der FC Barcelona nicht beenden konnte. Der katalanische Topklub buhlte 2004 intensiv um Canayer.
Der Franzose sollte Nachfolger von Valero Rivera werden, lehnte aber ab und feierte weitere Titel mit Montpellier. Doch seitdem katarische Investoren ihre Millionen bei Paris Saint-Germain investieren, ist es mit der einstigen nationalen Dominanz vorbei.
Kurzerhand angelte sich PSG 2014 zwei Stars der Südfranzosen: Weltklasse-Torwart Thierry Omeyer, in der Bundesliga von 2006 bis 2013 beim THW Kiel zwischen den Pfosten, zog es ebenso an die Seine wie Rückraumspieler William Accambray.
Mit Issam Tej ging vor dieser Saison ein weiterer Spieler, der den Klub von der Mittelmeer-Küste jahrelang prägte. Den Kreisläufer zog es aber ausnahmsweise nicht nach Paris, sondern direkt nach Katar. Er ist jetzt Mannschaftskamerad von
Ex-Löwen-Torwart Goran Stojanovic bei El-Jaish. Außerdem verließen Venjo Losert (Ziel unbekannt), Balazs Laluska (Ziel unbekannt), Antoine Gutfreund (Dijon) und Kevin Mesnard (Istres) Montpellier. Neu in der Mannschaft sind der französische
Nationaltorwart Vincent Gerard (Dunkerque) und Aymen Toumi (Nantes).
Wer Trainerfuchs Canayer kennt, der weiß: Er wird nichts unversucht lassen, um die eigentlich übermächtigen Pariser zu ärgern. So wie in der vergangenen Saison, als Montpellier lange an der Tabellenspitze stand und sich am Ende doch knapp dem Hauptstadt-Klub geschlagen geben musste. Es wäre fraglos schon ein Erfolg, sollte MHB auch in dieser Runde das Titelrennen wieder so lange offen gestalten.
Denn PSG hat erneut mächtig aufgerüstet: Zum Beispiel kam Superstar Nikola Karabatic, der einst 2003 als junger Kerl mit Montpellier die Champions League gewann und nach vier Jahren beim THW Kiel 2009 zum Mittelmeer-Klub zurückkehrte, um den Erfolg von 2003 zu wiederholen. Doch daraus wurde nichts, weil Karabatic in einen Wettskandal verwickelt war, von Montpellier freigestellt wurde und über die Stationen Pays d’Aix UC und FC Barcelona schließlich in Paris landete. PSG ist auch einer der großen Titelfavoriten in der Champions League, in der Canayer „so weit wie möglich“ kommen will: „Aber es wird nicht einfach für uns.“ Barcelona, Skopje, Kielce und die Löwen sieht der Trainer in der Gruppe B besser aufgestellt als seine Formation, das Achtelfinale gilt dennoch als Minimalziel. Kapitän Michaël Guigou spricht sogar vom Viertelfinale. Ein hoch
gestecktes Ziel angesichts der hochkarätigen Konkurrenz.
„Wir treffen auf attraktive Gegner. Die Aufgaben, die uns erwarten, sind packend und begeisternd. Die Gruppenphase ist sehr schwer, aber auch lang. Das geht an die Substanz, wir müssen aufpassen“, hat Canayer Respekt vor dem neuen Modus der Königsklasse, in der Montpellier in der vergangenen Saison im Achtelfinale scheiterte. Nach einer 25:29-Heimniederlage gegen Vive Kielce reichte auch ein 33:31-Auswärtserfolg beim polnischen Topklub nicht mehr für den Einzug ins Viertelfinale.
In der Gruppenphase bekam es Montpellier vor einem Jahr ebenfalls mit den Löwen zu tun – und war in beiden Begegnungen chancenlos. Mit 24:35 wurden die Franzosen aus der SAP Arena gefegt, in eigener Halle unterlag MHB 29:33. In Erinnerung sind aber vor allen Dingen die Viertelfinal-Duelle im Frühjahr 2011 geblieben. Das Hinspiel verloren die Löwen in eigener Halle mit 27:29 und standen schon vor dem Aus, auch im Rückspiel sah es nicht gut aus für den Bundesligisten. Montpellier, damals noch mit Karabatic als Denker und Lenker im Rückraum, führte zur Pause 17:15 und stand praktisch mit einem Bein im Final Four. Doch dann folgte eine der besten Halbzeiten, die eine Löwen-Mannschaft in den vergangenen Jahren zeigte: Mit 20:9 entschieden die Badener den zweiten Durchgang für sich und sicherten sich das Ticket nach Köln.
„Wir wissen, wie unbequem Montpellier als Gegner ist. Auch am Mittwoch in Frankfurt werden wir alles geben müssen, damit wir die nächsten zwei Punkte einfahren“, blickt Löwen-Trainer Nikolaj Jacobsen voraus. Auf die Premiere der Löwen in der Fraport Arena freut sich der Däne unterdessen, spielte er als Spieler doch noch selbst in dieser Halle gegen die SG Wallau-Massenheim. „Ich hoffe, dass uns möglichst viele Zuschauer in Frankfurt unterstützen werden. Nach den schlimmen Vorkomnissen in Frankreich ist es wichtig, dass wir uns alle als Handball-Familie und Einheit präsentieren. Ich war beeindruckt, von der Kulisse und der Stimmung in Montpellier und hoffe, wir werden auch in Frankfurt mit unseren Fans im Rücken tolle Gastgeber für unsere französischen Gäste sein. Gemeinsam sollten wir alle ein Zeichen setzen.“