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Historische Löwen / Löwen-Historie, Teil 1: Maros Kolpak und der Weg vom Dorf- zum Spitzenklub

Serie legt Fokus auf Meilensteine der Vereinsgeschichte, erzählt aus der Perspektive beteiligter, aber nicht ganz so berühmter Löwen

Historischer Fund: Original-Autogrammkarte.

Historische Löwen / Löwen-Historie: In dieser Serie, deren Teile in unregelmäßigen Abständen auf der Website der Rhein-Neckar Löwen erscheinen werden, wollen wir tief in die Geschichte des Klubs eintauchen – und das auf eine besondere Weise. Wir greifen uns nicht die Personen heraus, die ohnehin im Fokus der Öffentlichkeit standen und stehen, sondern solche, die sich eher unter dem Radar bewegten und trotzdem – oder vielleicht auch gerade deswegen – einen ganz wichtigen Beitrag zur Entwicklung vom Dorfverein zum Spitzenklub geleistet haben. Es geht also genauso um historische Meilensteine wie um Randgeschichten, um Populäres und Abseitiges und letzten Endes um die Verbindung von Ereignissen und Personen, die mit dazu geführt haben, die Löwen zu dem zu machen, was sie heute sind.

In der allerersten Ausgabe der „Historischen Löwen“ begeben wir uns auf die Spuren von Maros Kolpak. Der Slowake spielte von 1997 bis 2007 für die Löwen bzw. deren Vorgänger-Vereine, den TSV Baden Östringen sowie die SG Kronau/Östringen, und war eine prägende Figur in den Anfangsjahren der Professionalisierung hin zu einem gestandenen Bundesliga-Klub. 2008/09 kehrte er für eine Saison als „Stand-by“-Profi nach Kronau und Mannheim zurück. Heute ist Maros Kolpak unter anderem als Torwarttrainer für seinen Heimatverein Tatran Presov im slowakischen Spitzen-Handball aktiv und freute sich sehr über unseren Anruf.

Ein Stück Löwen-Geschichte am Telefon

Es tutet zwei, drei, vier, fünf Mal, dann knackt es kurz in der Leitung. „Kolpak“ sagt eine Stimme am anderen Ende. Es ist die gemütliche Stimme eines Geschichtenerzählers – und genau deswegen haben wir diese Nummer gewählt. Maros Kolpak ist ein Stück Löwen-Geschichte. Und zwar ein sehr lebendiges, wie sich in den nächsten rund eineinhalb Stunden herausstellen wird.

1997 kam Maros Kolpak als Torwart zu den Löwen. Oder genauer: zum TSV Baden Östringen, der zusammen mit der TSG Kronau die Gründungsvereine der Rhein-Neckar Löwen bildet. „Wir hatten ihn damals auf einem Dreikönigsturnier spielen gesehen“, erinnert sich Mannschaftsbetreuer Conny Hoffmann und erzählt weiter: „So haben wir ihn entdeckt und dann verpflichtet. Das war ja damals noch nicht so einfach mit dem Visum, mit der Arbeitserlaubnis und so.“ Nach einigem Hin und Her mit den zuständigen Behörden kam der damals 26-Jährige im Rhein-Neckar-Kreis an. Er sollte seine Spuren hinterlassen.

In mehr als zehn Jahren Löwen erlebte Maros Kolpak sportliche Auf- und Abstiege, eine Vereinsfusion, eine Umbenennung, muntere Heimspielstätten-Wechsel sowie die Verwandlung von einem Dorfverein in einen national für Furore sorgenden Spitzenklub. „Nebenbei“ sorgte er mit dem später nach ihm benannten „Kolpak-Urteil“ für die logische Weiterentwicklung des Bosman-Urteils, wonach nicht nur EU-Ausländer, sondern auch Nicht-EU-Ausländer ohne Beschränkungen im jeweiligen Gastland ihrer Profession nachgehen dürfen.

Dies alles ist Teil der Löwen-Geschichte, ja der Handball-Historie in Deutschland. Was aber hat sich für Maros Kolpak selbst am tiefsten im Gedächtnis eingebrannt, wenn er zurück an seine Zeit bei den Löwen denkt? „Der schönste Moment mit den Löwen“, sagt der Slowake in ziemlich tadellosem Deutsch, „das war die erste Teilnahme am Final Four in Hamburg. Und der erste Aufstieg mit der SG Kronau/Östringen in die Bundesliga. Damals hatten wir eine tolle Atmosphäre in der Mannschaft, die Mischung aus jungen und erfahrenen Spielern hat super funktioniert. Als es dann geklappt hat mit dem Aufstieg, das war der schönste Moment meiner Zeit in Deutschland.“

Der erste Bundesliga-Aufstieg im Jahr 2003, das Final Four im DHB-Pokal 2006: Diese beiden Ereignisse haben sich Maros Kolpak eingeprägt. Hamburg und das Finalturnier, daran hat er ganz spezielle Erinnerungen: „Wir waren damals der krasse Außenseiter und hatten obendrein noch große Verletzungsprobleme.“ Dass im Halbfinale gegen den THW Kiel ein spektakulärer 33:31-Sieg gelang und man ins Finale einzog – Löwen-Geschichte von ihrer schönsten Seite! Und mittendrin: Maros Kolpak. „Ich wurde am Ende zum besten Torhüter des Turniers gewählt, mein Kumpel Mariusz Jurasik war der beste Schütze. Schade, dass wir das Endspiel mit einem Tor ganz unglücklich verloren haben.“

Hauchdünn verloren – unter anderem gegen Martin Schwalb

Mit diesem Kader schafften es die Löwen sensationell ins Final Four.

25:26 hieß es nach 60 Minuten zähen Kampfes gegen Gastgeber HSV Hamburg. Der Trainer des HSV hieß damals Martin Schwalb, auf dem Feld stand unter anderem ein gewisser Pascal Hens. Maros Kolpak hielt überragend, unter anderem vier Siebenmeter. Trösten konnte ihn das damals aber nicht. „Was soll ich damit anfangen, bester Torhüter zu sein? Ich wollte Deutscher Pokalsieger werden“, habe ihm der Maros damals gesagt, erinnert sich Conny Hoffmann. Heute, mit dem Abstand von vielen, vielen Jahren, hat der Klasse-Keeper seinen Frieden mit der Geschichte gemacht. Auch wegen der neueren Löwen-Historie: „Ich habe mich riesig gefreut, als die Jungs 2018 endlich den Titel in Hamburg gewonnen haben. Ich habe das im Fernsehen verfolgt, denn die Löwen werden immer in meinem Herzen bleiben.“

So habe er auch die beiden Meisterschaften aus der Ferne mitgefeiert, bis heute hat er noch Kontakt zu damaligen Spielern – „wenn auch nicht so intensiv. Aber die Handballwelt ist klein, man sieht sich immer wieder“. An die Zeit Anfang der 2000er Jahre, als es für die Löwen als SG Kronau/Östringen im Zick-Zack-Kurs durch die ersten beiden Ligen ging, erinnert sich Maros Kolpak mit einem lachenden und einem weinenden Augen. „Es war eine schöne Zeit, in der wir viel erlebt haben. Für mich war es auch eine harte Zeit – mit einer schweren Verletzung.“ Im Januar 2003, während des ersten Bundesliga-Jahres der Vereinsgeschichte, zog sich der damals 31-Jährige einen Kreuzbandriss zu. Die Experten waren sich damals einig: Auch wegen der Verletzung ihres Leistungsträgers stiegen die „Kröstis“ direkt wieder ab.

Nicht zuletzt Dank der Paraden des wieder genesenen Maros Kolpak ging es im Frühjahr 2004 nach einem weiteren Zweitliga-Jahr wieder nach oben. „Danach haben wir uns dann Schritt für Schritt in der Bundesliga etabliert – bis hin zum Titelkandidaten“, berichtet der Mann, der heute unter anderem als Torwarttrainer für seinen Heimatklub Tatran Presov arbeitet. Dort gibt er nun seine Erfahrungen aus seiner Löwen-Zeit in der Bundesliga weiter. Seine eigene Leistung, seine speziellen Stärken im Torwart-Spiel, beschreibt er in der für ihn typischen, lässigen Art: „Ich habe einfach Bälle gehalten.“ Und wie.

„Ja, der Maros, das war schon ein Guter“, erinnert sich Conny Hoffmann. Vor allem sein Stellungsspiel sei überragend gewesen. Uwe Gensheimer, der 2003 als Küken direkt unter die Fittiche des „alten Schlachtrosses“ genommen wurde, erinnert sich noch gut an seinen Weggefährten: „Maros Kolpak war zu dieser Zeit, als ich als ganz junger Spieler in die erste Mannschaft hochkam, ein ganz wichtiger Ansprechpartner für mich. Ich habe mich mit ihm sehr viel über Würfe ausgetauscht, über das Wurfverhalten und wie der Torhüter meine Würfe wahrnimmt. Natürlich konnte ich von einem solch erfahrenen Mann viel lernen.“

Umgekehrt erinnert sich Maros Kolpak sehr gerne an den 17-jährigen Senkrechtstarter: „Uwe kam als ganz junger Spieler zur Mannschaft und wir hatten direkt ein tolles Verhältnis zueinander. Man hat gleich gemerkt: Das ist ein sehr großes Talent. Ich hatte keine Bedenken, ihn auch mit riskanten Anspielen beim Gegenstoß zu füttern.“ Seine eigenen Fähigkeiten habe er noch zu weiten Teilen der Torwartschule der ehemaligen Tschechoslowakei zu verdanken: „In meinem Jahrgang gab es damals sehr viele gute Torhüter und so musste ich viel arbeiten, um mich durchzusetzen.“

Erstes Mal in der SAP Arena

Die SAP Arena beeindruckte auch Maros Kolpak.

Schon als junger Mann habe er das Ziel gehabt, sich mit den Besten zu messen. Und so habe er hart geschuftet, um es eines Tages in die Bundesliga zu schaffen. „Dazu hatte ich großes Glück, in Östringen auf Michael Roth als Trainer zu treffen. Das war damals der beste Trainer für mich – und Östringen der perfekte Verein.“ Unter dem Klasse-Coach ging es stetig nach oben, habe laut Maros Kolpak immer eine tolle Atmosphäre in der Mannschaft geherrscht. Und nicht nur da.

Das Feuer innerhalb der Truppe habe sich auch auf die Fans übertragen – egal an welchem Ort. „In den kleinen Hallen in Östringen und Eppelheim war man noch näher an den Zuschauern, das war schon phänomenal. Da hatte man einen ganz anderen Kontakt untereinander“, sagt Maros Kolpak. Andererseits sei das erste Spiel in der SAP Arena vor mehr als 10.000 Zuschauern unvergesslich für ihn gewesen: „Diese Stimmung war unglaublich.“ Etwas, das bis heute so geblieben ist…

Was Maros Kolpak gegenwärtig macht? Neben seiner Tätigkeit als Torwarttrainer ist er beim slowakischen Spitzenklub Tatran Presov auch für die Halle zuständig. „Im Prinzip bin ich den ganzen Tag vor Ort.“ In seiner Freizeit genießt er die Ruhe, kümmert sich um sein Haus, macht gerne Urlaub. „Meine Liebe“, sagt Maros Kolpak, „ist mein Job.“ Ein Job, der ihm in seinem Leben immer wieder Türen öffnete. So auch in seiner Anfangszeit in Östringen.

„Maros war eigentlich ein ruhiger Typ“, erinnert sich Conny Hoffmann. „Ruhig, aber gesellig.“ Nach dem Training habe er oft noch stundenlang mit Mannschaftskameraden zusammengesessen. „Die habe ich manchmal regelrecht aus der Halle scheuchen müssen“, sagt Conny. In Östringen habe Maros sogar seinen Stammtisch gehabt. „Jeden Donnerstag haben die sich getroffen – und das waren keine Handballer.“ So habe sich der „Neuling“ mit der für damalige Verhältnisse fast schon exotischen Herkunft schnell integriert – natürlich auch aufgrund seines speziellen Torwartspiels.

„Er war ein Typ, der vor allem von seinem überragenden Auge gelebt hat. Da war er richtig stark“, erzählt Conny Hoffmann. „Was er überhaupt gar nicht leiden konnte, waren Bälle, welche ihm die Spieler knapp am Kopf vorbeigezogen haben. Da ist er auch schon mal aus dem Tor gestürmt und hat sich Luft verschafft.“

„Ich wüsste nicht, für welches Team ich sein sollte“

Sich Respekt zu verschaffen, ist eine essentielle Eigenschaft für einen Torwart. Maros Kolpak gelang dies sowohl auf als auch neben dem Platz, bei den Löwen und bei jedem anderen Klub, für den er sich zwischen die Pfosten stellte. Am Ende des langen und sehr angenehmen Gesprächs verabschiedet sich der ehemalige Löwen-Matchwinner mit einem Wunsch: „Toll wäre es, die Löwen eines Tages in Presov zu einem Europapokal-Spiel begrüßen zu können. Das wäre großartig.“ Nur ein Problem hätte er dann: „Ich wüsste nicht, für welches Team ich sein sollte.“

Maros Kolpak:

  • geboren am 23. März 1971 in Presov (damals Tschechoslowakei, heute Slowakei)
  • wechselte 1997 von VSZ Kosice zum TSV Baden Östringen
  • spielte in Deutschland noch für SVH Kassel und ASV Hamm
  • absolvierte 71 Länderspiele für die Slowakei
  • arbeitet heute wieder für seinen Heimatverein Tatran Presov

Die wichtigsten Eckdaten zu Kolpaks Zeit bei den Löwen:

  • 1997-2002 TSV Baden Östringen (2. Bundesliga)
  • 2002-2006 SG Kronau/Östringen (1. und 2. BL)
  • 2007-2009 Rhein-Neckar Löwen (1. BL)