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„In jedes Spiel gehen, als ob es ein Endspiel wäre“

Oli Roggisch über Kaderplanung, die Bundesliga und sein Verhältnis zum Trainer

Die erste Hälfte der Saison 2017/18 hätte für die Rhein-Neckar Löwen kaum besser verlaufen können. In der DKB Handball-Bundesliga hat man sich die Herbstmeisterschaft gesichert, in der VELUX EHF Champions League eine gute Ausgangsposition für das Weiterkommen geschaffen – und im DHB-Pokal fehlt noch ein Sieg bis zum Final Four in Hamburg. Oliver Roggisch, Sportlicher Leiter der Löwen, zieht denn auch ein überwiegend positives Fazit, spricht aber auch kritisch über den „schwarzen November“ und die Belastungsverteilung in Europa. Gute Laune kommt bei „The Rogg“ auf, wenn er über Neuzugang Jesper Nielsen, den aktuellen Löwen-Kader und die Arbeit mit Trainer Nikolaj Jacobsen redet. 

Die Mannschaft hat insgesamt eine bockstarke erste Saisonhälfte hingelegt. Was hat Dir besonders gut gefallen?

Oliver Roggisch: Vor allen Dingen hat mich beeindruckt, wie wir in die Saison gestartet sind – und das nach all den Abgängen. Vor allem der Abschied von Kim Ekdahl du Rietz war ein Riesenschock für uns, aber wir haben das als Mannschaft gut verarbeitet. Dann haben wir die Neuzugänge schnell integriert. Auch wie fit die Jungs aus der Sommerpause gekommen sind, hat mir sehr gefallen. Die Jungs haben hart an sich gearbeitet.

Wie hast Du den „schwarzen November“ erlebt, indem ihr fast nur auf Auswärtsreisen wart, den ihr aber insgesamt mehr als ordentlich überstanden habt?

Roggisch: Der November war schwierig, das haben wir aber auch von Anfang an gewusst und uns darauf einstellen können. Es gibt einfach Dinge, die man nicht beeinflussen kann, die dann aber die Mannschaft ausbaden muss. Auch das hat sie gut gelöst. Dass man dabei auch Spiele verliert, ist völlig normal. Das Göppingen-Spiel (26:28, Anm. d. Red.) tut natürlich dennoch weh. Jetzt müssen wir hoffen, dass diese zwei Punkte, die uns durch die Niederlage fehlen, am Ende nicht über die Meisterschaft oder die Champions-League-Qualifikation entscheiden. Das wäre dann richtig, richtig bitter.

Insgesamt fällt das Fazit aber sehr positiv aus, oder?

Roggisch: Auf jeden Fall. Dass wir Herbstmeister in der Bundesliga geworden sind, obwohl die Liga in der Spitze noch einmal stärker geworden ist und es viele Überraschungen gegeben hat, damit können wir sehr zufrieden sein. Auch dass wir weitestgehend von Verletzungen verschont geblieben sind, ist ebenfalls sehr erfreulich und lässt uns auch sehr zuversichtlich nach vorne schauen.

In der Liga ist es so, dass nicht nur die drei Teams hinter dem Spitzentrio zugelegt haben, sondern auch wieder die Mannschaften dahinter, wenn man sich die Ergebnisse von Hannover oder Leipzig anschaut. Das macht insbesondere die Auswärtsspiele noch einmal anspruchsvoller…

Roggisch: Nicht nur die Auswärtsspiele. Du musst auch zuhause gegen jede Mannschaft Gas geben. Es gibt kein Spiel, das du locker runterspielen kannst. Das gibt es aber auch seit vielen Jahren nicht mehr. Das macht es für eine Spitzenmannschaft unheimlich gefährlich und anstrengend, vor allem auch für die Psyche. Du musst in jedes Spiel mit Vollgas gehen, kannst höchstens gegen Ende, falls du deutlich führst, ein bisschen rausnehmen. Letztlich musst du aber jeden Gegner ernstnehmen und in jedes Spiel gehen, als ob es ein Endspiel wäre. Das fordert einen schon sehr und ist in den meisten Ligen Europas nicht so, wo man das Gros der Spiele quasi im Vorbeigehen gewinnt. Solche Spiele gibt es in der Bundesliga gar nicht – und das macht es so anspruchsvoll.

Anspruchsvoll und wertvoll…

Roggisch: Klar. Wenn man nach 34 Spielen in dieser Liga ganz vorne steht, dann heißt das sehr, sehr viel. Darauf kann man stolz sein. Für uns bedeutet das entsprechend einen riesigen Ansporn, in dieser Saison den Titel zu verteidigen. Herbstmeister ist schön. Aber es wäre noch viel, viel schöner, am Ende der Spielzeit oben zu stehen.

Die fordernde Bundesliga macht es schwerer, auch in der VELUX EHF Champions League erfolgreich zu sein. Dennoch hat man den Eindruck, dass die Jungs in diesem Jahr besonders heiß darauf sind, es ins Final Four nach Köln zu schaffen.

Roggisch: Das Ziel Final Four haben wir eigentlich immer. Man muss aber auch sagen, dass die Priorität klar auf der Bundesliga liegt. Das liegt vor allem auch daran, dass du dir in der Meisterschaft eigentlich keinen Ausrutscher erlauben darfst – auch wenn das in diesem Jahr ein bisschen anders ist, als in den Vorjahren. In der Champions League hingegen kannst du dir während der langen Gruppenphase schon eher eine Niederlage erlauben. Dennoch haben wir natürlich den Anspruch, auch in diesem Wettbewerb weit zu kommen. Wir treten hier nicht an, um etwas wegzuschenken. Dass es sehr schwierig ist für eine deutsche Mannschaft, überhaupt ins Final Four zu kommen, sieht man ja an den Ergebnissen der vergangenen Jahre. Teams aus anderen Ländern können aufgrund der Schwäche ihrer Liga die Priorität auf die Königsklasse legen – und das ist ein riesiger Wettbewerbsvorteil.

Birgt das nicht die Gefahr, dass mit Deutschland ein Handball-Kernland in diesem Vorzeige-Wettbewerb komplett abgehängt wird?

Roggisch: Natürlich. Da muss man mit Blick auf die ganze Sportart höllisch aufpassen. Wir haben die stärkste Liga der Welt und tauchen nicht im Final Four auf…

Das passt ja auch in die Debatte um den einen gestrichenen Startplatz für die DKB Handball-Bundesliga in der VELUX EHF Champions League. Dir dürfte das weniger gefallen…

Roggisch: Das halte ich für sehr gefährlich, auch unabhängig davon, dass das Final Four in Köln ist und vor vielen deutschen Handballfans stattfindet. Gerade vor dem Hintergrund, dass wir hier nun einmal die stärkste Liga haben, finde ich die Entscheidung der EHF sehr schade. Für uns heißt das, dass wir schauen müssen, immer zu den ersten Zwei in der Bundesliga zu gehören.

Kommen wir zum jüngsten Neuzugang des Löwenrudels. Jesper Nielsen ist eine große Verstärkung…

Roggisch: Definitiv. Dass uns Hendrik Pekeler verlässt, bedeutet einen großen Verlust für die Mannschaft. Umso mehr freuen wir uns, dass wir Jesper für uns gewinnen konnten. Er hat in Berlin ein paar großartige Spielzeiten hingelegt und gezeigt, dass er ein richtig guter Abwehrspieler ist, in der 6:0-Formation stark agiert und super blocken kann. Da sieht man die schwedische Schule. Vorne ist er ein ganz anderer Typ als Jannik Kohlbacher (der ebenfalls im Sommer neu zu den Löwen kommt, Anm. d. Red.), der eher für die Bodenpässe zu haben ist. Jesper bringt Gardemaß mit, was zusammen mit Jannik für uns die ideale Kombination bedeutet. Damit können wir in Hinblick auf unterschiedliche Gegner und Formationen variieren. Jesper wird vor allem auch eine große Rolle in der Abwehr spielen. Wir sind sehr froh, dass wir mit ihm eine sehr gute Alternative zu „Peke“ finden konnten.

Jesper Nielsen steht – genauso wie der Rest der Mannschaft – für sportliche Extraklasse, aber auch für einen starken Charakter und eine hochprofessionelle Einstellung. Etwas, welches das aktuelle Löwen-Team besonders auszeichnet…

Roggisch: Das ist auf jeden Fall so. Man sieht die Handschrift der Rhein-Neckar Löwen, zu der gehört, dass man auf die Spieler setzt, die man aus wohlüberlegten Gründen hierhergeholt hat und dass man nicht alle zwei Jahre den Kader mehr oder weniger komplett austauscht. Leider verlässt uns Hendrik Pekeler, was vor allem auch an familiären Dingen liegt. Wir selbst hätten sehr gerne mit ihm verlängert. Es ist aber auch ein gutes Zeichen, dass uns Spieler nicht verlassen, weil sie unzufrieden sind. Wir haben das Riesenglück, dass wir eine Supertruppe haben, ein gutes Umfeld, ein sehr sympathisches Auftreten und mit der SAP Arena eine tolle Heimspielstätte. Ich denke, dass wir einen Klub haben, in dem man sich sehr wohlfühlen kann und dass wir umgekehrt stolz darauf sein können, welche Spieler zu uns kommen, auch wenn wir nicht den dicksten Geldbeutel haben. Wir punkten mit anderen Dingen, zum Beispiel mit einem überragenden Trainer, der es schafft, den Spielern jeden Tag Spaß am Training zu vermitteln. Auch deshalb feiern wir Erfolge: Weil es Spaß macht, hier zu arbeiten und zu trainieren.

Unter den Fans ist die Verjüngung des Kaders ein großes Thema. Ist das eine der Aufgaben, die in der kommenden Zeit mit am dringlichsten ist?

Roggisch: Das wird sicherlich ein Thema werden. Andererseits muss man sehen, dass wahrscheinlich die wenigsten gedacht haben, dass beispielsweise ein Alexander Petersson solange auf höchstem Niveau würde spielen können. Nikolaj Jacobsen und ich sehen die Jungs jeden Tag im Training und wissen, in welchem Zustand sie sind. Es ist klar, dass das Alter unter den Fans ein Thema ist. Das kann ich gut nachvollziehen, damit können wir umgehen. Allerdings glaube ich auch, dass wir in dieser Hinsicht oft die richtige Entscheidung getroffen haben, wenn wir auch an älteren Spielern festgehalten, ihnen Vertrauen geschenkt haben. Auch das ist unsere Philosophie: Nie einen Spieler vorschnell abzuschreiben. Genau das ist auch ein Grund dafür, dass wir die letzten zwei Jahre so erfolgreich waren.

Wir müssen auch noch einmal über das Thema Trainer sprechen. Eine Lokalzeitung aus Heidelberg hat Nikolaj Jacobsens vorzeitigen Abgang nach dieser Saison verkündet, Niko mittlerweile mehrfach dementiert, und auch die Zeitung ist zurückgerudert. Aktuell gehen die Überlegungen dahin, den Vertrag noch einmal zu verlängern. Wie ist da der Stand?

Roggisch: Fakt ist, dass Nikolaj seinen Vertrag bis 2019 erfüllen wird. Er ist nicht nur ein richtig guter Trainer, sondern auch ein guter Typ. Wenn er sein Wort gibt und einen Vertrag unterschreibt, dann steht er auch dazu. Ich bin zunächst einmal froh, noch eineinhalb Jahre mit ihm zusammenarbeiten zu können. Alles andere wird man sehen. Wir werden uns schon einmal zusammensetzen, wir haben ja ein gutes Verhältnis und sprechen ohnehin sehr viel miteinander. Er wird uns sicher ein Signal geben, wie es weitergeht. Klar ist: Bevor wir mit anderen Trainern sprechen, sprechen wir mit Nikolaj.

Wie er die Mannschaft vor allem auch durch die harten Phasen Anfang Oktober und im November geführt hat, war schon einzigartig…

Roggisch: Da muss man sagen, dass er insgesamt äußerst selten einen taktischen Fehler macht. Manchmal gelingt es eben auch nicht, die Vorgaben zu 100 Prozent umsetzen – das schafft aber auch keine Mannschaft der Welt. Andererseits gibt es auch Tage, an denen der Gegner einfach besser ist. Das kann man dann aber akzeptieren – und das sagt auch Nikolaj: Wenn wir auf ein gewisses Level kommen, den Kampf annehmen und nicht zu viele technische Fehler machen, kann man auch damit leben, einmal nicht die bessere Mannschaft zu sein. Dass Nikolaj ein Trainer ist, der die Spieler perfekt einstellt, steht außer Frage. Hinzu kommt, dass wir auch die Spieler haben, die das umsetzen können wie zum Beispiel einen Andy Schmid, der sicher zu den besten Spielmachern der Welt gehört. Es macht Spaß zuzusehen, wie das Zusammenspiel von Nikolaj und Andy funktioniert, wie die beiden sich verstehen und Andy das umsetzt, was Nikolaj vorgibt. Das gilt aber auch für viele andere Spieler auf ihren Positionen – insbesondere in der Abwehr. Es gibt wohl keine Variante, die wir da nicht gespielt haben.

Der jüngste Coup war, „Peke“ auf die „Eins“ zu stellen…

Roggisch: Das ist natürlich extrem, mit Hendrik auf der „Eins“ zu spielen. Er kann mit seiner Größe die Passwege sehr gut zustellen, ist zudem noch sehr beweglich und nimmt die Kreuzungen des Gegners unfassbar gut weg. Einen Spieler auf der „Eins“ zu haben, der so groß und zugleich so beweglich ist, ist natürlich Gold wert. Zumal man auch noch die Option hat, bei Übergängen in die 6:0-Abwehr zu wechseln. Da hat man dann einen 2-Meter-Mann im Innenblock stehen und keinen viel kleineren Außenspieler, wie das in der Regel der Fall ist. Das ist eine tolle Variante. Wobei man nicht vergessen darf, dass die 6:0-Abwehr uns in den vergangenen Jahren die Grundlage des Erfolges verschafft hat – und immer noch sehr wichtig für uns ist.