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Mit Respekt und Neugierde (MM)

Harald Reinkind geht ab der nächsten Saison für die Rhein-Neckar Löwen auf Torejagd. Der Norweger freut sich auf die Handball-Bundesliga – weiß aber auch um den großen Sprung.

Dieses Buch ist sein ständiger Begleiter. Auf Reisen. Am Abend. In der Freizeit. Es ist kein Krimi und auch kein Roman. Und es ist auch nicht immer der große Lesespaß. Aber Harald Reinkind hat keine andere Wahl. Ab der nächsten Saison spielt der Norweger für die Rhein-Neckar Löwen – und wenn er sich mit seinen Mannschaftskollegen verständigen will, muss der Rückraumspieler die Sprache können. Deswegen ging der Linkshänder Anfang des Jahres in die Buchhandlung und griff zielsicher ins Regal, bis er das gesuchte Werk in der Hand hielt: „Deutsch für Anfänger“. Er müsse ganz von vorne anfangen, die einfachsten Vokabeln lernen, berichtet der 21-Jährige, der niemals zuvor mit der deutschen Sprache in Kontakt gekommen war: „In der Schule hatte ich Französisch.“ Und Englisch. Doch das bringt ihm ab Juli nur wenig.

Reinkind fiebert dem Abenteuer Bundesliga entgegen, ist bereit für den großen Schritt. „Die Löwen sind ein aufregender Verein mit sehr viel Potenzial“, meint der Halbrechte, dem insbesondere die Mischung beim deutschen Vize-Meister gefällt: „Es gibt viele junge und gleichzeitig einige sehr erfahrene Spieler. Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Mannschaft einfach prima zusammenpasst. Außerdem treffe ich dort auch auf ein paar weitere Skandinavier.“ Zum Beispiel auf seinen Landsmann Bjarte Myrhol, der ihm schon ein bisschen über die Löwen erzählt hat: „Er sagte mir, dass dieser Verein perfekt für einen jungen Spieler wie mich ist und dass die Mannschaft zuletzt viel Spaß zusammen gehabt hat.“ Keine Frage: Myrhol hat Reinkind schon ganz neugierig gemacht: auf seine Kollegen, die SAP Arena, auf Heidelberg. Die Stadt am Neckar wird seine neue Heimat, viel hat er allerdings noch nicht gesehen. „Es soll dort sehr schön sein, wurde mir versichert“, meint der Mann aus Trondheim, der über seine Schwester zur Harzkugel gekommen ist: „Sie spielte Handball, ich wollte das dann auch ausprobieren. Damals war ich acht Jahre alt.“ Und bis heute ist der EM-Teilnehmer von 2014 seinem Sport treu geblieben – was angesichts des Wechsels zu den Löwen nicht die schlechteste Entscheidung gewesen ist.

Besonders freut sich der Norweger auf Alexander Petersson, mit dem er in der nächsten Saison das Gespann im rechten Rückraum bilden wird. „Er zeigt seit Jahren starke Leistungen auf konstant hohem Niveau. Alex ist ein sehr intelligenter Spieler, von dem ich sehr viel lernen kann“, ist sich der Halbrechte sicher. Gleichwohl hat das Rückraum-Talent auch Respekt vor seiner neuen Aufgabe. „Ich weiß, dass es sehr schwer für mich werden wird und ich für jedes meiner Tore hart arbeiten muss. Ich habe großen Respekt vor der Bundesliga. Aber ich fühle mich bereit für diese Herausforderung.“

In den vergangenen Wochen drückte er aus der Heimat den Löwen die Daumen, hoffte auf den Titelgewinn der Gelbhemden in der Bundesliga. „Ich habe Bjarte gesagt, dass er viele Tore machen soll“, berichtet Reinkind, der über die Spiele seines künftigen Klubs immer bestens informiert war: „Es wäre so wunderbar für diesen Verein gewesen, wenn er die Meisterschaft gewonnen hätte.“ Am Ende scheiterten die Löwen in einem Herzschlagfinale nur knapp am punktgleichen THW Kiel, auf den in der kommenden Saison mit dem neuen Trainer Nikolaj Jacobsen der nächste Angriff gestartet werden soll.

Eine schwere aber nicht unmögliche Aufgabe. Es wird vor allem darauf ankommen, wie schnell sich die Neuzugänge wie Reinkind integrieren und ob sich Jacobsens Ideen zügig umsetzen lassen. Um herauszufinden, wie sein zukünftiger Trainer so tickt, informierte sich Reinkind schon bei seinen Landsleuten Ole Erevik und Havard Tvedten, die in Aalborg mit dem künftigen Löwen-Coach arbeiteten. „Sie haben mir nur Gutes berichtet. Ich habe außerdem ein paar Spiele im Fernsehen gesehen. Nikolaj wird sehr temperamentvoll an der Seitenlinie, wenn es nicht nach Plan läuft“, berichtet der Norweger mit einem Lachen von seinen Beobachtungen.

Bevor es für ihn in die Rhein-Neckar-Region geht, steht für den Linkshänder am Mittwoch mit der norwegischen Auswahl noch ein Testspiel in Wetzlar gegen die deutsche Mannschaft an. „Ich hoffe, dass wir uns für die WM qualifizieren“, sagt Reinkind mit Blick auf die WM-Play-offs gegen Österreich: „Diese Partien sind für den Stellenwert des Handballs in Norwegen von großer Bedeutung.“ Was allerdings in erster Linie für die Herren-Nationalmannschaft gilt. Die weibliche Auswahl räumte in den vergangenen Jahren bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften reichlich ab und erfreut sich einer riesigen Popularität. „Ich glaube, meine Landsleute sehen lieber Gewinner als Verlierer“, versucht Reinkind mit einem Augenzwinkern das unterschiedliche öffentliche Interesse an den beiden Nationalmannschaften zu erklären.

Zu den Ligaspielen in Norwegen kommen maximal 2000 Zuschauer, in der Regel sind es eher 500 bis 1000. „Die Qualität der Liga ist vielleicht vergleichbar mit der zweiten Liga in Deutschland“, berichtet der 21-Jährige. Der Norweger weiß, dass ihn in Deutschland etwas ganz anderes erwartet. Er will deshalb bestens vorbereitet sein – und widmet sich bis zum Trainingsstart weiterhin seiner Lektüre.

Von Marc Stevermüer