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Weltstar in Wetzlar (MM)

Diesen Transfer hatte der HSG Wetzlar niemand zugetraut. Doch als Atlético Madrid das Geld ausging, lockten die Mittelhessen den zweimaligen Welt-Handballer Ivano Balic in die Bundesliga. Heute spielt der Paradiesvogel mit der HSG bei den Rhein-Neckar Löwen – und will der Partie seinen Stempel aufdrücken.

4218 Fans sind gekommen, um vor allem ihn zu sehen. Seine Tore. Seine Tricks. Doch dann müssen sie erst einmal 19 Minuten warten, ehe Ivano Balic zum ersten Mal das Feld betrat. Dem Superstar der HSG Wetzlar, der erst vor drei Wochen zum Handball-Bundesligisten gewechselt ist, fehlt noch ein wenig die Bindung zur Mannschaft – und doch kann er mit genialen Einzelaktionen immer etwas bewirken. Beim Saisonstart der Mittelhessen vor sieben Tagen gegen den TBV Lemgo kommt der „Mozart des Handballs“, wie der Kroate in seiner Heimat genannt wird, beim Stand von 9:13 in die Partie. Seine ersten Schritte in der Arena werden von einem Raunen begleitet, sein erstes und einziges Tor zum 14:14 mit einem Jubelsturm. Doch letztendlich kann auch der Welt-Handballer der Jahre 2003 und 2006 die 26:28-Niederlage nicht verhindern.

„Ich hätte noch zwei, drei Wochen gebraucht, um die Spieler besser kennenzulernen. Wir brauchen einfach Zeit, um die Abläufe zu verinnerlichen“, meint der Paradiesvogel, der in der Provinz für reichlich Glanz und Glamour sorgt. Der Hype um den 34-jährigen Ausnahmespieler führt die HSG in eine neue Dimension, wie der Wetzlarer Geschäftsführer Björn Seipp stolz verkündet: „Wir haben nicht nur den größten Transfer unserer Vereinsgeschichte abgewickelt, sondern den spektakulärsten der Bundesliga-Sommerpause.“ Dem ist fraglos nichts hinzuzufügen, zumal der Wetzlarer Coup der ganzen Liga gut tut. Stars wie Thierry Omeyer, Daniel Narcisse und Igor Vori haben den THW Kiel und den HSV Hamburg verlassen, dafür kam mit Balic der „beste und spektakulärste Spieler der vergangenen zehn bis 15 Jahre“, wie TV-Experte Stefan Kretzschmar bei Sport1 jubiliert: „Ich habe es nie für möglich gehalten, aber ich werde jetzt wohl das eine oder andere Mal ein Wetzlar-Trikot tragen.“ Und es kommt noch besser: Der Handball-Punk will sogar im grün-weißen Balic-Dress schlafen.

„Ivano ist ein bunter Vogel und wird die Liga bereichern“, glaubt auch Thorsten Storm, Manager der Rhein-Neckar Löwen, vor dem heutigen Heimspiel (15 Uhr/SAP Arena) des EHF-Pokalsiegers gegen Wetzlar. Und der Respekt vorm Magier vom Balkan ist riesig, denn auch wenn der Weltmeister von 2003 ein wenig von seiner einstigen Extraklasse verloren hat, so kann er mit seinen Geistesblitzen noch immer den kleinen aber feinen Unterschied ausmachen. Denn Balic, das steht außer Frage, ist ein Phänomen, ein Genie. Zlatko Feric, aktuell Teammanager des TuS N-Lübbecke und ebenfalls Kroate, erinnert sich im „Spiegel“ noch genau an die ersten Schritte des Regisseurs, der ihn sofort faszinierte: „Es war damals bei ihm ein bisschen so, Gott bei der Arbeit zuzusehen, nur dass es nicht wie Arbeit aussah.“

In der Tat ist der Familienvater ein außergewöhnlicher Spieler. Er wirkt phlegmatisch, teilnahmslos auf der Platte, schaltet aber explosionsartig auf Hoch-Geschwindigkeit um. Dann schwebt er förmlich übers Parkett und seine langen, dunklen Haare – mit denen er auch als Rock-Musiker auf der Bühne stehen könnte – wehen durch die Halle. Seine ganze Körpersprache drückt vor allem eines aus: Gelassenheit – und keine Arroganz. Obwohl ihm provozierendes Gehabe immer wieder vorgeworfen wird. Doch die Lockerheit, der Reiz des Risikos – all das gehört zu seinem Spiel, das nichts mit Überheblichkeit zu tun hat, sondern durch seine Begeisterung für den amerikanischen Profi-Basketball beeinflusst wurde. Dort hat sich der Olympiasieger von 2004 beispielsweise seine gefürchteten „No-Look-Pässe“ an den Kreis abgeschaut.

Gegen Lemgo ist davon am ersten Spieltag noch nicht viel zu sehen, trotzdem ist der von zahlreichen Journalisten und Autogrammjägern umzingelte 34-Jährige nach der Begegnung glücklich: „Es war großartig. Die Halle war voll. Ich hoffe, das wird bei jedem Spiel so.“ Davon kann er ausgehen.

Von Marc Stevermüer