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„Wichtig ist es, wer nach 34 Spieltagen ganz oben steht“

Oliver Roggisch im Interview

In der laufenden Spielzeit geht Oliver Roggisch in seine zweite Saison als Teammanager der Rhein-Neckar Löwen. Der ehemalige Abwehrchef der Badener unterstützt zudem als Co-Trainer die Arbeit von Nikolaj Jacobsen bei den Spielen auf der Bank. Im Interview spricht Roggisch über seine neuen Aufgaben bei den Löwen, abseits des Spielfeldes, den erfolgreichen Saisonstart des Vizemeisters und über den kommenden Gegner KS Vive Tauron Kielce in der Champions League.

Oli, du gehst jetzt in dein zweites Jahr nach der aktiven Karriere, hast dich aber gut gehalten. Wie kommt’s? Sind das die täglichen Trainingseinheiten? Konntest du deinen Vorsatz durchhalten, mit dem Rad ins Trainingszentrum zu fahren oder zehrt der Stress auf der Bank?

Oliver Roggisch (lacht): Na ja, ein paar Kilo sind schon drauf gekommen, ganz so einfach ist es nicht. Und im Ernst: Die Ernährung ist schon ein Thema. Man würde gerne weiter so essen wie ein Profi-Sportler, bewegt sich aber natürlich nicht so oft wie zur aktiven Zeit. Mit den neuen Aufgaben im Verein, ist die Freizeit für sportliche Aktivitäten tatsächlich weniger geworden und man kann nicht bei jeder Einheit mitmachen, weil noch viele andere Dinge zu erledigen sind. Aber da geht noch was, die Laufschuhe sind jedenfalls bestellt.

Bei den Heimspielen wirst du inzwischen als Co-Trainer aufgerufen. Haben sich da die Rollen zwischen Team-Management und Co-Trainer-Job verschoben?

Roggisch: Nicht direkt, ich sehe mich weiter eher als Team-Manager. Aber als unser Cheftrainer Nikolaj Jacobsen mich gefragt hat, ob ich mir das vorstellen kann, musste ich nicht lange überlegen, weil wir handballerisch auf einer Wellenlänge liegen und ich ohnehin bei jeder Trainingseinheit dabei bin, wenn es möglich ist. Was die Abläufe im Verein betrifft, habe ich versucht, ihm von Anfang an zu helfen und das hat sich ausgezahlt. Bei den Spielen hat er beim Coaching natürlich das Heft in der Hand, und auch die Offensive ist seine Domäne. Aber wenn ich während den Spielen unseren Abwehrspezialisten Gedéon Guardiola oder Stefan Kneer ein paar Tipps geben kann, bringe ich mich da mit Blick auf meine eigenen Erfahrungen als Spieler natürlich gerne ein.

Als ehemaliger Abwehrchef der Löwen, gefällt dir sicher besonders, wie sich die aktuelle Mannschaft in der Defensive verhält…

Roggisch: Ja, das macht echt Spaß, zuzuschauen. Unsere 6:0-Abwehr hat ja in der vergangenen Saison schon super gestanden, aber wie wir jetzt unsere 3:3-Formation nochmals weiterentwickeln konnten, ist schon ein echter Fortschritt. Wir können jetzt echt behaupten, dass beide Formationen zu 100 Prozent stehen und bei der 3:3 mit Stefan Kneer auf der Spitze hat man gesehen, was da möglich ist. Uwe Gensheimer hat das in der vergangenen Saison auch schon gut gemacht, aber Stefan ist körperlich noch einen Tick stärker und Uwe war da natürlich im Angriff und in der Abwehr gefordert, was an die Kräfte ging.

Gerade zum Champions-League-Auftakt gegen Barcelona hat Stefan auf dieser Position wohl sein bislang bestes Spiel für die Löwen gemacht, jede Kreuzung gestoppt, im Eins-gegen-eins sicher gestanden. Hat dich das überrascht?

Roggisch: Wir wussten schon, dass wir so agieren können. Dass wir das dann 60 Minuten auf diesem Niveau durchgehalten haben, hat vielleicht nicht jeder erwartet – auch nicht Barcelona, die da echte Probleme mit uns hatten.

Mit Hendrik Pekeler hat sich nun ein Spieler zurückgemeldet, der ebenfalls seine Qualitäten in der Defensive hat…

Roggisch: Ja, ihn müssen wir jetzt Schritt für Schritt heranführen, schließlich hat er fünf Monate Pause hinter sich. Aber mit ihm werden wir noch variabler, weil wir dann eine 5:1-Formation wie in der Nationalmannschaft spielen können. Das ist echt eine weitere Waffe. Zudem haben wir noch andere Möglichkeiten, wie Kim Ekdahl du Rietz im Innenblock. Auch das haben wir schon ausprobiert. Wenn wir uns momentan um einen Mannschaftsteil keine Sorgen machen müssen, dann ist es sicherlich die Abwehr.

Zur Defensive gehören auch die Torhüter. Dort musstet ihr den Abgang von einem Weltklasse-Mann wie Niklas Landin verkraften. Kann das durch die Neuverpflichtungen auf dieser Position kompensiert werden?

Roggisch: Niklas ist ein Ausnahme-Torwart, keine Frage. Aber ich würde sagen, dass wir mit Mikael Appelgren und Darko Stanic in der Summe sogar besser aufgestellt sind. Mikael hat schon in Melsungen gezeigt, welches Talent in ihm steckt und das in unserer ersten Champions-League-Partie gegen Barcelona unter Beweis gestellt. Und er ergänzt sich hervorragend mit Darko Stanic.

…der ein ganz anderer Typ ist.

Roggisch: Und das macht diese Kombination so stark. Während Mikael wie ein Wahnsinniger trainiert, ist Darko eben keine 20 mehr und muss mit seinen Kräften vielleicht mehr haushalten. Aber seine Erfahrung ist unbezahlbar und wir akzeptieren ihn, wie er ist. Wir haben zu ihm gesagt, dass alles, was war, für uns Vergangenheit ist und nicht zählt. Ich glaube, dass er uns diesen Vertrauensvorschuss zurückgibt. Dass es nun keine echte Nummer eins mehr gibt, muss
sicher kein Nachteil sein.

Mit der Partie gegen KS Vive Tauron Kielce startet ihr am Mittwoch in das zweite Heimspiel der Champions League. Das erfolgreiche Debüt gegen Titelverteidiger FC Barcelona und der starke Auftritt beim Erfolg in Kolding geben euch sicher Selbstvertrauen?

Roggisch: Ja, der Auftakt gegen den FC Barcelona war wirklich klasse,da war echte Champions-League-Atmosphäre. Natürlich hätten wir uns gegen eine solche Klasse-Mannschaft noch ein paar Zuschauer mehr gewünscht, vielleicht war es für einen solchen Knaller noch zu früh in der Saison. Aber die fast 8000, die in der Arena waren, haben von Beginn an gemerkt, dass das ein besonderes Spiel ist. So brauchen wir die Arena auch in der Bundesliga, das gibt den Spielern nochmals den Zehn-Prozent-Extra-Kick, die nötig sind, um solche Spiele erfolgreich zu gestalten. So eine Stimmung brauchen wir auch am Mittwoch gegen Kielce wieder. Nach dem Auswärtssieg in Kolding wollen wir auch gegen Kielce wieder unsere Chance suchen, in der SAP Arena soll es niemand einfach haben zu punkten.

Hättest du gedacht, dass eure Leistung schon für Top-Teams wie den FC Barcelona reicht?

Roggisch: Vielleicht muss man das etwas relativieren. Das war damals der erste Spieltag, an dem viele Favoriten wie Paris, Kielce, Kiel oder Veszprem nicht so aus den Startlöchern gekommen sind, wie erwartet. Auch Barcelona hat bei uns sicher nicht seinen besten Tag erwischt und muss den Abgang von Nikola Karabatic kompensieren. Aber unsere Mannschaft hatte von Beginn an einen großartigen Willen und verdient gewonnen.

Was erwartest du vom kommenden Gegner Kielce?

Roggisch: Das ist natürlich eine sehr unangenehme Mannschaft, die nicht zuletzt in der Abwehr traditionell hart und sehr aggressiv zu Werke geht. Dahinter spielt mit Slawomir Szmal ein Klasse-Keeper, den wir bei den Löwen wie andere alte Bekannte natürlich bestens kennen. Kielce hat einige Spieler in seinen Reihen, die an einem guten Tag ein Team komplett kaputt schießen können. Ich hoffe, dass zum Beispiel Karol Bielecki oder Krysztof Lijewski gegen uns nicht ihren besten Tag erwischen, sonst wird es gegen diese Mannschaft echt heftig.

Beim letzten Aufeinandertreffen im Frühjahr 2014, als ihr Kielce im Viertelfinale ausgeschaltet habt, warst du noch aktiv auf dem Parkett dabei. Das war aufgrund der Vorkommnisse im Hinspiel, als die beiden Trainer nicht nur verbal aneinandergerieten, eine mehr als brisante Partie. Meinst du, dass das heute noch eine Rolle spielt?

Roggisch: Das glaube ich nicht. Handball ist zum Glück ein Sport, in dem die wenigsten nachtragend sind. Nach 60 Minuten ist eigentlich alles vorbei und man kann sich in der nächsten Partie wieder normal begegnen. Damals hat sich die Rivalität in der Pressekonferenz fortgesetzt, aber jetzt gibt es bei uns beispielsweise im zweiten Jahr einen neuen Trainer. Ich glaube nicht, dass da etwas zurückgeblieben ist. Wenn unsere Fans da anderer Meinung sind, können sie das aber natürlich gerne zum Ausdruck bringen (lacht).

Abgesehen von den Spielen gegen Teams, die man aus den Vorjahren bestens kennt – wie siehst du generell den neuen Modus in der Königsklasse mit der erweiterten Gruppenphase?

Roggisch: Ich habe mir inzwischen abgewöhnt, mir da größere Gedanken zu machen. So etwas wird auf höherer Ebene entschieden und im Endeffekt müssen wir das akzeptieren, auch wenn wir natürlich nicht unbedingt begeistert sind, wenn die Belastung für die Mannschaft nochmals erhöht wird. Aber wenn wir uns hinstellen und nur quengeln, hilft das ja auch niemandem weiter. Wir müssen wie andere Mannschaften auch die entsprechenden Lösungen finden.

Ihr hattet zuletzt die Parole ausgegeben, den Schwerpunkt auf die Liga zu legen und in der Königsklasse mit den Kräften eher zu haushalten. Geht das überhaupt, wenn man auf Teams wie Barcelona oder wie am Mittwoch auf Kielce trifft?

Roggisch: Bei solchen Spielen will natürlich kein Profi verlieren oder agiert mit angezogener Handbremse, das sind ja die Momente, für die wir das ganze Jahr trainieren. Aber wir müssen das sicher über die ganze Saison betrachten. Wir haben jetzt schon versucht, die Spielanteile noch mehr zu verteilen und Leistungsträgern Verschnaufpausen zu geben, wenn es sich anbietet. Vielleicht ergeben sich auch der Gruppenphase der Champions League solche Gelegenheiten, die wir dann nutzen können. Unser Ziel ist zunächst das Achtelfinale, und das sollte möglich sein, ohne dass am Ende alle auf dem Zahnfleisch daherkommen. Wir müssen da schon sehr aufpassen, sonst kriegen wir mit unserem schmalen Kader echte Probleme. In der Bundesliga genießen wir die Momentaufnahme an der Tabellenspitze. Wichtig ist es, wer nach 34 Spieltagen ganz oben steht.