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Wie ein Zirkuspferd

Balingen. Er war die Attraktion im Vorprogramm: Beim Aufwärmen hatten ihn alle im Visier, musterten ihn wie ein Zirkuspferd, tuschelten immer wieder hinter vorgehaltener Hand. Karol Bielecki, der Torgarant der Rhein-Neckar Löwen, der im Juni bei einem tragischen Unfall sein linkes Augenlicht verlor, war d a s Gesprächsthema in Balingen: „Guck mal, das ist der, der nur noch ein Auge hat“, sagte ein Mann mittleren Alters und nippte an seinem Bier. Seine Begleiterin nickte: „Ich weiß, das ist der Lange mit der Glatze!“

Kurz darauf spiegelte Bieleckis Glatze dann nur noch am Spielfeldrand. Dort saß er. 60 Minuten lang. Die einstige Rückraum-Granate, die Allzweckwaffe der Badener durfte nicht ballern, nicht schießen. Ist er etwa doch noch nicht fit? Oder vielleicht sogar schon komplett auf dem Löwen-Abstellgleis gelandet? Fragen konnte man ihn das nicht. Der baumlange Pole war schnell weg an diesem Samstagabend, marschierte schnurstracks in die Kabine. Doch das Reden übernahmen andere für ihn. Und die gaben Entwarnung. Ola Lindgren, der Löwen-Dompteur, zum Beispiel: „Karol ist fit, macht sich sehr gut und kann spielen.“ Der Schwede zuckt mit den Schultern, als er das sagt, so als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.

Was bleibt, ist die Frage, warum hat der 28-Jährige dann nicht die Scharfschützen-Abteilung der Gelbhemden angeführt? Eben so wie man es gewohnt ist, wie er es eigentlich seit Jahren tut. „Das hatte taktische Gründe“, verriet Lindgren, „einzig und allein taktische Gründe.“ Kent-Harry Andersson, der Sportliche Berater der Löwen, erläuterte sie: „Gegen eine 3-2-1-Abwehr wie sie die Balinger spielen, ist Grzegorz Tkaczyk die bessere Alternative.“

Widerspruch zwecklos. Denn was Tkaczyk, der einstige Wackelkandidat mit dem Wackel-Knie, beim Landesderby auf die Platte brachte, war grandios: Seine Präzision, seine Wurfkraft, seine Explosivität. Vorzüge, die auch Löwen-Manager Thorsten Storm faszinierten. Der Manager: „Grzegorz hat seine tolle Form bestätigt. Er war unser bester Mann – einfach überragend.“ Ein Fazit, das ein Blick auf den Spielberichtsbogen unterstreicht: Der Rechtshänder erzielte acht Treffer. Erfolgreicher spielte keiner. Unter dem Strich war es wohl eines der besten Spiele, das der Tattoo-Fan je für die „Besten aus dem Südwesten“ gemacht hat. Oder um es mit Lindgrens Worten auszudrücken: „Ein sehr, sehr gutes Level.“

Auf dem sich Bielecki möglichst ebenfalls bald wieder bewegen soll. Bei den Löwen glauben sie daran, hoffen und bangen. Storm scheint von der Rückkehr Bieleckis hingegen bereits überzeugt zu sein: „Karol und seine ganz persönliche Geschichte wird vielen Menschen zu einem Vorbild werden.“

Sein Pflichtspiel-Comeback ist für morgen vorgesehen. Bielecki soll in der SAP Arena (20.15 Uhr) gegen Frisch Auf Göppingen wirbeln. Zumindest im Angriff. Denn in der Abwehr sieht Lindgren noch Steigerungsbedarf: „Da muss Karol weiter an sich arbeiten, um sein eingeschränktes Sichtfeld zu kompensieren, auszugleichen.“ Abwechseln könnte er sich mit Oliver Roggisch, dem Defensiv-Spezialisten.

Und somit endlich wieder zur Attraktion im Löwen-Rückraum werden.

Von Daniel Hund

 30.08.2010