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„Wir müssen das Grundniveau erhöhen“

Kent-Harry Andersson vor dem Spiel gegen Gummersbach im Interview

Kent-Harry Andersson wirkt im Hintergrund. Das ist unter der Woche so – und auch während der Partien der Rhein-Neckar Löwen. Der Sportliche Berater beobachtet das Spielgeschehen und analysiert gleichzeitig die Stärken und Schwächen beim Gegner. Der Schwede unterstützt damit Trainer Ola Lindgren, der dafür verantwortlich war, dass er vor knapp neun Monaten zu den Badenern kam. Im Alter von 60 Jahren möchte Andersson seine Erfahrung bei den Löwen einbringen und bei seiner geplanten letzten Station im Handballzirkus noch einiges bewegen. Vor dem Heimspiel gegen den VfL Gummersbach (Mittwoch, 19 Uhr, SAP ARENA) stellte er sich den Fragen im Interview.

Herr Andersson, sie fungieren bei den Löwen als Sportlicher Berater. Wie muss man sich Ihre Arbeit vorstellen?

Ich bin auf sehr vielen Gebieten aktiv. Im Augenblick ist es sicher so, dass ich die meiste Zeit mit der Vorbereitung auf die kommenden Gegner  verbringe. Ich mache die Videoanalyse und gerade gegen internationale Mannschaften nimmt das sehr viel Zeit in Anspruch. Im Moment spielen wir gerade das Achtelfinale in der Champions League und deshalb muss ich viel DVD schauen.

Was machen Sie darüber hinaus?

Ich spreche natürlich viel mit Ola Lindgren und unterstütze ihn. Außerdem bin ich natürlich auch für die Spieler da und versuche, Hilfestellungen zu geben. Zudem greife ich Thorsten Storm unter die Arme, wenn es nötig ist. Im Grunde bin ich immer da, wenn andere Leute im Klub Hilfe brauchen.

Am Trainingsalltag nehmen Sie nicht teil?

In der Halle stehe ich nicht. Das wollte ich auch gar nicht. Ich habe 30 Jahre als Trainer gearbeitet und habe nach meiner Zeit in Flensburg gesagt, dass ich das nicht mehr machen werde. Und daran halte ich mich auch.

In welchen Bereichen wollen Sie sich verstärkt einbringen?

Es ist daran gedacht, dass ich in der kommenden Saison mehr individuelles Coaching mache. In diesem Bereich habe ich in Schweden eine Ausbildung gemacht und ich glaube, dass ich den Spielern dort helfen kann. Im nächsten Jahr soll ich darüber hinaus mit einem Talentprojekt anfangen. Wir wollen uns in Deutschland, Skandinavien und ganz Europa so aufstellen, dass wir die großen Talente früh entdecken. Dabei soll ich mithelfen, die Strukturen aufzubauen. Das ist zwar ein langfristiges Projekt, das vielleicht zehn Jahre Aufbauarbeit erfordert, aber irgendwann muss man damit anfangen.

Sie kamen im vergangenen Sommer sehr kurzfristig nach Kronau. Haben Sie sich inzwischen in der neuen Heimat eingelebt?

Ja, das kann ich sagen. Ich lebe in Östringen und fühle mich dort sehr wohl. Wenn ich etwas Zeit habe, bin ich meistens in Heidelberg, wo es mir gut gefällt.

Im Sommer haben Sie sich über die heißen Temperaturen gewundert, haben Sie sich inzwischen an das Klima gewöhnt?

Der Herbst war wunderbar mit vielen warmen, schönen Tagen. Das Klima hier ist wirklich toll. Nur im Hochsommer fühlt man sich hier wie in Afrika.

Und haben Sie sich im neuen Klub zu Recht gefunden?

Ja, das ging schnell. Ola Lindgren und Thorsten Storm kannte ich schon von früheren Stationen. Die Rhein-Neckar Löwen sind ein super Verein, bei dem man tolle Möglichkeiten hat.  Deshalb machte es mir vom ersten Tag an Spaß, hier zu arbeiten.

Die Löwen haben große Ziele und wollen Titel gewinnen. Bisher hat es noch nicht geklappt, woran liegt das aus Ihrer Sicht?

Der Verein hat vor ein paar Jahren angefangen, sich hier in der Region ganz neu zu positionieren. Ich vergleiche das immer mit dem HSV Hamburg, dem es ähnlich ging. Die Hamburger hatten auch lange das Problem, die Erwartungen nicht ganz erfüllen zu können. Sie sind jetzt aber auch schon ein paar Jahre länger dabei, deshalb liegen sie im Moment in der Liga vorne. Kontinuität und das richtige Konzept sind im Handball zwei ganz entscheidende Faktoren, außerdem braucht man Ruhe und Zeit, um Erfolge erzielen zu können.

Haben Sie das Gefühl, dass die Löwen auf dem richtigen Weg sind?

Ja, ich denke schon. Wieder das Beispiel Hamburg: Dort gab es in den ersten Jahren große Probleme, die Halle zu füllen. Es herrschte keine gute Stimmung, es war richtig still. Mittlerweile haben sie eine tolle Atmosphäre. Ich finde, wir sind in der SAP ARENA schon ein gutes Stück weiter als der HSV vor ein paar Jahren. Der Verein arbeitet an allen Fronten sehr engagiert, es ist sehr professionell und das wird sich auszahlen.

Wie weit ist die Entwicklung der Mannschaft fortgeschritten?

Ich finde, dass wir jetzt eine gute Truppe haben. Im Sommer kamen viele neue Spieler. Das waren eigentlich zu viel, aber am Anfang einer Entwicklung muss man etwas probieren. Mittlerweile hat sich die Mannschaft gefunden und unser Ziel muss es sein, das Grund-Spielniveau der Truppe zu erhöhen. Damit es keine Ausrutscher mehr wie in Lübbecke oder Berlin gibt.

Oder wie gegen den TSV Hannover-Burgdorf…

Das gehört nicht in diese Reihe. Der Verlauf der Partie gegen Hannover, in der wir viel Glück hatten, hatte andere Ursachen. Einerseits hatte Ola in der Woche zuvor sehr intensiv trainiert, andererseits haben wir den Gegner wohl etwas unterschätzt. Nur so ist es zu erklären, dass so viele Spieler einen schwarzen Tag erwischt haben.

Sie haben von Kontinuität gesprochen, die im Handball entscheidend ist. Im Sommer kommen drei neue Spieler, wirft das zu viel durcheinander?

Nein, auf keinen Fall. Für das nächste Jahr haben wir einen guten Block, der zusammenbleibt. Das ist entscheidend, damit ohne große Probleme ein paar Spieler integriert werden können. Wichtig ist, dass die neuen Spieler einen guten Charakter haben, damit die Mannschaft voran kommt.

Auf der Spielmacher-Position kommt Børge Lund aus Kiel. Er soll das Spiel der Löwen in der kommenden Spielzeit lenken, spielt aber beim THW fast nur in der Abwehr.

Ja, das stimmt. Aber wir haben Børge bei der Europameisterschaft in Österreich beobachtet, wo er ein sehr guter Spielgestalter der Norweger war. Außerdem kennt ihn Ola noch aus seiner Zeit in Nordhorn, wo er glänzend gespielt hat. Das hat ihm schließlich ja auch einen Vertrag in Kiel gebracht. Er ist ein Siegertyp und solche Leute brauchen wir bei den Löwen.

Im Umfeld der Rhein-Neckar Löwen wird viel erwartet. Haben Sie das Gefühl, Vertrauen zu genießen?

Ja, absolut. Das Vertrauen der Gesellschafter und der Führung des Klubs ist deutlich zu spüren. Es ist ja nicht ungewöhnlich, dass von außen Druck erzeugt wird. Ich habe mit den Gesellschaftern viele Gespräche geführt und gemerkt, dass sie wissen, dass man im Handball Zeit und Geduld benötigt, um erfolgreich sein zu können. Auch Jesper Nielsen ist davon überzeugt. Jesper unterstützt dieses Projekt bei den Löwen, weil er den besten Klub der Welt schaffen möchte. Und das schafft man nicht in einem Jahr, eher schon in zehn Jahren

Also kommen Sie mit dem Druck klar, den es hier gibt?

Natürlich. Druck hatte ich ja auch in Flensburg. Wenn wir dort gegen einen Abstiegskandidaten nur mit sieben Toren Differenz gewonnen haben, gab es schon Kritik, weil wir nicht zweistellig gewonnen haben. Hamburg und Kiel haben ja auch Druck. Wichtiger ist, dass man das Vertrauen spürt. Es muss Ruhe innerhalb des Vereins sein, gerade in schwierigen Situationen und entscheidenden Wochen, die vor uns liegen.

Jetzt geht es in der Liga gegen den VfL Gummersbach. Was erwartet die Löwen in dieser Partie?

Der VfL ist für mich die Überraschungsmannschaft in dieser Saison. Die Mannschaft hat im Pokalviertelfinale gegen Kiel gewonnen und in der Liga in Hamburg mit acht Toren triumphiert. Das sagt schon viel über die Qualität aus. Die Gummersbacher haben eine große Stabilität, auch ohne großen Kader. Es wird sehr schwer für uns, aber das wissen wir. Der VfL hat eine Tendenz, gegen gute Mannschaften immer gut zu spielen, ähnlich wie wir.

Zehn Tage nach dem Duell in der Liga treffen die Löwen im Pokal-Halbfinale erneut auf Gummersbach. Welchen Einfluss hat das auf das Spiel in der SAP ARENA?

Ich weiß nicht, was die Gummersbacher in Mannheim zeigen. In Hamburg haben sie eine sehr offensive 3:3-Deckung gespielt und den HSV damit überrascht. Ich denke nicht, dass der VfL in der Bundesliga das zeigt, was er in Hamburg vorhat. Ich zumindest würde das in dieser Situation so machen. Wir müssen abwarten, aber ganz sicher wird das für uns kein Spaziergang. Wir wissen, dass der VfL Gummersbach eine sehr starke Mannschaft hat und deshalb werden wir den Gegner ganz sicher nicht unterschätzen.

Die Löwen haben noch drei große Ziele. Was ist in dieser Saison aus Ihrer Sicht noch möglich?

Wenn wir mit der Liga anfangen: Dort war unser Ziel von Anfang an der dritte Platz und das ist noch möglich. Durch die Niederlagen von Flensburg und Göppingen sieht die Tabelle besser aus. Ich glaube, dass die Partie von uns in Flensburg entscheidend sein wird. Wenn wir in Flensburg gewinnen, sieht es sehr gut aus. Aber das ist natürlich eine hohe Hürde.

Und wie stehen die Chancen im DHB-Pokal?

In Hamburg ist alles möglich, da kann alles passieren. Wir können gegen Gummersbach verlieren, gleichzeitig können wir aber auch den Pokal mit nach Hause nehmen. Es kommt beim Final Four ein Stück weit immer auf die Tagesform an. Ich glaube aber, dass wir gute Möglichkeiten haben in diesem Jahr. In unserem ersten Spiel gegen Gummersbach denke ich, dass wir gute Chancen haben. Der Überraschungseffekt, mit dem der VfL Kiel und Hamburg besiegt hat, ist hoffentlich weg.

Zuletzt stehen die Löwen auch noch im Achtelfinale der Champions League.

Da spielen wir gegen Valladolid. Eine schwere, aber machbare Aufgabe. Wenn wir es ins Viertelfinale schaffen, bekommen wir es mit einem Sieger der Hauptrundengruppen zu tun. Dort sind wir dann ganz sicher nicht der Favorit. Das Final Four in Köln ist natürlich ein Ziel für alle im Klub, aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Zunächst müssen wir uns auf jeden Fall gegen Valladolid behaupten.