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Zwischen Ärgernis und Lernprozess (MM)

Löwen werten das unnötige 23:23 in Göppingen nicht als Rückschlag – aber trotzdem nervt der Punktverlust

GÖPPINGEN. In Gudmundur Gudmundssons Kopf lief das Spiel noch einmal ab. Vor seinem geistigen Auge sah der Trainer der Rhein-Neckar Löwen die Schlüsselszenen des Handball-Bundesliga-Duells bei Frisch Auf Göppingen, das mit einem 23:23 (10:8)-Unentschieden endete. „Die ausgelassenen Gegenstöße“, murmelte der Isländer und holte tief Luft: „Der vergebene Siebenmeter von Uwe Gensheimer. Wir hatten mehrfach die Chance, diese Partie zu entscheiden.“

Lange Zeit sah es hervorragend für die Badener aus, nach 40 Minuten führten sie mit 19:12. In der gefürchteten „Hölle Süd“ war es still wie in einer Gruft und die Gelbhemden hatten den Gegner dort, wo sie ihn haben wollten: am Boden. „Doch leider haben wir den Sack nicht zugemacht und Göppingen zur Aufholjagd eingeladen“, ärgerte sich Gudmundsson aber nicht nur über die ausgelassenen Chancen.

Abwehr wackelt plötzlich

Die Löwen machten auch im Aufbauspiel und in der Abwehr zu einfache Fehler, kassierten zudem unnötige Zeitstrafen. Eine davon führte zur Roten Karte für Bjarte Myrhol, der in der Schlussphase vor allem in der Offensive schmerzlich vermisst wurde. „Bjarte hat uns sicherlich gefehlt, aber daran will ich den Punktverlust nicht festmachen. Insgesamt haben wir in den letzten Minuten nicht gut genug gespielt“, sagte Manager Thorsten Storm und meinte damit vor allem die Defensive, die urplötzlich von einer Verlegenheit in die nächste stürzte – was dann doch ein wenig verwunderte.

Denn Göppingen kam einzig über den an den Kreis einlaufenden Linksaußen Dragos Oprea oder den nach innen ziehenden Rückraumspieler Momir Rnic zu Treffern. Das Duo erzielte die letzten sechs Feldtore der Schwaben – immer nach dem gleichen Muster. „Das werden wir diskutieren müssen“, sagte Storm, der von einem verdienten Punktgewinn für Göppingen sprach.

In der Tat zeigte Frisch Auf, wie man den Löwen beikommen kann. Die Schwaben verteidigten stark, ließen im ersten Durchgang kein Gegentor aus dem Positionsangriff zu und vermieden es, die Badener mit Fehlern zu Gegenstößen einzuladen. Nur unmittelbar nach der Pause klappte das nicht – und prompt hatten sich die Gelbhemden ihren Sieben-Tore-Vorsprung herausgeworfen. Im Gegensatz zu den vorherigen Partien verpassten sie es jedoch, den Deckel drauf zu machen. Göppingen kam immer näher, die „Hölle Süd“ wurde binnen Minuten von der Gruft zum Hexenkessel.

„Wir sind nach diesem Spielverlauf über den Punktverlust enttäuscht, ich mache meiner Mannschaft aber keinen Vorwurf“, übte sich Gudmundsson in Nachsicht, weil sich die Bilanz mit 9:1 Punkten trotzdem sehen lassen kann. Auch Manager Storm wollte nicht von einem Rückschlag sprechen: „Wir haben ja nicht verloren. Wenn man so hoch führt und am Ende nicht gewinnt, sieht es aber immer ein bisschen blöd aus. Dieses Unentschieden wirft uns allerdings nicht um, diese Mannschaft befindet sich immer noch in einem Lernprozess. Jetzt sollte jeder wissen, dass man mal nicht so im Vorbeigehen die Spiele gewinnt, sondern 60 Minuten Vollgas geben muss.“

Zum Beispiel am Donnerstag (19 Uhr/Sportzentrum „Harres“ in St. Leon-Rot) zum Auftakt der Champions-League-Gruppenphase gegen den ukrainischen Meister HC Motor Zaporozhye und erst recht danach im hammerschweren Auswärts-Viererpack Magdeburg, Hannover, Veszprém und Berlin. „Da werden wahrscheinlich ähnliche Situationen wie in Göppingen auf uns zukommen“, mutmaßte Kapitän Gensheimer: „Und dann sollte uns so was nicht noch einmal passieren.“

Von Marc Stevermüer