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Zwischen Stolz und totalem Frust
Köln. Gudmundur Gudmundsson kam als Erster den langen Gang entlang. Regungslos nahm er Platz. Oben, dort, wo die vielen Schilder standen, dort, wo die reden sollten, die etwas zu sagen hatten. Hier wartete der Trainer der Rhein-Neckar Löwen auf den Beginn, auf den Startschuss der Pressekonferenz. Langweilig wurde ihm dabei nicht. Er war abgelenkt, eingetaucht in seine Welt, in der sich häufig alles nur um eines dreht: Zahlen. „Gudmi“ studierte die Statistik, saugte jedes Detail auf. Einzelne Bausteine, die zusammen nochmals diesen Film ergaben, dieses Halbfinal-Drama von Köln: 60 Minuten zwischen Hoffen und Bangen, voller Frust und ohne Happy End. Nein, es war wieder mal kein Gute-Laune-Streifen mit den Löwen in der Hauptrolle. Wieder waren es die anderen, die jubelten, die sich am Ende feiern ließen. Der FC Barcelona siegte, triumphierte, zog durch einen 30:28 (12:12)-Sieg ins Endspiel der EHF Champions League ein.
Ein bitterer Nachmittag. Weil eigentlich deutlich mehr drin war, weil die Löwen brüllten wie lange nicht mehr, auf Augenhöhe waren – und trotzdem scheiterten. Gudmundsson sah man die Gefühls-Achterbahn an. Hin- und hergerissen war er. Klar, seine Enttäuschung konnte der Isländer nicht verbergen, aber da war eben noch etwas anderes: in seinen Augen, in seiner ganzen Gestik und Mimik. Der Trainer nickte, schmunzelte, fühlte sich ertappt: „Ja, ich bin ehrlich. Tief in mir drin ist da insbesondere auch Stolz. Denn wir haben uns teuer verkauft, waren ganz nah dran am Finale. Danke an die Jungs, sie haben sich sehr gut präsentiert.“
Ganz anders als zuletzt in Gummersbach. Einer vor allem: Kasa Szmal. Der Torwart, der Welt_Handballer, der Sympathieträger im Löwen-Kasten. 45 Minuten lang parierte er auf einem unglaublichen Level. Beine, Hände, Bauch, Kopf – der Pole warf den Kreis_Toreros alles entgegen, was er hatte, nahm sie im Minutentakt auf die Hörner.
Und dann der Schock. Rund eine Viertelstunde vor der Schluss-Sirene, in der sogenannten Crunch-Time, humpelte er zur Bank, zeigte immer wieder auf seinen linken Oberschenkel. Es sollte seine letzte Aktion in diesem Spiel gewesen sein. Plötzlich war er nur noch „Bankangestellter“, zum Zuschauen verdammt. „Es ging wirklich nicht mehr, der Muskel hat total zugemacht“, erklärte Szmal später in den Katakomben der ausverkauften Lanxess Arena.
Fast entschuldigend sagte er das. So, als hätte er die Pleite alleine zu verantworten. Und irgendwie hatte er das auch: Ohne ihn klappte nämlich nichts mehr, ohne seine Paraden, seine genialen Reflexe, wirkten die Löwen zahnlos. „Kasas Verletzung war wohl spielentscheidend“, trauerte Gudmundsson: „Er gab der Mannschaft zuvor genau die Sicherheit, die sie gebraucht hat.“ Ersetzt wurde er durch einen Weltmeister, durch Henning Fritz. Demnach hat es „Fritze“ also verbockt? Sein Trainer schüttelte den Kopf: „Henning kann man absolut keinen Vorwurf machen. Er musste völlig kalt auf die Platte und das in dieser wichtigen Phase.“
Auch Thorsten Storm stellte sich vor den 36-Jährigen. Doch der Manager fühlte in der Stunde der Niederlage eher mit Szmal. Storm, der Wehmütige: „Für Kasa, der auf dem besten Weg zum Held des Halbfinales war, ist es sein letztes großes Turnier mit uns gewesen. Schade, gerade ihm hätte ich diesen Titel gegönnt.“
Das Schiedsrichtergespann Krstic/Ljubic sah das offenbar ein wenig anders. Als Löwen-Sympathisanten outeten die sich jedenfalls nicht. Abenteuerlich war’s, was die Herren in Schwarz teilweise pfiffen. Regelauslegung hin oder her, manches ging gar nicht. Gudmundsson: „Das möchte ich nicht kommentieren. Zu denen sage ich lieber gar nichts.“ Kein Problem, Storm sprang ein: „Teilweise empfand ich ihre Entscheidungen schon als sehr, sehr merkwürdig“, zuckte der Nordmann mit den Schultern: „Ich würde sogar soweit gehen und sagen, wir wurden durch die Szmal-Verletzung, jedoch auch ein wenig durch die Schiedsrichter gestoppt.“
Katzenjammer? Schlechte Verlierer? Eher nicht. Das Duo mit den zwei Pfeifen war das Gesprächsthema. Selbst im siegreichen Barca-Lager konnte man sich den einen oder anderen verbalen Seitenhieb nicht verkneifen. Schade eigentlich, auf diesem Niveau, bei solch einem Turnier. Den Unparteiischen die alleinige
Schuld am Löwen-K.o. zu geben, wäre jedoch zu einfach. Schließlich war da auch noch ein Gegner, ein sehr starker Gegner. Barcelona spielte wie ein Spitzenteam, das eiskalt zuschlug: „Die haben die wichtigen, die entscheidenden Dinger verwandelt. Wir leider nicht“, resümierte Patrick Groetzki.
Der Rest war Schaulaufen: Am Sonntag ging es gegen den HSV Hamburg im Spiel um Platz drei um die goldene Ananas. Und selbst die schnappten sich die anderen. 31:33 stand’s am Ende. Egal, Schwamm drüber, auf ein Neues im nächsten Jahr?!
Von Daniel Hund
30.05.2011