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Andy Schmid und das Schweizer Handball-Märchen

Exklusives Gespräch mit dem Spielmacher der Rhein-Neckar Löwen von der WM in Ägypten

Löwe Andy Schmid lebt in Ägypten seinen Traum.

Als der Anruf vom Verband kam, dachte Andy Schmid zunächst an einen Scherz. Und nicht an einen guten. Dass er mit seinen Schweizern erstmals in seiner Karriere an einer Handball-Weltmeisterschaft teilnehmen dürfen sollte, war für ihn zunächst unglaublich. Ein Traum, mit dem man keine Witze macht. Schlussendlich konnte der Löwen-Spielmacher von der Echtheit der Nachricht überzeugt werden, packte seine Koffer und stand wenig später schon auf dem Feld.

Möglich gemacht hatte dies alles das corona-bedingte Ausscheiden der ursprünglich für das Turnier qualifizierten USA. Als zweiter Nachrücker nach Nordmazedonien, das für das ebenfalls wegen Corona ausgefallene Tschechien zur WM fuhr, tauschten die Schweizer Handballer kurzerhand Alpen gegen Pyramiden und sollten sich in Gruppe E mit Norwegen, Österreich und Frankreich messen.

Dass zwischen der Information über die WM-Teilnahme und dem ersten Turniereinsatz keine 48 Stunden lagen, macht die Situation noch kurioser. „Am Ende konnten wir einfach nur froh sein, dass wir es pünktlich in die Halle geschafft haben“, berichtet Schmid von der turbulenten Anreise. Mittwochmorgens stiegen er und seine Teamkollegen in den Flieger, mittwochabends stand das Spiel gegen Österreich auf dem Programm und damit so etwas wie das Finale um den Einzug in die nächste Runde. Mit 28:25 gewannen die Nachrücker aus der Schweiz das „Alpen-Derby“. Andy Schmid stand bis auf eine halbe Minute das komplette Spiel auf dem Feld, traf siebenmal selbst und bereitete vier weitere Treffer vor.

Handball-Hype in der Heimat

Andy Schmid im Dress der „Nati“.

Es war ein WM-Einstand nach Maß. Einer, der die Schweizer zusätzlich beflügelte. Zwar gingen die weiteren Vorrundenpartien gegen die haushohen Favoriten aus Norwegen und Frankreich verloren. Doch sowohl beim 25:31 gegen Vize-Weltmeister Norwegen, als auch insbesondere gegen Rekord-Sieger Frankreich (24:25) spielten sich die Eidgenossen in den Fokus der Handball-Welt, was nicht zuletzt in der Heimat für Aufsehen sorgte. „In 17 Jahren, die ich jetzt in der Nationalmannschaft bin, habe ich eine solche Resonanz noch nicht erlebt. Es ist schon extrem, was diese eine Woche Handball-WM gebracht hat für unsere Sportart“, sagt Andy Schmid, der mit Beginn der Hauptrunde direkt den nächsten Coup gelandet hat.

Beim 20:18 gegen Island zeigten die Schweizer eine taktische Meisterleistung, in der Defensive erwischten sie einen echten Sahnetag und kämpften sich im Verbund zu einem kaum für möglich gehaltenen Erfolg. Die Isländer waren der klare Favorit, sind gespickt mit Top-Bundesliga-Spielern. Dass dieser Sieg weiteren Auftrieb für die letzten beiden Hauptrundenspiele gibt, kann man sich denken. „Wir wollen jetzt noch zwei Punkte aus den Duellen mit Algerien und Portugal holen. Warum soll dabei nicht sogar etwas gegen die starken Portugiesen drin sein? Es hatte ja auch keiner damit gerechnet, dass wir gegen Island etwas Zählbares erreichen werden“, sagt der fünffache MVP der Handball-Bundesliga.

Dass es sich bei dieser WM wegen Corona um kein „normales“ Weltturnier handelt, allerorten viel Kritik auf die Veranstaltung an sich einprasselt, trübt die Freude des Vollblut-Handballers in keiner Weise. „Wir konzentrieren uns auf das Sportliche, wir spielen Handball und genießen die WM. Unser Ansatz ist es, mit viel Spaß und Mentalität an die Sache heranzugehen.“ Ein Ansatz, der sich durchaus bezahlt gemacht hat im bisherigen Turnierverlauf. Denn ehrgeizig sind Schmid & Co. allemal: „Es heißt ja oft, dabei zu sein, sei schon alles. Das sehe ich anders. Wenn ich dabei bin, dann will ich auch etwas erreichen.“

„Jetzt hier zu sein, ist schon eine große Befriedigung“

Andy Schmid im Duell mit Norwegens Torbjörn Bergerud.

Für die Schweiz, aber auch persönlich für ihn sei diese Weltmeisterschaft eine Riesensache: „Sonst habe ich im Januar immer zuhause gesessen und bereut, dass ich nicht dabei sein kann bei diesen Turnieren. Dieses Gefühl wurde in den letzten Jahren immer schlimmer. Jetzt hier zu sein, ist schon eine große Befriedigung. Dass meine Kameraden und ich unser Land auf der großen Handballbühne präsentieren und wir auf diesem hohen Niveau sogar bestehen können, das setzt dem Ganzen die Krone auf.“

Die Vergleiche zu Dänemark im Fußball, das 1992 als Nachrücker zur Europameisterschaft fuhr und diese am Ende sogar gewann (im Finale gegen Deutschland), findet Andy Schmid bei aller Sympathie fehl am Platz. „Das kann man nicht vergleichen“, sagt der 37-Jährige und führt als ein Argument an, dass seine Schweizer und er höchstwahrscheinlich nicht den Titel holen werden. Dennoch sei diese WM schon jetzt so etwas wie ein Meilenstein für den schweizerischen Handball: „Für die Sportart bei uns zuhause ist das grandios, dass wir da mitspielen können und uns dann auch noch auf Augenhöhe zeigen mit den besten Mannschaften der Welt.“

Zweimal dürfen die Eidgenossen in der Hauptrunde noch zeigen, was sie draufhaben. Am Freitag ab 15.30 Uhr gegen Portugal und am Sonntag um dieselbe Zeit gegen Algerien. Egal, ob man danach auf einem sensationellen dritten Platz oder schlechter in der Gruppe abschneidet: Auf der Handball-Weltkarte haben Andy Schmid und Co. schon jetzt eine große schweizerische Flagge gehisst und nicht zuletzt den Schmid- und Löwen-Fans in Deutschland sehr viel Freude bereitet.