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Andy Schmid wendet sich an Fans: „Waren teilweise schreckliche Spiele“
Löwen-Spielmacher entschuldigt sich nach erstem Liga-Sieg 2020 für sportliche Leistungen und gelobt Besserung / „Tag der Vielfalt“ hinterlässt bleibenden Eindruck
Erster Bundesliga-Sieg in 2020, erster Bundesliga-Sieg mit Martin Schwalb als Trainer, dazu ein starkes Zeichen für eine offene Gesellschaft: Das Heimspiel der Rhein-Neckar Löwen am Samstagabend gegen die TSV Hannover-Burgdorf war alles andere als ein Routine-Termin. Das 30:23 (15:12) sorgte für jede Menge denkwürdiger Momente. Nicht die wenigsten davon gingen auf das Konto von Andy Schmid.
Auf dem Feld der Anführer, den die Löwen brauchen, mit 17 Scorer-Punkten Mann des Tages: So wollen die Fans ihren Andy sehen. Am Mikrofon unmittelbar nach dem Spiel zeigte der Schweizer eine mindestens genauso starke Leistung: „Zunächst einmal muss ich mich entschuldigen für die ersten paar Auftritte in 2020“, sagte Schmid im Feld-Interview und wandte sich direkt an die Fans: „Ihr musstet viel leiden – das wissen wir. Und wir wollen euch dafür in den nächsten Spielen etwas zurückgeben. Es waren teilweise schreckliche Spiele. Wir müssen zusammenhalten und jetzt gemeinsam in eine gute Zukunft gehen.“
Von Aufbruchstimmung oder irgendeiner Euphorie wollte Andy Schmid nichts wissen. Er dachte zunächst einmal an seinen Ex-Coach: „Es ist immer scheiße, wenn ein Trainer gehen muss. Das tut uns auch weh als Mannschaft. Wir haben gesagt, dass wir jetzt gefordert sind.“ Gefordert und gewillt, sich am eigenen Schopf aus dem Schlamassel zu ziehen. Gegen Hannover war es der 100-prozentige Einsatz in der Abwehr, der den Grundstein für den so wichtigen Heimerfolg legte. Einen Riesenjob im Defensivzentrum machte dabei einer, der erst zum dritten Mal im Löwen-Trikot auf der Platte stand.
Ymir Gislason: Das fühlte sich surreal an
Ymir Örn Gislason ist neben Andy Schmid der aktuelle Überflieger im Löwen-Kader und zeigte sich nach der nächsten Top-Leistung in der für ihn völlig neuen Spielklasse regelrecht gerührt: „Ich hatte sehr viel Spaß auf dem Feld. Wir haben gekämpft wie echte Löwen. Die Fans waren unglaublich, standen 60 Minuten hinter uns. Das war großartig, ein tolles Gefühl.“ Bei Valur Reykjavik, von wo der 22-Jährige im Februar nach Deutschland wechselte, spielte er vor ein paar hundert Fans. Nun waren es knapp 12 000: „Das fühlte sich surreal an. Ich bin so etwas nicht gewohnt aus meiner Heimat. Ich habe zwar auch schon vor so vielen Menschen mit der Nationalmannschaft gespielt. Aber das hier, das ist schon etwas ganz anderes.“
Anders war an diesem Tag so einiges. Die Rückennummern der Löwen-Spieler waren nicht schwarz, sondern regenbogenfarben. Zu den Löwen-Flaggen, die vor Spielbeginn auf dem Feld geschwenkt werden, gesellte sich eine riesige Regenbogen-Fahne. Viele Löwen-Mitarbeiter, aber auch zahlreiche Fans hatten sich mit dem Motto-Shirt „Handball kennt keine Grenzen“ eingedeckt und demonstrierten damit ihre persönliche Unterstützung. Wahnsinn: Am Ende des Abends waren alle Shirts verkauft. Hut ab, Löwen-Fans!
Um mit einem starken Zeichen nach außen Stellung für eine offene Gesellschaft zu beziehen, hatten die Löwen den Spieltag in der SAP Arena zum „Tag der Vielfalt“ erklärt – und griffen unter anderem in die sonst so heilige Einlaufzeremonie ein. Dass zunächst nur die Spieler deutscher Herkunft zu den gewohnten Klängen von „Insomnia“ auf die Platte liefen, war die Versinnbildlichung des Tagesmottos „Handball kennt keine Grenzen“. Dazu gehört eben auch, dass sich der Großteil des Löwen-Kaders aus vielen europäischen Ländern rekrutiert – genauso übrigens wie der Hannovers. Als sich die deutschen Spieler der TSV zu denen der Löwen gesellen, mit ihnen den Schulterschluss vollziehen und gemeinsam ein Regenbogenbanner präsentieren, ist das der Gänsehautmoment des Abends und ein Bild, das hoffentlich viele Nachahmer und Unterstützer findet.
„Müssen alle aufstehen“
Eindrucksvolle Sätze sprach Lothar Quast in seinem Grußwort: „Wir stehen alle noch unter dem Eindruck der Morde von Kassel und Hanau, so etwas trifft unsere Gesellschaft im Mark. Deshalb müssen wir alle dagegen aufstehen. Deshalb ist eine Aktion wie diese der Löwen ganz besonders wichtig“, sagte der Sportbürgermeister der Stadt Mannheim und bekam dafür langanhaltenden und warmen Applaus. Neben Lothar Quast hatten die Löwen außerdem die Diakonie, das Bündnis „Mannheim sagt Ja!“ und die Studenten-Initiative „Nice to meet you“ eingeladen, um sich und den Hintergrund ihres Engagements im Umlauf der SAP Arena vorzustellen.
Gegen Diskriminierung jedweder Art, gegen Rassismus, Homophobie, Sexismus: Die Rhein-Neckar Löwen haben Dank der Unterstützung aus vielen Teilen der Gesellschaft und von den Rängen eine Lanze brechen können für ein offenes, freies und faires Deutschland. Bereits am Dienstag um 19 Uhr geht es sportlich weiter. Dann kommt mit dem SC DHfK Leipzig der nächste dicke Brocken in die SAP Arena. Dann wollen die Löwen anknüpfen an die letzten drei Spiele und ihren Fans, wie Andy Schmid sagte, etwas zurückgeben für den fantastischen Support in jeder Hinsicht.
Karten für die knifflige Aufgabe gegen starke Leipziger gibt es unter anderem noch online.